5.18 Uhr:
[Bei Rohms am Wohnzimmertisch.]
Um zu rauchen, muß man hier auf den großen Balkon, was nur dann nicht zu den Spitzenerlebnissen eines Tages gehört, wenn einer, wie ich, morgens noch keine Schuhe tragen mag und es zugleich November ist. Seit kurz vor fünf auf, alles war noch dunkel, also noch mal ins Bett für zehn Minuten, da ich ja gar nicht weiß und nicht in Entdeckerlaune war, wo Kaffee zur Kaffeemaschine… – Dann Gekruschel, tappende Schritte. Ich hinterher. >>>> Rohm ist, wie ich, Frühaufsteher. So war der Kaffee sicher.
Wir hatten eine >>>> feine kleine Lesung gestern in der Red Corridor Gallery. Fünfundzwanzig/dreißig Hörer, deren Interesse prinzipiell dann ersichtlich wird, wenn sie Bücher kaufen. Taten sie. >>>> MelusineB war da, was mich überraschte und freute und auch drüber lächeln machte, weil ich staunte: so eng das Netz der Internetzes:: sie ist mit Rohms schon längst bekannt, hüpfte von einer beruflichen Veranstaltung aus Kassel herüber und fuhr dann nachts noch heim. Wir aßen alle gemeinsam. Direkt nach der Lesung gab es dreivier Gespräche: „Wenn Sie lesen”, sagte jemand, „ist das faszinierend, aber wenn ich Ihre Texte selber lese, komm ich nicht rein.” Sie meinte >>>> die Gedichte. „Lesen Sie sie laut, lesen Sie sie sich vor, geben sie Klang hinein.” Das ist, empfahl ich, oft auch bei meiner Prosa hilfreich. Man bekommt dann ein Gefühl für den Rhythmus, auch für den – was noch etwas anderes als Klang ist – „sound”.
Solche Lesungen „gegen Tür” kann man machen, wenn man sowieso irgendwo ist oder wie ich jetzt eh auf Tour und fährt dran vorbei; da kann man auch aussteigen, die Freunde oder Bekannten besuchen und das kleine Honorar, das bei vier Euro Eintritt zusammenkommt, bar in die Geldkatze streichen. Und fährt am Morgen weiter. 7.14 Uhr geht mein ICE.
Ich fing gestern schon an, aber die „eigentliche” Arbeit geht heut erst wieder los: Die Kompositionsfassung >>>> des Hörstücks bauen; erst einmal die Stimmauszüge nach Einsätzen (den späteren „takes”) auszeichnen und jeden Sprecherpart einzeln in der nunmehr Dritten Fassung damit versehen. Das wird dann identisch mit den aufgenommenen Einzelfiles sein, so daß man modular zusammensetzen kann. Sieht dann so aus, beispielsweise:
- SP1-1 (für „Sprecher 1, Take 1)
- SP2-17 (für „Sprecher 2, Take 17)
- Spin1-29 (für „Sprecherin 1, Take 29”).
Ähnlich geht man mit den Musiken und O-Tönen um:
- M3-19 (für „Musik3, Take 19”)
- O-25 (für „O-Ton, Take 25”).
So etwas muß penibel genau sein, damit später, wenn der endgültige Schnitt vorliegt, das Stück auch im Skript nachvollziehen zu können, was wiederum wichtig für die Lizenz- und Quellenangaben ist. Wenn man ein solches Hörstück nicht in einem Rutsch durchsprechen läßt, ist man sonst verloren. In einem Rutsch es durchsprechen zu lassen, wäre insgesamt irre teuer für die Produktion, weil ja immer alle zugleich anwesend sein müßten und auch Leerstunden zu bezahlen sind.
Da, ich war noch auf der Fahrt von Frankfurt nach Fulda, rief mich Markus Hoffmann, einer meiner beiden Sprecher, übers Ifönchen an: das sei ihm noch niemals passiert… aber er… oh je, er habe… – Kurz: Er hatte einen anderen Termin nicht eingetragen und war nun doppelt zugleich, und zwar in weit auseinanderliegenden Studios, engagiert. Nun hab ich ein Problem, das heute vormittag gelöst werden muß, seinerseits, aber auch meinerseits. Der Anruf kam nach 18 Uhr, so daß ich auch niemanden in der Dispo des ARD Hauptstadtstudios mehr erreichte. Dennoch bin ich völlig ruhig. Mit etwas Glück bekomme ich noch zwei Stunden extra, was aber auch wieder mit dem WDR abzusprechen ist. Na, mal sehen.
Also, im Zug nachher die Auszeichnungsarbeit in den Stimm-Skripten. Dann, wenn ich daheim bin, den Ofen wieder einheizen. Obwohl… >>>> Vergil rief nämlich auch noch an. Ja, Melusine, es g i b t den Teufel. Er bat mich nach Hamburg für die Samstagnacht. „Das sollten Sie sehen. Haben Sie das Geld für die Fahrt? Gut. Sonst schick ich Ihnen welches.” Er erzählte etwas von einem Ritualmord an einer Puppe. „Ich will wissen, ob Sie das können. Wenn ja, dann sehen wir weiter.”Rätselhafter geht’s nicht. Also, ich fahr dann morgen abend nach Hamburg, will aber am Sonntagfrüh unbedingt wieder zurück. Die Zugfahrten selber sind Arbeitszeiten, sowieso. Es ist (fast) egal, ob ich am Schreibtisch sitze. „Es i s t eine Puppe”, sagte Vergil, „aber Sie werden sehen, wie sie blutet.”
Von so etwas durfte ich >>>> Paulus Böhmer selbstverständlich nichts erzählen, mit dem ich, nachdem ich aus dem Verlag der Autoren wieder heraussen war, einige Zeit zusammensaß und sich die alte Freundschaft wieder firmte. Daß ich da bereits Wein trank, vormittags, war allerdings nicht dazu ausersehen, mich besonders wach zu halten; außerdem plagte mich seit tags zuvor eine Magenattacke, die eigentlich erst gestern abend mit der Hilfe einiger Dosen Talcid wieder abklang, die ich kontrapunktisch zum Wein montierte. Niemand wird ein solches Verhalten klug nennen wollen, am wenigstens ich selbst. Also sparen Sie sich Ihre Einwände bitte. Es ist ja nun sowieso geschafft. „Und kommen Sie alleine”, forderte Vergil mich noch auf, „nicht etwa, daß Sie auf die Idee verfallen, eine Frau mitzubringen. Frauen, die bös sind, hat’s da genug.” Sie glaube daran, hatte Melusine gestern nacht bei Tisch gesagt, daß es das reine Böse – g e b e. Sie sei ihm auch schon begegnet. Das hat mich im Traum sehr beschäftigt. Nun ist es, als hätte mich Vergil erst danach angerufen, als wär es ihm drum getan, Melusines Satz im nachhinein, und eigens für mich, zu befleischen. Ich bin aber nicht der Mann, den Kopf in einen Sand zu stecken, von dem’s in Der Dschungel eh nicht viel gibt. Sondern hier ist alles – Humus. Die Wüsten, mit denen ich außerdem spiele, kennen den Vogel Strauss sowieso nicht.
7.19 Uhr:
[ICE Fulda-Leipzig.]
Ich hab den längerfahrenden Zug über Leipzig genommen, obwohl das Tickett für den schnelleren über Braunschweig gelöst ist; nur fährt d e r erst um 8.13 Uhr und kommt zehn Minuten später als dieser hier an; ein früherer schneller Zug wäre 6.04 Uhr gegangen; dies wiederum hatte ich meinen Gastgebern nicht zumuten wollen. Und es ist auch ganz egal, „egal” im Wortsinn, denn arbeiten tu ich so oder so. Und so. Weiter nun, Romantik ff. (Dabei erreichte mich noch eine pdf von der Komischen Oper: „Bitte lesen Sie Korrektur.” Mach ich. D a s aber nachher.)
10.28 Uhr:
[ICE Leipzig-Berlin.]
Wir hatten einen Polizeieinsatz im Fuldaer ICE. Es ging um einen roten Koffer, dessen Eigentümer sich nicht meldete. So gab es Alarm. Vielleicht ist das Ding nun außerhalb explodiert; jedenfalls kamen wir, wenn auch mit einer halben Stunde Verspätung, in Leipzig an, ohne mitgeflogen zu sein in die Luft wie in Fetzen. Der Anschluß-ICE wartete, so werd ich einigermaßen pünktlich bleiben.
Während der Fahrt, die Arbeit ging in eilendsten Schritten voran, bereits sämtliche Sprecher-Takes signiert und in die Kompositionsfassung eingetragen. Damit bin ich viel weiter, als ich denken zu können hoffte. Und zudem, alles im nichtexplodierenden Flug, vom ARD-Hauptstadtstudio zwei weitere Stunden Studiozeit bekommen, so daß die Sprecheraufnahmen nicht mehr gefährdet sind. Es wird nun, denke ich, sogar Schneidezeit bleiben.
Jetzt an die kleine Blog-Theorie; nachmittags hab ich für >>>> Stang ein Transkript zu korrigieren und zu ergänzen.
Kein Netzanschluß im Zug, obwohl Verbindungsnetze angezeigt werden. Irgendwas anderes, nahezu immer neuerdings, scheint auf meinen Netzzugang zugreifen zu wollen und blockiert ihn dann. Seltsam. Und nur in Zügen ist das so. Weiß jemand eine Erklärung?
12.28 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Latte macchiato & erster Cigarillo des Tages. Zu dem – tatsächlich stattgehabten – Polizeieinsatz im Zug schriebe ich gerne noch etwas. Aber es war nicht ich, den man suchte. Vielmehr ging es um einen roten halterlosen Koffer. Mal sehn, ob ich die Zeit finde. Erstmal muß ich meinen Kachelofen wieder einheizen; die Kohlen möchten gerade nicht brennen. Aber wer will das schon. Und auch >>>> zu Melusine: vielleicht nachher. Erstmal auspacken.
Teufelszeug Ich w e i ß, dass es den Teufel gibt. Keiner hat seine „Geste des Zerstörens“ besser dargestellt als Vilém Flusser.: http://gleisbauarbeiten.blogspot.com/2010/06/uber-das-bose.html
Man will das aber nicht g l a u b e n. Mit gutem Grund. Denken Sie daran (in Hamburg und anderswo): Das Böse s e h e n ist nicht dasselbe wie das Böse b e r ü h r e n (oder sich von ihm berühren zu lassen). „wenn Blicke töten könnten…“ – aber sie können es eben n i c h t. Berührungen schon. Seien Sie vorsichtig!
(Meine Puppe wird nicht bluten. Ich kann d a s nicht.)