Über das Spielbein des Teufels: das Arbeitsjournal des Sonntags, dem 3. Oktober 2010. Mal wieder ein bißchen Boulevard.

4.50 Uhr:
[Arbeitswohnung. Latte macchiato.]
Um eins ins Bett, um 4.30 Uhr hoch; der Rhythmus funktioniert sehr gut: der Körper nimmt ihn ohne großen Widerspruch an, vorausgesetzt, er hat mittags geschlafen; gestern erwiesen sich anderthalb Stunden statt nur einer als angenehm. Das wären dann fünf Stunden Schlafes täglich, was mir sehr akzetabel vorkommt. Nur ist während der Woche mehr als eine Stunde nicht drin. Jedenfalls bin ich gestern gleich, weil es mich trieb, an >>>> Die Fenster von Sainte Chapelle gegangen; ich wollte nichts zwischen Aufwachen und Erzählung schieben, kein Arbeitsjournal jedenfalls, das mich auf andere Fährten setzen könnte. Zwar fing ich zwischendurch eines an, brach es aber ab. Und nachts hatte ich keine Lust mehr darauf. Ich habe >>>> die paar Zeilen soeben nachträglich eingestellt.
Meiner Arbeitslust entsprechend, ging es gut voran. Das DTs war knappgehalten in der unablässigen Folge der Arbeitsschritte, also schrieb ich auch mittags kein Journal, wiewohl die Dottoressa anrief und sich verabreden wollte, – auch Ayana käme mit, sagte sie lockend. Obendrein erreichte mich eine Email >>>> Frau v. Samarkands , daß sie Lust auf mich habe. Mehr stand nicht drin, nur dieser Satz, kein Gruß, keine Anrede, nichts sonst. Ich habe nicht reagiert, bislang nicht, und der Dottoressa sagte ich schon deshalb ab, weil mein Junge über Nacht wieder da ist. Er schläft fest und ruhig auf seinem Vulkanlager, war mit seiner Freundin – >>>> Eduarda, so nennen wir sie -, auf einer Geburtstagsparty, die über den ganzen Tag ging. Auch der Dottoressa sagte ich ab, nicht nur aber seinetwegen, sondern weil ich so lange wie möglich weiterarbeiten wollte und das ja auch tat. Einen g r o ß e n Schritt weiter bin ich gekommen in der Paris-Erzählung, der „flow” war wieder da. Und Die kleine Blogtheorie läuft sowieso prima: „so etwas hat es noch nie gegeben, schon gar nicht in der Art”, hat die Löwin gesagt, der ich vorgestern etwas draus vorlas. Sie übrigens, hübsch, schickte nachts eine SMS, in der nichts anderes stand als „Psssst…”; so telefonierten wir auch gleich, ganz psssssstig, um den „bereits” (:es war schon nach Mitternacht) schlafenden Jungen nicht zu wecken. Ich habe hier ja nur einen einzigen Raum. Der mir völlig reicht, ich brauche nicht mehr im Leben; nur wenn ein Kind da ist oder mehrere Kinder da sind, werden Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küchen nötig. Ein Mann allein kommt gut mit nur einem Raum für sich aus, vorausgesetzt er hat Welten in seinem Kopf und läßt Welten hinein.
À propos. Das wird jetzt zeitlich alles sehr eng. In zwölf Tagen bereits geht der Flug nach Sizilien; „wir müssen den Wagen buchen”, sagte der Profi, der nachmittags anrief. Ich werde bereits morgen und übermorgen alles packen müssen, weil ab Mittwoch Frankfurter Buchmesse ist und am Mittwoch in der Woche darauf wieder in Heidelberg Seminar; nur für den übernächsten Montag und Dienstag nach Berlin zurück- und dann direkt wieder nach Heidelberg zu fahren, kostete nicht nur unnötig Geld, sondern wäre auch für meine Arbeitsvorhaben recht unproduktiv; also werde ich in Heidelberg oder bei Freunden in Frankfurt bleiben. Wenn ich dann am Donnerstag nach Berlin zurückgekommen sein werde, dem 14.10., habe ich abends die erste Lesung aus „Azreds Buch”, und am nächsten Morgen geht der Flieger. Das ist arg eng, vor allem, weil ich die Reiseroute planen will, damit wir in der einen Woche so viel wie möglich unterbringen: der Profi, immerhin mein bester Freund, wird zum ersten Mal in seinem Leben auf Sizilien sein, und ich möchte ihm so vieles zeigen… und meinem Sohn, selbstverständlich, der aber schon zweimal dort gewesen ist. Ich werde auch ein Reisejournal schreiben und ebenfalls meine Früharbeit nicht unterbrechen; von 4.30 bis etwa 9 Uhr werde ich literarisch weiterarbeiten. Laptops sind gesegnet.
Morgencigarillo.
Es erreichte mich auch eine Email von >>>> B., etwas bitteren Inhalts und nicht ohne Vorwurf. Sie habe sich von mir sehr vernachlässigt gefühlt. Sie könne durchaus verstehen, wenn einer wie ich seine Arbeit in den Vordergrund stellt; das habe sie auch akzeptiert. Daß ich aber meine wenige Freizeit – sie schrieb wirklich „Freizeit” – anderen Begegnungen vorgezogen habe (womit sie sicher den Nachmittag mit >>>> Phyllis Kiehl meinte), habe sie gekränkt; immerhin sei ich bei i h r zu Gast gewesen. Unterm Strich: sie fühle sich als „praktische Unterkunft” mißbraucht und bitte mich, von einem weiteren Kontakt nunmehr abzusehen; sehr wohl habe sie die Untertöne in meinen Journalen verstanden.
Mir tut das weh. Aber sie hat ja nicht Unrecht. Imgrunde war mir das schon klar, als ich die Fotografie ihrer Tochter sah. Wovon ich der Löwin erzählte, die sehr ruhig erwiderte: „Es gibt wenig Schlimmeres, seelisch, als wenn ein einst geliebter Mann in der Tochter einer Frau sie wiedererkennt, der Frau selber aber fremdgeworden, ferngeworden ist, – wenn er sie in ihrer Tochter wiederbegehrt; ihr aber zeigt er ernüchtert die Schulter. Also sei menschlich und fang mit der Tochter nichts an. Sofern du diese Frau nicht verletzen willst, tief verletzen, Alban.” „Das Mädchen ist mir sowieso zu jung.” „Jaja.” „Außerdem ist es unwahrscheinlich, daß ich ihr wirklich begegne.” „Das Unwahrscheinliche ist das Spielbein des Teufels.” Womit wir wieder in der Kapelle von Sainte Chapelle angekommen wären und sind. Ich werde jetzt mein DTs schreiben und dann mich an die Arbeit machen. Mein Junge will ausschlafen heute.

6.02 Uhr:
Das >>>> DTs steht drin.

8.39 Uhr:
Gerade ist mein Junge aufgewacht, ich mach ihm mal eben seinen Kakao. Schwach entölt das Mehl, Zucker und Vanillezucker, ein ViertelLöffelchen Zimt dazu; dreimal muß das Getränk aufkochenm damit sich die Aromen entfalten. „Magst du Musik hören? Das Konzert, in dem ich war?”

Bis TS 51 gekommen bisher. Zwischendurch >>>> Alfred Harth geantwortet (und daraus >>>> das da verdickt). Sollte ich’s schaffen, bis TS 60 vorzudringen, wäre das bereits die Hälfte der gesamten Erzählung. Etwas verzwirbelte Chronologie, weblogbedingt, die ich für die Buchfassung doch ein wenig aufdröseln will.… ach du Scheiße! Der Treiber fürs Ifönchen ist weggeknallt, jedenfalls erkennt es der Laptop nicht mehr. Was mach ich nu’? Ich will arbeiten, verdammt! (Immerhin, laden läßt sich das Gerät noch.)

: 9.22 Uhr.

22.30 Uhr:
Cigarillo.
Die Kleine Blogtheorie blieb ein bißchen liegen, also ich schaffte weniger, als ich wollte. Dabei läuft der Text ziemlich gut. – Dafür war’s ein sehr schöner Nachmittag mit meinem Jungen, >>>> Susanne Schleyer und M.; wir saßen tatsächlich in der Sonne, vor dem „Wohnzimmer” geheißenen Kneipencafé am Helmholtzplatz und plauderten. Auch über die Messe, auf der wir uns dann alle, nur mein Junge nicht, wiedersehen werden. Mit den >>>> Kulturmaschinen telefoniert: „Azreds Buch” wird direkt auf die Messe geschickt und Mittwoch früh da sein; ich könne mir dann abholen, was ich brauchte. Da die Verleger erst am Donnerstag auf der Messe sein werden, werde ich mein Buch eher sehen als sie. Hab UF gemailt, ob wir am Mittwoch gleich drauf anstoßen wollen, also nicht auf d a s, aber aufs Buch.

Auch mit der Löwin einige Zeit über etwas telefoniert, daß ich hier nicht breittreten möchte. Aber es beschäftigt mich und hängt mit der Wut zusammen, die viele Kommentatoren gegen mich zu haben scheinen, fast eine Art Haß. An einer ganz anderen Stelle taucht der nun ebenfalls seit Wochen immer wieder auf, ich hab ihr den Link gegeben, sie hat gelesen, dann ihre Meinung dazu gesagt. Einiges hat es offenbar mit meiner Arbeitslust zu tun, die, meint die Löwin, viele Menschen abschrecken und einschüchtern könne; dann würden sie halt aggressiv. Ich erinnere mich, daß schon in der Urteilsschrift >>>> zum verbotenen Buch solch ein Satz drinstand; sinngemäß: es könne keinem zugemutet werden, mit einem ständig so produktiven Ungeheuer wie mir zusammenzuleben. Selbst die Richter haben also gezuckt. Da war Die Dschungel noch ganz neu, und ich fand den Satz einfach komisch. Das ist unterdessen nicht mehr so, weil ich merke, zu welchem Nachteil es einem ausgelegt wird, wenn man einfach mit Leidenschaft seinen Dingen nachgeht. Und nicht nur „ausgelegt”. Auch im Tunnel über der Spree des >>>> LCBs kam meine Weigerung, mit Kugeln zu würfeln, nicht wirklich gut an. Was ich aber erst sehr viel später erfuhr. Die Leute sagen einem nichts, sondern ziehen es vor, heimliche Konsequenzen zu ziehen. Wie mir diese Heimlichkeit auf den Geist geht! Diese Verkrochenheiten, Verschmiertheiten, diese Feigheit, dies Geducke! – Muß mich ablenken, ich guck jetzt einen Film. Es ist nicht leicht, vor den Menschen die Achtung zu bewahren, geschweige denn Liebe.

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