Giornata. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 2. April 2011. Samarkanda, interrupt. Und eine Opern-Empfehlung für heute abend.

9.53 Uhr:
[Arbeitsjournal. Holmboe, Streichquartett Nr. 18 „Giornata”.]
Die Quartette 17 bis 20 sind ein Tageszeitenzyklus: Mattinata – Giornata – Serata – Notturno; ihn höre ich jetzt an, nachdem ich mir die Arbeit gemacht habe, die CDs für UF auf mp3 zu formatieren. Damit verstrich der ohnedies spät, nämlich erst um Viertel nach sieben begonnene Arbeitsmorgen. Ich will an die Kleine Theorie des Literarischen Bloggens; acht Seiten im Einzeilenabstand liegen noch vor mir, sowie einige Nachträge. Das wird sich für die erste Überarbeitung, die in der Datei erfolgt, übers Wochenende erledigen lassen; dann wird ausgedruckt und noch mal auf dem Papier alles durchgesehen. Dann weitere Ricarda-Junge-Lektüre, bis S. 86 kam ich gestern, bevor mein Junge fürs Cello erschien. Manchmal bekommt er jetzt schon einen wirklichen Celloton. Danach vor >>>> der Bar die Samarkandin höchst reizvoll im kurzen Kleid und schulterfrei, aber einen Wintermantel darüber. So saßen wir draußen. Drinnen darf ja nun, nach der Razzia, erstmal nicht mehr geraucht werden. Aber das wird sich wieder einspielen. Es gab da ein Gespräch. „Wahrscheinlich haben die die Razzia direkt mit Beginn des warmen Wetters gemacht, damit sich das Rauchverbot erstmal durchsetzen läßt.” „Das denke ich auch”: so nickte der Profi, der hinzugekommen war, mich ab. Wir haben hier in Berlin eine sanfte Form des Widerstands gegen moralische Bevormundung entwickelt, sehr geschmeidig, sozusagen vorne nickend, und hinten tut man, was man will. Verbunden ist das mit Einsicht. Wo gegessen wird, raucht man nicht; selbst eingefleischte Raucher finden das unterdessen sehr verständlich und halten sich daran. Doch wenn man an der Bar sitzt…
Mit den moralischen Säuberungen im Sinne demokratischer Correctness scheint mir auch zusammenzuhängen, worüber – bereits 2007, und mir war das entgangen! – >>>> Karl Weiss schreibt; für einen wie mich ist diese Gesetzesvorlage skandalös. Sie fällt unter das, was der Profi vorgestern so ausdrückte, aber ich hab das, glaub ich, schon erzählt: „AKWs wollen sie laufen lassen, aber gegen Raucher werden Razzias veranstaltet.” Ich mag das gerne noch um Guantánamo ergänzen. Ein von USA-„Moral” abhängiges Europa wäre ein Eisenholz, aus dem die Schlagstöcke geschnitzt werden, mit dem sich der Widerstand niederknüppeln lassen soll.
Jedenfalls nieselte es leicht, nur sehr leicht, stimmt, aber G., den Kellner, stimmte es dennoch nervös. Die Samarkandin saß elegant vor ihrem Crémant, der Profi und ich hatten uns die Cocktails bringen lassen. Da stolperte G., und mein Marguerita erspranggroß sich über mich, über den halben neuen Anzug, meinen Schal, und die eben ausgerauchte Pfeife hatte im Kopf einen schmutzigen See, auf dem sogar die Wellchen gingen. Wobei die Löwin eben, als ich ihr erzählte, es seien überhaupt keine Flecken auf dem Anzug zu sehen, behauptete, sie habe das gleich gewußt, daß das ein Zauberanzug sei, der aber auch bei Frau v. Samarkand und dem Profi ein streichelndes Entzücken ausgelöst hatte, nun aber, margueritisiert, mir ganz erbärmlich um die Beine hing. Wie >>>> eine nasse Katze schlaff. So naß. Dem Kellner war das peinlich. Mir nicht. Anders als die Katze knurrte ich nicht, sondern wartete ergeben darauf, daß mein Körper die Nässe erwärmte. Was geschah. Außerdem hatte der Profi Geld mitgebracht; >>>> der Gräfin hatte es ihm für mich überbringen lassen, schon vor Wochen; es lagert in seinem Safe, und Monat für Monat bringt er mir nun eine Tranche mit. So daß mir bewußt wird, daß ich bei dem Gräfin noch im Wort stehe und ich deshalb, wahrscheinlich im Juni, das nächste Mal nach Paris reisen werde – also nach der Augen-OP und der Kreuzfahrt. „>>>> Ayana ist in Kairo zur Zeit”, erzählte Frau v. Samarkand, als ich mich erkundigte, weil mir nach einem Dreier war, unten Ayana, oben Frau v. Samarkand. Aber sie, die Samarkandin, gab mir ohnedies einen Korb. Ein plötzliches Engagement, eine, sagen wir, Begleitung, die ihr die Agentur für den ganzen nächsten Tag aufs Auge, wenn man das so sagen darf, gedrückt habe; davon habe sie morgens noch nichts gewußt. „Sein Sie mir nicht gram, bitte.” Wie sollte ich denn? Zumal sie mir zur Bitte den Nacken streichelte. Ganz hahnig kam ich mir dabei vor. Auch der Profi überbot sich in charmanten Bemerkungen, anerbot sich sogar, die junge Dame in seinem Roadster heimzufahren. Was sie annahm. So daß ich schließlich ganz alleine sitzenblieb und dann spontan Madame anrief, die aber ja in der untersten Schweiz lebt, welche dort zugleich beinah die höchste ist. Madame äußerte eine zur Zeit uneinlösbare Sehnsucht. „Nein”, sagte ich, „ beim besten Willen, ich schaffe das nicht in die Schweiz in den nächsten Wochen.” Ob sie vielleicht, im Juni, mit nach Paris… – obwohl ich mir ziemlich klar darüber bin, wie dann wieder Jenny reagieren wird. Um von meiner Löwin zu schweigen, mit der ich nachts ebenfalls telefonierte, um ihr von meinen verhinderten Testerostonismen zu berichten. Dabei hatte ich sogar den Laptop mit in die Bar genommen, um gegebenenfalls von Samarkand aus morgenzuschreiben; nun tu ich’s doch am heimatlichen Schreibtisch. Immerhin ist so die Arbeitskontinuität gewahrt, und zum Training kann ich nachher auch, bevor mein Junge herkommt, fürs Cello, für Latein – und für den Männerabend, den er sich gewünscht hat. Außerdem bekommt er hier Fleisch, indes seine Mama zu seinem leisen Unglück dazu übergegangen ist, vegetarisch zu kochen – wegen der industriellen, hormonüberfütterten Tierhaltung. Und sowieso. Auch Fluor sei schädlich. „Wir haben keine Zahnpasta mehr, die schäumt”, klagte der Bub. Und ob das wirklich so schlimm sei, wenn er einmal im Monat zu MacDonalds gehe. „Nö”, sagte ich, „sondern die Hauptsache ist, daß man gern ißt, was man ißt; wenn man sich daran hält, bleibt man glücklich und wird auch nicht krank. Trotzdem ist es sinnvoll, sich darüber klarzusein, warum man etwas ißt und warum eben nicht. Und in einem hat die Mama absolut recht: die Tierhaltung in den Fabriken ist grauenvoll. Deshalb hab ich ja einen Schlachter, der den Bauern kennt, von dem er das Fleisch, das er verkauft, bezieht. Ob das allerdings stimmt… das kann ich nicht sagen, sondern nur glauben. Aber wir müssen vieles glauben, müssen fast alles glauben. Wir müssen auch glauben, daß die sogenannte Bio-Bahrung mit ökologischer Rücksicht produziert worden ist. Um etwas wirklich zu wissen, muß man es selber tun, also selbst sein Gemüse anbauen, selbst sein Vieh aufziehen, pflegen und schlachten. Es gibt Menschen, die das tun. Die sind imgrunde die einzigen, denen ich noch glaube. Also geh nur zu MacDonalds, wenn du magst. Ich allerdings tue das auch nicht, aber einfach deshalb, weil es mir dort nicht schmeckt, und weil ich, wie du weißt, Moden scheue.” Worauf sich ein Gespräch über Mode und Sozialdruck entspann.
„Kann ich morgen wieder bei dir schlafen? Können wir einen Männerabend machen?” Er hat sich meinen Begriff zueigen gemacht.

Herbst, ans Werk.

11.07 Uhr:
Ach so, ja, wer in Berlin lebt, sollte sich heute abend wirklich >>>> das da ansehen. Da wäre ich dann auf Reaktionen auf meine Kritik gespannt.

[Foto: Monika Rittershaus/Komische Oper.]

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