6.03 Uhr:
[Solfatara, An der Korkeiche.]
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Fasziniert sah ich den Männern zu in der sehr engen Backstube, wie sie umeinander arbeiten, mit welcher Geschwindigkeit, auch: mit welcher Eleganz, und wie unentwegt sie arbeiten, da ist keine Minute zum Reden. Der Schweiß läuft unter den roten Käpppis hindurch. Manchmal hebt man die Wasserflasche, um tiefe Schlucke zu nehmen. Die Pizza sei besser, behauptet mein Sohn, als die des teuren Restaurants vom Abend zuvor.
Den Wein kann man gekühlt in dem kleinen Laden kaufen, um einfaches Geld, der von dem Barbetreiber betrieben wird, seiner Frau, heißt das; es gibt hier auch Käse und Wurst und Brot, sonstige Getränke, paar Süßigkeiten, Spaghetti und Sugo usw., sowie frisches Gemüse und Pasticceria; alles ein wenig teurer als draußen, in der Peisgestaltung aber immer noch moderat genug, um viele von einem Einkaufsgang hinaus Abstand nehmen zu lassen, und sowieso, wenn man beisammen sitzt, keine Kühltaschen hat und scharf auf kalte Getränke ist.
Die Bar öffnet um acht; ohne Kocher ist Kaffee nicht vorher zu haben, jedenfalls nicht vor halb acht, wenn aufgesperrt wird und die Reinigungsfrau die Scheiben an den Auslagen putzt. Die meisten Camper stehen sowieso nicht sehr früh auf, es sei denn zur Ab- bzw. Weiterfahrt.
Eine weiße Taube trippelt mechanisch neben mir, weitere trippeln, schauen mit den nickenden Köpfen nach Speiseresten. Der Wind scheint gedreht zu haben: heute weht er zum Zeltareal Geruch von Schwefel herüber; bis eben war davon gar nichts zu merken. Wir hatten Scirocco, so daß über den gesamten Tag ein Wind, teils auch böig, ging, was angenehm ist in der Hitze. Und abends halt wird es kühl im Krater, so daß Schlaf garantiert ist. Ich mußte sogar, als es dunkel wurde, zwei meiner Schals über den Nacken, die Schultern und den Rücken legen; so sitze ich hier auch jetzt.
Also Neapel.
Es wurde später, als ich wollte, daß wir aufbrechen konnten. Was an der WiFi-Verbindung lag, die ich doch unbedingt herstellen wollte. Zwar wurde das hiesige Netzwerk erkannt, aber ich bekam keinen meiner Brouwsers auf. Das lag deutlich nicht an der Verbindung, sondern, wie ich dann herausbekam, an der DNS-Einstellung meines Laptops. Davon abgesehen, ist das drahtlose Netzwerk nicht überall gleich stark, bisweilen fällt das Signal völlig aus. Doch ich bekam’s in den Griff. Mobile Telefone funktionieren hier übrigens gar nicht, weshalb man auch nie jemanden mit dem Handy am Ohr sieht; höchst ungewöhnlich. Man muß zur Straße hinaus, um wieder Empfang zu haben, und zwar egal, über welchen Provider man versorgt ist. Die Kraterwände, an die mancherorts oben die Häuser direkt herangebaut sind, schirmen uns ab, die wir von Google’s World >>>> folgendermaßen GOOGLEWORLD-LINK beobachtet werden.
Also Neapel.
Zwanzig Minuten Buswarterei, bis wir einsteigen könnten. Mit Elan die hohe Felsstraße entlang. „Gut”, sagte Mart, „daß wir keinen holländischen Busfahrer haben. Sonst wäre es lebensgefährlich.” „Und bei einem deutschen”, ergänzte ich, „brauchten wir bis heut abend.”
Wir wollten über die Märkte schlendern und taten’s. Ein paar Süßigkeiten hier, für die Zwillingskindlein zwei neue Garderoben, immer mal wieder einen Caffè, eine Lemon Soda, vor allem Granite für den Jungen. Nach Schuhen geschaut, aber alles flanierend; ich will am Montag ohnedies noch einmal hin. Neapel ist seit langem die mir liebste Stadt; das schließt sogar Berlin ein. Allerdings, Kultur ist dort teuer. Im Teatro San Carla, auf einer der berühmtesten Opernbühnen der Welt, wird morgen abend Keith Jarrett spielen, allerdings nicht solo, sondern in der Formation seines Trios. Einem Soloabend könnte ich nicht widerstehen, auch wenn die Kartenpreise mein Reisesalär völlig sprengten. Hätte ich mich besser vorbereitet, ich hätte von Deutschland aus Die Dschungel akkreditieren lassen. Nun denn. Und am Mittwoch gibt’s Leoncavallos Pagliacci; das wäre erschwinglich. Man kommt wahrscheinlich, mit der letzten Metro, auch noch bis Pozzuoli-Solfatara zurück. Nehme ich an. Werde ich gleich im Netz überprüfen. Die Metro Neapels hat deutlich Regionalbahn-Character, jedenfalls unsere Linea 2; bereits in Merghellina fährt sie übertag; der Bahnhof dort sieht wie ein gründerzeitlicher Fernbahnhof aus und wird tatsächlich von der FS betrieben; die Waggons rattern wie vor vierzig Jahren, und nicht alle Türen eines Zuges lassen sich öffnen: längst derart verblaßte Warnaffichen, daß man sie für vergessen hält, teilen einem das mit.
In Napolis Zentrum bekommt man den Skandal um die Müllverbrennung kaum mit, in den Vorstädten aber türmen sich die unter der harten Sonne stinkenden Berge zum Platzen gefüllter Plastiktüten bisweilen meterweit. Dennoch wirkt die Stimmung unangespannt auf den Fremden, locker fast und abwartend, die sogenannten Krawalle, die eben nicht solche, sondern ein mehr als berechtigter Protest sind, kommen einem wie fernstes Hörensagen vor.
(Ich brauchte noch einen weiteren Schal für den Rücken; so kühl ist’s heut früh. Zwei Zelte weiter baut jemand seine Bleibe ab.)
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Die Galeria Umberto II, direkt gegenüber dem San Carla, ist endlich fertiggeworden. Seit Jahren kenne ich sie nur voller Renovierungsgerüste; das herrliche Glasdach war kaum mehr zu sehen. Jetzt aber kann man die italienische Kunst, Häuser zu restaurieren, ungestört und lange betrachten. In Deutschland wirken die Ergebnisse solch architektonischer Restaurationen meist irgendwie nach Plastik oder Biedermeiers Puppigkeit; hier hingegen wird immer gleich auch Leben mit hineingestaltet. So stand ich da, einmal wieder, staunend mit dem Kopf im Nacken.
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Ah ja, und aus Deutschland kam >>>> von Stang die Bitte um eine englischsprachige Biografie wegen irgend einer Veranstaltung, an der ich, wenn es nach ihr ginge, teilnehmen solle. Sie scheint da wieder was einzufädeln. Aber mein deutscher Alltag ist fern bereits jetzt, fiel einfach so ab. Die Sonne steigt übern Kraterrand.
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11.10 Uhr:
[An der Korkeiche. Keith Jarrett: Napoli 1996.]
So, hab nach dem gemeinsamen Latte macchiato mit meinem Jungen erst einmal Ordnung geschaffen im Zelt und draußen und meinen schönen Arbeitsplatz endgültig eingerichtet. Sogar die kleinen Boxen kommen jetzt zum Einsatz. Nur der WiFi-Zugang funktioniert wieder nicht. Dabei bin ich mit dem Netz deutlich verbunden. Irgend eine Einstellung in meinem Laptop hat sich wieder geändert, und nach fast zwei Versuchsstunden geb ich’s jetzt auf. Werde nachher, was ich ohnedies vorhatte, nach Pozzuoli hinunterspazieren und dort ein Internet-Café suchen, in dem ich meine Eintragung in Die Dschungel stellen kann.
BILD RECHTS Solfatara 10Ich bin nicht verärgert, gar nicht, denn daß ich hier überhaupt, und so angenehm plaziert dabei, schreiben kann, ist ganz wunderbar. Richtig Lust hab ich nun drauf .
6.17 Uhr:
[Solfatara, An der Korkeiche.]
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Nun kam’s zur Arbeit dann doch nicht. Der Junge rief. Ob ich nicht auch ins Wasser käme? Ich will und muß mir sagen, daß es auch immer darum geht, Zeit mit ihm zu verbringen. Er ist äußerst rücksichtsvoll, stets, mag mich nicht stören, und manchmal bin ich ein wenig viel auf meine Arbeit konzentriert; Freunde sagten schon, er werfe oft Blicke auf mich, ob da gemeinsame Zeit ist. Andererseits schließt er sich aber gerne auch anderen an, wie nunmehr den beiden Niederländern, vornehmlich ihr. Er hat einen deutlichen Hang zu blonden Frauen. Und aus dem Swimmingpool ist er kaum rauszukriegen. Kam aber gestern doch mit nach Pozzuali hinab. Erst einmal in das Amphitheater, dem drittgrößten überhaupt der römischen Ära; eine Arena des blutigen Volksvergnügens: hier traten Gladiatoren gegen die fremde Tierwelt an, gegen Löwen, Leoparden, sogar ein Kampf gegen ein Krokodil ist auf einem der Mosaiken abgebildet. Das freilich nicht mehr in der Ausgrabung, sondern im Museum zu finden ist, ein paar Straßen tiefer.
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Wir schritten oben auf der Mauer, kehrten um.
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Ich hatte ein frisches Brot kaufen wollen, aber sonntagshalber waren außer einer Gemüsehandlung alle Geschäfte geschlossen. Wir nahmen Tomaten mit, Zwiebeln, vier Zucchini, ich fragte nach dem Brot, er, der Händler, bedaure. Dann hob er einen Finger. „Warten Sie mal einen Moment… ein großes oder ein kleines?” „Ein halbes.” Er verschwand hinten im Laden, kam fünf Sekunden später zurück und drückte mir ein halbes Brot, noch in der Papiertüte, in meine Hand. Das sei übriggeblieben. Was er dafür haben wolle? Ach was, es sei doch nur ein kleines Geschenk.
So spazierten wir den Berg nach Solfatara wieder hinauf. An der Bushaltestelle standen zwar Leute, es sah nach einem Bus aber nicht aus. Drei oder vier Kilometer aufwärts, mein Bub Hand in Hand mit Laura, der Holländerin, wir zwei Männer immer vorweg. Erst, als wir um die letzte Rundung bogen, von der aus es bis zum Eingang in den Krater vielleicht noch dreihundert Meter sind, fuhr der Bus an uns vorbei. So hatten wir immerhin Bewegung gehabt.
Ein geöffnetes Internet-Café habe ich nicht gesehen, auch keines, das geschlossen hatte. So konnte ich meinen Text dann doch nicht mehr einstellen, denn auch meine erneuten, abendlichen, Versuche, hier ins WiFi zu kommen, schlugen fehl; übrigens auch mit dem iPhone; es scheint also wirklich nicht am Laptop zu liegen. Und soeben – ah! kommt die Sonne wieder übern Kraterrand. Sofort wird es warm. (Nachts wird es feucht, alles ist klamm, im Zelt sogar; die Stoffe fassen sich stumpf an; dann braucht es eine Sonnenstunde, bis die Sachen getrocknet sind; staubtrocken dann. Mal sehn, wie lange mein Laptop das mitmacht. In Berlin noch fand ich alte Miniaturboxen, die ich gestern an einem der USB-Ports anschloß, so daß ich leise Musik hören konnte: etwas Schubert, ein wenig Scarlatti -)
Heute also. Unser vierter Tag hebt an. Mein Junge möchte mit den beiden Niederländern nach Ercolano/Herkulaneum fahren; mir ist nach Napoli. Er will sich beim Frühstück entscheiden. Die Freunde wollen danach in eine Pastafabrik fahren, um sie sich anzusehen; unser niederländischer Freund hat Koch gelernt und ein paar Jahre auch in dem Beruf gearbeitet, bevor er Jura studierte. Dies nicht, aber jenes kommt uns abends zugute, wenn wir gemeinsam sitzen und essen. Das Paar hat sogar einen dreiflammigen Campingherd dabei und zudem einen Grill. Ich werd mal schauen, ob ich aus Napoli Calamari mitbringen kann. Das wäre aber nur praktikabel, wenn ich auch nachmittags noch frischen Fisch entdecke; am Markt morgens mag ich nichts kaufen, um es nicht durch den ganzen heißen Mittag und Tag mit mir zu schleppen, zumal die Früchte des Meeres so sehr schnell verderben, wenn sie an Land sind.
Ich hätte den Jungen gern bei mir, aber möchte ihn nicht drängen; er soll tun, wozu ihm eigentlich ist. In jedem Fall werden wir uns alle heute abend wieder hier treffen, und für morgen ist ein Ausflug nach Procida geplant: mit der Fähre hinüber an einen Strand für den Tag.
Mein erster Weg, nachher in Neapel, wird in ein Internet-Café führen.
Leser. Wir leben, meine Junge und ich. Und leben gut. – Arbeit? Was ist mir grad Arbeit? Aber jetzt erstmal alles dieses auf den USB-Stick ziehen. Und dann ab zum ersten Caffè.
11.55 Uhr:
[Napoli, punto d’internet, vicino mercato vecchio (Porto).]
Kleiner Rundgang durch die Stadt; mein Junge ist mit den Freuden fort. Ein wenig fehlt er mir nun doch. Aber ich bin in Neapel. Erst einmal diese Arbeit erledigen.
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