Liliana Ahmetis Warum ich kein Model geworden bin. Part 14

Dein Arm um meinen Hals, zogst du mich an dich. Warm waren deine Lippen. Deine Zunge spritze in meinen Mund. Dein Blut tropfte über die Mauer in den Fluss. Ich saugte an dem Schnitt. Ich trank es. Ich ließ es aus meinem Mund in den Fluss. Dein Arm auf meiner Schulter, so schwer. Dein weisses Bein legte sich um meines. Deine Lippen wurden kalt. Du nahmst meinen Kopf wie einen Ball in deine Hände und deine Zunge schnitt eine Hieroglyphe an die Decke meines Gaumens. Und ich trank soviel von deinem Blut wie ich konnte. Und dein Blut wurde weiss wie deine Haut. Und ich trank es in mich hinein wie Milch. Die Nacht wurde weiss wie dein Blut. Und ich konnte es bei mir behalten. Und dann war alles still. Und deine Hand an meinem Hals, leicht wie eine Feder. Und dein Blut tropfte in den Fluss. Ich hielt dich lange, so lange. Und dann, mit einem Lidschlag, rolltest du mir aus den Armen in den Fluss.

Ich lag auf dem Rücken und schaute zu wie der Himmel aufriss und die Sterne verblassten. Während du auf den raschelnden Grund des Flusses sankst. Ich wollte die Tabletten schlucken und sie mit dem Gin runterspülen, als eine Clique von Leuten herankam. Sie setzten sich ein paar Meter von mir entfernt auf die Kaimauer, machten Bierflaschen auf, redeten und lachten und dann kamen die Marihuanaschwaden. Ich stand auf.
„Hey!“ rief eine Stimme: „Wir wollten dich nicht vertreiben – komm her und rauch was mit uns.“
Ich ging den knirschenden Kiesweg entlang und wischte mir das Blut von den Lippen. Von der Brücke aus sah ich, dass sie ein Feuer hatten. Ein Leuchtfeuer brannte wo wir uns verloren. Ich warf mein Handy ins Wasser, glitt durch die Straßen, wusste nicht mehr wohin. Das Gehen selbst war alles was ich spürte. Der Himmel im Osten wurde fahl. Und dann fand ich mich vor deinem Haus. Dein Fenster stand offen, Licht in deinem Fenster. Und einen Moment lang dachte ich, ich käme, um dich abzuholen an diesem Abend. Ich hatte den Schlüssel immer noch in meiner Tasche. Als ich die Wohnungstür aufschloss wischte die Katze fauchend heraus und verschwand auf der Treppe. Ich sah mich im Spiegel, Blut im Gesicht, Blut auf meinem Hemd. Niemand hatte mich gesehen. Es war als käme ich heim. Ich holte die Ginflasche aus der Küche und fand das Manuskript mit dem Titel: Warum ich kein Model geworden bin auf deinem Schreibtisch, neben dem Computer, und fing an zu lesen.

Ich weiss nicht, wie lange ich las. Aber ich las bis zum letzten Satz. Und die Sonne ging auf und wieder unter. Und ich litt, lachte und weinte. Die Schönheit deiner Seele infiltrierte mich und füllte mich ganz aus. Sie füllte mich aus, bis kein Raum mehr für mich blieb. Alles warst du. Ich war nur noch was du warst. Ich konnte mich mit deinen Augen sehen, und dich in meinen gespiegelt. Der Abendhimmel über der Stadt war endlos und leer. Das Licht war staubig und safrangelb, wurde golden, blaute nach wie in Zeitraffer oxidierendes Kupfer, dann wurde es rosenrot. Eine fedrige Wolkenbank, gerippt wie Sand in seichtem Wasser mit einer grell glutroten Bauchseite hing im Westen. Es gab das Sein und es gab das Nichts. Die Welt war auf eine vollkommene Art leer – ohne dich. Ich legte mich auf dein Bett und schloss die Augen. Ich existierte und folgte dir langsam nach. Ich stand auf, trank Gin und schluckte ein paar Tabletten. Das Tippen fing an mir Schwierigkeiten zu machen. Ich war eitel und schrieb schlecht. Ich kippte den vollen Aschenbecher aus dem Fenster. Und einen Moment lang hatte ich das Bedürfnis, eine kalte Dusche zu nehmen und wegzugehen. In einer Schachtel neben deinem Bett fand ich Geld, acht Tausend Euro – und einen Goldring, einen Ehering. Ich fürchtete, dass das alles ein Traum wäre, aus dem ich erwachen würde, in meinem blauen Schlafzimmer, ohne dich jemals gekannt zu haben. Ich setze mich an den Schreibtisch und schreibe weiter. Ich will nicht weggehen. Es gibt keinen anderen Ort mehr, an dem ich sein will. Zwischen Tabletten und Gin werde ich sterben. Und ich mache weiter. Solange ich weiter mache gibt es dich noch. Solange es mich gibt, gibt es dich. Es hatte uns gegeben. Immer wieder treibt mir das Bild strudelnden Wassers vors Auge. Ein Wehr, schwarzes Wasser und weisser Schaum. Das Rauschen des Wassers übertönt alles. Und als ich noch einmal las, wie du, als wir uns zum ersten mal trafen, nach meinen ersten idiotischen Worten um ein Haar weggegangen wärst – da stockte mir der Atem. Wo wärest du jetzt? Wie vergeblich wäre alles gewesen.

Ich war eingeschlafen. Und ich träumte, wir waren in einem Bauernhof an einem reissenden Fluss, an einem Wehr. Es war so laut, dass wir kein Wort wechseln konnten. Wir schwebten umschlungen über dem Wasser. Ich träumte, wir fuhren durch eine Gegend die ich kannte, und die mir doch fremd war, in eine Stadt, die dir gehörte, eine unterirdische Stadt, in der du seit jeher gelebt hattest, und in die du mich jetzt mitnahmst. Wir kamen heim. Unsere Körper verwandelten sich, wir wurden zu Turmfalken und landeten auf unserem Horst auf dem Dach einer schwarzen Kathedrale. Ich sah eine Frau von einem der brennenden Türme in NY fallen, ihr blondes Haar wie eine Flamme lodernd. Ich stand in der Gluthölle einer Wüste vor meinem eigenen Skelett. Wir schliefen miteinander in einer dunklen Höhle, wir waren behaart und grunzten wie Tiere, gespiegelt im Auge eines Säbelzahntigers. Wir gingen Hand-in-Hand auf einer Prachtstraße in Mesopotamien. Wir saßen an einer Tränke, Engidu und Gilgamesch, und du warst tot und verwestest vor meinen Augen, und ich brüllte und weinte und berührte dein verwesendes von Würmern zerwühltes Fleisch. Und dann fiel Schnee und erstickte alles in endlosem Schweigen. Ein Blutstropfen aus der Halsschlagader einer weißen Taube fiel in den Schnee.
Jeder einzelne Nerv in meinem Körper schrie und lechzte nach dir. Du warst das Glück das einen erfüllen kann, ohne dass man es besitzt.
Ich dachte an meine Leben, das erste, allein und umschwärmt, dann das mit meiner Frau und den Mädchen, mein Leben als Schwimmer und wenig gelesener Schriftsteller. Und dann das Leben, von dem ich von Zeit zu Zeit etwas geahnt hatte – und das erst du aufgeschlossen hast. Das lange, erwartungsvolle Leben bevor ich dich zum ersten mal sah.
Ich lebte ein total verzerrtes Leben, als ob es ein wirkliches Leben gewesen wäre, ein Leben das nicht lange durchzuhalten war, dachte ich: dann war ich fünfzig und so gut wie tot. Und jetzt liegst du wie eine Schlange in meinem sterbenden Gedächtnis. Und irgendwo tief hinter deinen samtschwarzen Augen führst du ein verborgenes Leben um das ich dich beneide, beneide.

Gott – falls es ihn gibt, ist ein ganz gewöhnlicher Mörder, die Hure des Universums. Ich gehe nackt durch die Wohnung und trinke und schlucke die Tabletten. Es gibt nichts mehr zu tun als zu warten bis die Stoffe wirken. Ich erreiche dich jetzt nicht mehr. Es ist zu spät. Du starbst wie ein Vogel in der Luft. Ich stürze ab wie ein überladener Frachtjet, kurz nach dem Start. Ich sehe meinen verbrauchten Körper, dem du so nahe warst wie dir selbst, im Spiegel. Und es dunkelt in mir. Ich schreibe das auf, aus irgendeinem Grund. Ich war überrascht und maßlos entzückt, das zu lesen. Ich würde es gern noch einmal lesen. Aber das Zeug rafft mich weg. Ich ziehe dein Kleid an und lege dein grünes Seidentuch um meine Schultern. Ich ziehe den Lippenstrich nach. Meine Brustwarzen schmerzen. Ich bin unberührbar. Ich schalte jetzt den Drucker ein, schaue nach, ob genug Papier im Schacht ist und drücke die Enter-Taste. Ich war immer vorbereitet auf einen Moment wie diesem.
Liliana – ich liebe Dich. Seitdem ich deine Stimme nicht mehr höre, höre ich nichts mehr. Ich werde jetzt den Rest der Tabletten schlucken und sie mit dem Gin runterspülen und mich dann aufs Bett legen. Und noch etwas: es liegt in der Natur des Künstlers, in den Dingen etwas sehen zu müssen, das andere nicht sehen können.

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