5.51 Uhr:
[Mona ’ti Golan.]
Ein wenig körperlich erschöpft, verschlief ich; also: schaffte halb fünf nicht, aber doch halb sechs. Ein langes Gespräch über Schnelligkeit der Charactere, bzw. deren Langsamkeit und ihre statistische Verteilung beschloß den Abend, dessen Nacht bereits in einer Hängematte, dicht beieinander, nämlich zu zweit, schaukelte (wenn Sie „schau” sehr betonen, synkopisch, bzw. als wär’s ein Auftakt, dann stimmt nicht nur der Satz, sondern Sie bekommen etwas in den hochdeutschen Klang, das sonst nur Dialekten gelingt… also man spricht das s o: „nämlich zu zweit” – dann kurz atmen und – „sch`aukelte”). Schließlich fummelte ich um halb fünf am Ifönchen rum, das brav & pünktlich geweckt hatte; ich wollte die Weckzeit von 4.30 Uhr auf 4.40 Uhr um- und weiterstellen. Das scheint mir nicht gelungen zu sein. Zugleich nämlich, ich erinnere mich, träumte ich etwas, und die beiden sagen wir Sphären waren praktisch nicht in Deckung zu bringen. Als ich das endlich verstand, war bereits eine Stunde vergangen.
Ich scheitere dauernd an n o c h etwas: Auf der Messe fand ich bei Quasimodo eine Gedichtstrophe, deren deutsche Übersetzung mir nicht fragwürdig, nein, aber doch nicht fein genug vorkam. Ich hab aber vergessen, auf der entsprechenden Seite ein Zeichen anzubringen, und nun blätterte ich gestern schon und blätterte eben erneut, kurz finde die Strophe nicht mehr. Das ist wie in >>>> Borges’ Sandbuch und macht einen leise rasen. Ich wollte das Gedicht mit Ihnen besprechen; grad auch >>>> Bruno Lampe hätte dazu, ich bin mir ganz sicher, ein wenig manches beizutragen. Außerdem, übrigens, schrieb ich abends Briefe. Ich gebe zu, daß ich das nicht ohne Hoffnung aufs Erfüllen eines Eigennutzes tat; in diesem Fall geht es um >>>> Olga. Wobei… wenn ich >>>> dann Melusine lese…: darauf ist in jedem Fall a u c h noch zu antworten. Unterm Strich läßt sich sagen, daß >>>> meine DTs’e sich eigentlich nur am . sagt man das? heimatlichen Schreibtisch? erfüllen lassen. Sind wir verreist und/oder bei anderen zu Gast, hat man nicht jeden Ablauf mehr in der Hand. Übrigens ist die Löwin wegen Mona nicht sauer; sie schrieb nur: „Kaum ist man wieder in Wien.” Mehr nicht. Linguisten, für die das ein Satz ist, verstehen den feinen Unterton nicht, der aus den fehlenden drei Pünktchen grade drum spricht, weil sie fehlen. Alte Philologen heben hier freilich die Braue, die linke, die rechte, je nach Vermögen, doch eben nur eine. Was meine Selbststrukturierung betrifft, so bin ich allerdings lässig: da ja Sizilien naht, also ich ihm; schriebe ich da für jeden Tag
DTs.
Arbeitsjournal.
Bearbeitung >>>> „Die Fenster von Sainte- Chapelle” zur Buchform (ff).
auch Sie, geben Sie’s zu, fänden das öde. Ich bin mir bewußt, das Korsett mir selber erst wieder schnüren zu können, wenn ich zurückbin. Dafür schnürte ich gestern, mir zur Besänftigung, eines nicht mir: mir zur Erregung.
Ich habe >>>> mit einer solchen Auseinandersetzung selbstverständlich gerechnet, sie fast sogar erhofft, sie aber auch befürchtet. Es ist, mit meinem Herkunftsnamen, nicht unheikel, >>>> sich auf die Seite eines Konservativen zu stellen, der einen wie mich, übrigens, rundweg abgelehnt hätte, weil er nämlich spürt, wie ich Haltungen immer nur verübergehend einnehme, um zum Beispiel einem Roman sehr nahezukommen. Das ist nicht verläßlich, nicht außerhalb der Romanwelt, das spürt auch er. Eigentlich spüren das alle. Das ist nicht sozial. Das will immer nur Kunst. Das Problem besteht darin, daß, sich eindeutig zu politisieren, das Primat verschiebt; da wird die Kunst funktional. Nicht Politik an sich ist problematisch für Künstler, sondern ihre Eindeutigkeit, sprich: nicht Parteiischkeit, sondern die Raison der Partei. Genau deshalb warnte Brecht, daß man sich auf ihn nicht verlassen könne. Das konnte man offenbar auch auf Peter Hacks nicht, der ja wie ein Großbürger mitten im Champagner lebte, indes seine dreiviertel Leserschaft um Bananen anstand und Kaffee. Da rümpfen wir die Nasen, nicht zu Unrecht und eben doch zu Unrecht: reduziert es nämlich sein Werk? Man muß auch immer schauen, inwieweit ästhetische Diskussionen nicht Verschiebungen politischer sind, Tarnmäntel also. Oder Aragon! nehmen wir Aragon… wie er die Moskauer Prozesse gerechtfertigt hat, man kann fast schon von „gefeiert hat” sprechen. Widerlich. Ist aber deshalb… zum Beispiel… „Anicet”… -: ist das ein schlechtes Buch? um von den späten Romanen zu schweigen… JaUndCèline??? Da dreht’s einem den Magen um, was der politisch in seine Romane hineinschreibt – und doch leuchtet er heute in den Pléjades. Die Zähne knirschen sich dir flach… dieser Rassist! Denn das w a r er. Und leuchtet im Sternbild dennoch zu recht. – Das sind die Extreme, sicher. Aber Extreme heben bloß hervor, was ansonsten unbemerkt bleibt, sie sind sichtbare Kristallisationen. Ach, Leser, die brave Denkungsart… Wir nennen sie heut die politisch korrekte…: sozialdemokratisch, wie wir halt sind.
Ich will arbeiten. Die Fenster von Sainte Chapelle stehen auf.
14.57 Uht:
Immer noch habe ich dieses Gedicht nicht gefunden, obwohl ich >>>> das ganze Buch nun dreimal von vorn bis hinten durchgeblättert habe. Habe ich es mir eingebildet, ja es selber erfunden? Ich kann das auch dann nicht glauben, wenn es zu mir passen würde. Nicht das aber, denke ich, hat mich über Mittag sehr tief schlafen lassen, nachdem die Morgenarbeit an den Fenstern von Sainte Chapelle mit einem nächsten Häkchen versehen werden konnte. Allerdings fallen die angekündigten Circensien monahalber aus, die ein Berufstermin hinweggerufen hat. Ich bleibe also im Wohnzimmer sitzen, also: arbeite jetzt wieder im Wohnzimmer. Weiter. (>>>> Im Schauerfeld, lese ich soeben, hat >>>> Wittgenstein Schlinkert eine ziemlich gute Frage gestellt, wobei „Wittgenstein” der Vorname ist eines erneuerten nom de guerre’s, und er möge ihn, nein, beide, der Krieg wie auch er, mögen ihn mir verzeihen. Doch habe ich von einem US-Amerikaner gelesen, der „Tierheim James” heißt: „Private Tierheim James”.) Nun an die Theorie.