Die sogenannten Freizeit & Freiheit, nämlich abermals zu Routinen. Das Arbeitsjournal des Dienstags, dem 4. Januar 2011. Der auch zurückblickt.

4.52 Uhr:
Um halb fünf auf. Man muß das „noch fünf Minuten” bleibenlassen, dann funktioniert es ganz gut. Gegen halb eins ging ich schlafen, wachte sogar schon mal um halb vier auf und dachte momentlang, es sei schon wieder zu spät; kurz: das Über-Ich im Unbewußten funktioniert, die Routine schreibt sich ins Gewissen. Sie, >>>> die Routine, ist offenbar ein moralischer Akt. Diese Transformation gelingt aber wohl nur, weil die Routine, die einige Zeit brachlag, in den Zeiten davor gelernt worden ist, nämlich die ganzen Anderswelt-Argo-Zeiten hindurch, quasi seit dem Abschluß von >>>> Meere und mit Abschluß der davorliegenden Ereignisse, die dieses Weblog noch nicht erfaßte. Für >>>> Anderswelt-Thetis galt halb vier noch nicht, sondern erst sechs Uhr als Arbeitsbeginn; schon das wurde damals als für einen Schriftsteller für früh gehalten und entsprechend immer wieder mal in der Presse vermerkt. Ich hatte, als ich Argo anfing, das unbedingte Gefühl, „sechs Uhr” müsse „radikalisiert” werden. Das hing selbstverständlich mit den Notwendigkeiten zusammen, die Deinetwegen auf mich zukamen, mit der Erfahrung, daß alle bis zu Deiner Geburt so eingefahrenen, selbstverständliche Routinen innerhalb eines einzigen Jahres, Deines Säuglingsjahres nämlich, kaputtgegangen waren und daß es deshalb Zeitspannen geben müsse, die man hinzulegte. Das funktionierte allerdings erst wirklich, nachdem wir die sogenannte Väter-WG bezogen, ungefähr seit Deinem zweieinhalbten Lebensjahr also, von wann an ich meine Zeit völlig allein einteilen konnte. Man arbeitet von etwa fünf bis acht Uhr morgens, immerhin drei ungestörte Stunden, dann weckt man Dich, macht Dir Frühstück, kuschelt noch etwas und bringt Dich zur Kita. Kommt zurück, arbeitet weiter. Ähnlich seit Deinem Schulbeginn. Steht man hingegen erst um sechs Uhr auf, hat man kaum eine/eineinhalb Stunden für die Arbeit und muß dann schon unterbrechen. Woraufhin man nicht mehr in die Arbeit hineinkommt, oder nur mit Schwierigkeiten. In der ersten Zeit warst Du ja auch von der Schule mittags abzuholen, was eine nächste Unterbrechnung bedeutete. Und so weiter. Hingegen ist Abend-, geschweige Nachtarbeit für mich nie eine wirkliche Option gewesen, zum einen, weil mir da immer zu wenig Licht war, zum anderen, weil ich in Konzerte und die Oper gehen wollte und will. Will man sich auf Abendroutinen einspielen, stört jeder solche „Termin” und zerbröselt diese Routinen schon im Ansatz. Indes, mit Kindern, Nachtarbeit sowieso ausfällt, da man morgens für das Kind munter und gegenwärtig sein muß und ja auch will. Wiederum klassische Elternpaar-Beziehungen helfen da wenig, denn teilen die Partner sich in der Betreuung ihres Kindes auf und kommt auch nur bei einem von beiden der Arbeitswille hinzu, zumal wenn von einer Art Sendungswillen befeuert, dann läuft die Partnerschaft auseinander; man lebt nur noch nebeneinander her und verliert sich, kurz: die Beziehung zerbricht.
All dies ist anders (kann anders sein), wenn die Arbeitsbestimmungen außenbestimmt und zeitlich so begrenzt wie definiert sind. Man geht aus dem Hause zur Arbeit, man kommt zurück, dann hat man Freizeit, so vage und falsch dieser Begriff immer auch ist. Der künstlerische Prozeß kennt sie nicht, vielleicht eben drum. Er kennt überhaupt keine Freiheit, sondern stellt, was er als frei empfinden läßt, durch formale Aktionen her, formales Schalten und Walten mit dem Material, d.h.: in den jeweiligen künstlerischen Entscheidungen zum Werk. Und Freiheit wird empfunden, wenn man einen „Einfall” hat, wenn man eine Serie, wenn man Feuerwerke von Einfällen hat, die sich, >>>> wie ich gestern schon schrieb, über die Routinen erst einstellen. Diese Feuerwerke l a s s e n sich einstellen, man kann sie herbeireizen, aber eben immer nur über Routinen und in der Bereitschaft eines Jägers, der sie erwartet. Man schreibt auf dem Hochsitz oder im Unterstand und lauert dem Wild auf. Dem Spaziergänger zeigt es sich nicht oder selten, und wenn, dann hat er meist kein Gewehr dabei. (Zum Wechselspiel der Routinen mit ihrem Verlust siehe auch >>>> Schlinkert.)
Besonders interessant freilich finde ich den oben schon angespielten moralischen Character der künstlerischen Routine. Verläßt man sie, fühlt man sich schlecht, was ein ziemlich typischer Ausdruck von Gewissensbissen ist. Ganz offensichtlich wird in manchen Formen künstlerischer Arbeit die soziale Rücksicht auf eine ästhetische verschoben, bzw. saugt die ästhetische Bestimmung sie an sich. Ich kann mir denken, daß dies bei durch Leidenschaft fundierter wissenschaftlicher Arbeit ähnlich ist. Typisch ist dabei auch, daß in solchen Phasen schlechten Gewissens der Dang zur Ablenkung groß wird, d.h. die Bereitschaft, sich dem Entertainment zu ergeben. Das kann suchthafte Ausmaße annehmen und ist nur dadurch zu bremsen, daß man mit sich zurück ins Reine kommt. Dieses „sich” heißt aber: mit seiner Arbeit. Man muß, sozusagen, paradox reagieren: sich genau dem (wieder) aussetzen, wovor man offenbar flüchtet. Wie bei dem dunklen Mann, der hinter der Tür steht. Dreht man sich um und schaut ihn direkt an, verschwindet er; traut man sich aber nicht hinzuschauen, sondern flieht an der Tür vorüber, wird er bedrohlich und bestimmt schließlich den gesamten Aufenthalt in dem Raum und, zunehmend mächtig, in dem ganzen Haus. Alles wird bedrückend und dunkel.

[Produktivitätsheorie.]

Jetzt aber wieder an den Jungenroman.

11.09 Uhr:
[Immer noch keine Musik.]
Bis eben am Jungenroman geschrieben, der wirklich in Fahrt kommt. Las der Löwin ein Stückerl vor. Man müsse überpüfen, meint sie, ob diese Sprache die Jungen auch treffe; zwar, den Erwachsenen mache sie Spaß, aber das heiße ja noch nichts. Ich denke freilich, bis zum Freitag schon so viel Text fertigzuhaben, daß ich ihn ausdrucken und meinem Sohn geben kann, damit er mal gegenliest übers Wochenende. Ich will ihn ja dann auch losschießen lassen, ihn und Freunde, um die Berliner Zentrale des KEN ausfindig zu machen.
Dann >>>> auf BRSMA geantwortet, woraus sich, denke ich, was entwickeln kann. Und jetzt noch eine Stunde Elegien, bevor ich mich zum Mittagsschlaf lege. Mein Junge ist heute noch nicht zur Schule gegangen, des starken Hustens wegen. Ab morgen sollte aber auch er in die Normalisierung zurück.

19.32 Uhr:
Die Lektüre von Stürners ersten Friedrich-II-Bandes abgeschlossen, nachdem ich nachmittags gut dreivier Stunden über der >>>> Revision der elften Elegie gehockt hatte; es waren nicht mehr als vierfünf knifflige Stellen, doch diese Kniffligkeit hatte es in sich gehabt. Dann schon mal in die 12. Elegie geschaut, sie aber wieder, Friedrichs wegen, beiseitegelegt. Schließlich noch ein paar Telefonate, sowie eine Korrespondenz >>>> mit meiner Impresaria Stang, eine Art Ausladung der LitCologne, mit der ich ohnedies gerechnet hatte; man habe mich nicht mehr – mehr! – unterkriegen können. Kann man auch nicht, mich unterkriegen.

Jetzt breche ich >>>> zur Bar auf, um mit dem Profi das neue Jahr zu besprechen und unser Glas auf es zu heben. Gegen Mitternacht will ich zurücksein, damit ich morgen früh rechtzeitig zur Früharbeit rauskomm. Das >>>> DTs für heute ist schon geschrieben.

3 thoughts on “Die sogenannten Freizeit & Freiheit, nämlich abermals zu Routinen. Das Arbeitsjournal des Dienstags, dem 4. Januar 2011. Der auch zurückblickt.

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