„Nicht Persien” (Junge-Lektüren ff) ODER Mitteilung an eine Geliebte. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 30. Mai 2011.

5.56 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Ich bin, meine Schöne, seit zehn Minuten vor halb sechs Uhr auf, nachdem ich einmal tatsächlich wieder frühe zu Bett kam. Was einerseits an meinem Jungen lag, der hier noch schläft, aber nicht einschlafen konnte gestern frühnacht, als ich unten vorm Haus mit M. vorm Beaker’s saß und wir zwei Feunde allerlei beplauderten: – so >>>> die Kreuzfahrt und die Ideen, die ich von ihr mitgebracht habe; – so einen anderen Freund, mit dem ich mich vor kurzem stritt; – so Südafrika & Denis Scheck, der übrigens einer der ersten Abonnenten >>>> der Dschungelblätter war; seine Karriere kam erst viel später; er hat dann >>>> MEERE lektoriert oder das doch versucht, dann kam >>>> der Prozeß, und Scheck war geschockt; so zog er sich – anders als der Verleger – von mir zurück: das war fast reflexhaft; seither haben wir vielleicht noch drei Sätze miteinander gesprochen; – so auch Αναδυομένη, die gestern vormittag plötzlich bei mir erschien, um ihre >>>> AEOLIA abzuholen, die ich ihr vor zwei Jahren schenkte, die sie aber aus nun abgelegten persönlichen Gründen nie mit heimnehmen wollte; jetzt habe ich außer meinem Handexemplar überhaupt kein andres mehr hier und kann nur hoffen, daß der Galeristenverleger noch Bücher hat und mir schickt; – so auch Helmut Krausser und private Schlösser in Frankreich, jedenfalls eines – da klingelte das Telefon: „Papa, ich kann nicht einschlafen, es ist so warm…” – Ichzum Freund: „Wartest du? Ich geh eben rauf. Die Pfeifen lasse ich hier.” Der Tatort lief im Beaker’s auf einer Großbildleinwand über den Toiletten, die Krimi-Jünger scharten sich drinnen, so daß wir draußen fast ganz alleine sitzen konnten. „Ach ja, bestell mir bitte noch ein Bier.” Dann ging ich hoch und zog meinem Buben das Bettzeug ab. „Paß auf, das ist ganz angenehm, wenn man sich einfach nur mit dem Bezug zudeckt. Und wenn es nachts dann doch noch kühl wird, ziehst du dir einfach die Decke wieder drüber.”
Ich legte mich zu ihm, er mir im dunklen Zimmer im Arm.
„Bekomme ich noch etwas zu trinken?”
Ich holte aufgesprudeltes Wasser, er trank, dann streckten wir uns für ein paar Minuten wieder nebeneinander aus, er an mir.
„Ist es jetzt besser?”
Der Kühlschrank hatte ihn nervös gemacht und daß es in der Küche knackte. Ob auch das Gas des Herdes abgestellt sei. Und was man aus dem offenen Fenster hörte. Lauter Unheimlichkeiten, die durch die Fantasien der Schlaflosigkeit hindurchkriechen konnten, weil man doch so müde war.
„Jetzt, Papa, kannst du wieder gehen. Jetzt ist es gut.”
Ich küßte ihn noch und zog wieder vors Beaker’s hinunter. Mein Junge hatte das Telefon, und hat es da noch, direkt in seinem Lager liegen.
Ich mag die Leute im Beaker’s, mag die Bedienung, deren einer quer durchs Gesicht mehrfach gepierct ist; aber das wirkt bei dem jungen Mann vollkommen menschlich, ja gütig. Eine seltsame Szene vertritt er, die mir seltsam nahgeht –
Andrerseits lag es aber, daß ich derart zeitig schlafenging, auch an meinem Muskelkater, der sich nach dem Nachmittagstraining nicht etwa zurückgezogen hätte, sondern erst so richtig hinterm Ofen vorgekommen war. „Autsch” machte ich bei jedem Aufstehn vom Stuhl und lachte, und mein Junge lachte auch. „Autsch.”

Als ich gegen halb zwölf wieder heimkam, hatte sich der Junge mein Kopfkissen von meinem Bett geholt und gegen das seine vertauscht. So schlief er tief und merkte nicht einmal den letzten Kuß, den ich ihm, vorsichtig freilich, für diesen Tag noch gab. In einer Aufwallung von Glück ging ich nun selber schlafen.
Und stand um zehn vor halb sechs auf, nachdem ich ganz von allein um zehn vor fünf schon wachgeworden war, mich aber noch einmal umgedreht hatte nach dem kurzen Besuch des Morgenklos.
Den Latte macchiato bereiten und, während das Wasser erhitzt, die Morgenpfeife stopfen. Den Tag planen, im Kopf: Vormittags Ricarda Junge weiterlesen; „Nicht Persien” ist der Titel der vorletzten Erzählung ihres Prosabändchens >>>> „Silberfaden”, 2002 bei Fischer erschienen. In jeder Erzählung ist Unbehaustheit das Thema, meist eine seelische Unbehaustheit, bisweilen bricht aber auch jemand aus oder versucht das. Bleibt im Netz, ohne aber drin aufgehoben zu sein. Wie erzähle ich das in einem Hörstück, ohne es zu referieren? Mit einer Erzählung, „Angst”, habe ich die Idee, ein paar kleine Partien aus ihr dialogisch zu dramatisieren: eine Szene für zwei Sprecher draus zu schreiben. Dann brauche ich zwei sehr junge Sprecher, weiblich und männlich. Mal sehn.
Gut.
Mittags ab 13 Uhr wieder Training, danach, um 15 Uhr, Treffen im >>>> Elfenbein-Verlag. Zwischendurch die Fahrkarte für die morgige Fahrt nach Kiel besorgen; mittags will ich ankommen, um 14 Uhr wird die erste Veranstaltung, >>>> an der Uni, beginnen, abends werde ich aus den >>>> Elegien im Kieler Literaturhaus lesen. Das annonciere ich nachher noch und setz es auch bei Facebook rein. Übermorgen abend dann lese ich bereits wieder, allerdings Erzählungen, in der Berliner Nähe: im >>>> Café Rückholz in Potsdam.
Nach dem Treffen im Verlag bereite ich mich auf morgen vor: zu packen ist nicht viel, allerdings sind THETIS-Exemplare mitzunehmen. Manchmal bin ich wirklich dankbar, >>>> wenn jemand ohne jede Bosheit, sondern einfach nur klar, interveniert. Wie wohltuend das ist!

Nun, Geliebte, weißt Du, wie es mir geht. Hab einen wunderschönen Tag.

8.20 Uhr:
Nun ist mein Bub schon fort (Bub? R a c k e r!), und wir, Geliebte, haben telefoniert. Die Leute in Wien mit dem Zirkus unterm Herzen (Heller: Wienerlied), Johann Strauss, der seinen Schnurres vor der Sonne schützt, aber ansonsten im Maritim auf der Dachterrasse liegt und sich in seinen Einfällen sonnt, von deren einem Johannes Brahms aufs Programheft schrieb: „leider nicht von mir”. Das stell ich mir so vor, Du >>>> auf dem Quartier, ich wie dort auf dem Sofa. Und in die Unbehaustheit zurück:Karims Lippen waren hautfarben, beinahe weiß, die Bartstoppeln dunkel, die Schneidezähne standen schief, der rechte war über den linken geschoben. Karim hatte schwarzes Haar, schwarze Augen, manchmal hob er die Hand wie seine Madonna. Laß das, sagte er dann. Stell sie wieder hin. Komm jetzt nicht näher. Geh, – bitte.
Ricarda Junge, Nicht Persien.

Wenig Fremdes. Auffällig ist die Leidenschaft für das, was man kennt. Fast generell. Die eigene Lebenswelt beschreiben, ja sie dokumentieren, sozialdirekte Umwelt-Poetik. Ein völlig anderer Ansatz als meiner.

Nachmittags:


[Vor dem Verlag.]

20.10 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Ricarda Junge, >>>> Kein fremdes Land, S. 213. Wahrscheinlich bekomme ich das Buch heute noch durch. Heute früh habe ich >>>> Silberfaden beendet. Morgen für die Reise >>>> nach Kiel nehme ich >>>> Eine schöne Geschichte mit, ebenfalls zur zweiten Lektüre.
Notizen im Buch, weitere Dramatisierungs-Ideen.

Gutes Gespräch mit dem >>>> Elfenbein-Verleger; es geht vor allem um >>>> ARGO. Sowie das Hörstück fertig ist, nehme ich das Typoskript wieder vor. Parallel dazu, im August, muß der zweite Jungenroman geschrieben werde; Abgabe ist bereits im September. Unter Arbeitsmangel kann ich nicht klagen.

Weiterlesen. Und meine Sachen zusammenpacken für morgen, 8.57 ab S Prenzlauer Allee, Ankunft in Kiel um 12.36 Uhr. Ich werde am Bahnhof abgeholt und direkt in die Uni gebracht werden.

5 thoughts on “„Nicht Persien” (Junge-Lektüren ff) ODER Mitteilung an eine Geliebte. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 30. Mai 2011.

  1. Bub? Racker! Wie fein beobachtet.Ja, die Jungs. Was machen seine Cello-Fortschritte, von denen Sie mit verständlichem Stolz immer wieder berichteten. Schade übrigens, daß Sie selbst das Instrument mit dem Crosstrainer gewechselt haben. Sehe mir immer noch einmal gern ihre Fotos an, das Cello als Reisebegleiter. Nur auf Ihrer Kreuzfahrt war es wohl nicht dabei? Racker! Ja, der Ausdruck gefällt mir.

    1. @Ulla zum Sport. Der Crosstrainer kam ziemlich lange n a c h und war auch v o r dem Cello, das ich schlichtweg deshalb nicht weiter erlernen konnte, weil ich bei meinem Arbeitsaufwand keine drei Stunden mehr fürs tägliche Üben zur Verfügung hatte. Ich mußte mich entscheiden.
      Der Sport nun hat gesundheitliche und kosmetische Gründe: ich mag keinen Bauch, auch nicht den Ansatz eines Bauches. Zumal habe ich jahrelang Leistungssport (Cardio und Kraft) betrieben, den ich wegen einer Entzündung des Schultergürtels, die Sportfolge war, unterbrechen mußte. Da ich für meinen Sport sowohl das Frühstück als auch das Mittagessen streiche, fällt er zeitlich etwas, aber nicht zu sehr ins Gewicht. Und ich schließe ans alte Training wieder an. Es ist ziemlich erstaunlich, wie schnell sich der Körper erinnert und wie schnell er alte Werte wiedererstreitet: lauter kleine Erfolgserlebnisse, die ausgesprochen wohltuend sind. Es ist wie mit der Mathematik: die richtige Leistung erzeugt das angemessene Ergebnis – anders als im Kunstbetrieb, wo Leistung eine vielleicht notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für den Erfolg ist. Insofern bedeutet der Sport für mich Erholung und Entspannung.
      Der Junge wird immer besser am Instrument, auch wenn seine Neigungen deutlich woanders liegen: beim Schlagzeug und auf dem Skateboard. Er lebt, nur darauf kommt es an.

    2. Wieso ist das seltsam, als Ulla schreiben Sie ja auch etwas schmierig ironischer, dass nur ein durch und durch misstrauischer Mensch gleich wieder den Übewill liest, so gesehen, ja zur Hölle mit diesem ich nehm Dich und Deinen Bekenntnisdrang mal aufs Korn Gefiese lieber Schriftsteller, aber dann doch heimlich Tagebücher von toten Internetlosen lesen und Brinkmann für nen tollen Autor halten, böh, weil der schwatzhaft vor der Schwatzhaftigkeit war und den Arsch seiner Marlene bei jeder Gelegenheit an die Öffentlichkeit zerrte, ihr habt doch alle so einen riesen blinden Fleck auf der Hirnrinde, da möcht man schon auch manchmal weinen bei so viel Einfalt aus den Pleistozäen der ready made Maschen. Duchamp hätte mit euch kein Schach spielen wollen.

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