Die Coachin. Im Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 22. September 2011. Aus Frankfurtmain (ff).

Ich werde gecoacht. Eine ziemlich neue Situation für mich. Ab Freitag abend dann das Seminar: kreatives Schreiben für junge Hochbegabte mit, wie das unterdessen, weil die Sprachbereinigung durchschlug, genannt wird: Migrationshintergrund. Wieso nicht mehr gesagt werden darf, daß es sich um einen Emigrations-, bzw. dann einen Immigrationshintergrund handelt, ist mir nach wie vor unklar; als Erklärung fand ich bisher nur, daß „Enigration” bedrohlich klinge – was dann so wäre, als wäre nicht der Emigrant bedroht gewesen, oft an Leben und schwer an der Seele, sondern der Einheimische sei es, und auf ihn sei Rücksicht zu nehmen, der tief in dem Speck lebt. Da liegt schon einmal die Lüge, hinter der ein kindermagischer Glaube steckt, ändere man die Wörter, sei damit auch der Sachverhalt aus der Welt. Zumal viele der Wörter dann auch noch falsch werden, in ihrer Anwendung. Treffe ich einen Lehrer in der Kneipe, so ist er und ist auch die Lehrerin nicht etwa eine „Lehrende”, sondern eine Trinkende oder Essende oder, wenn sie Glück mit dieser Kneipe hat, Rauchende. Desselbe gilt für Studierende, für die oft genug ebenfalls gilt, daß sie nicht einmal studieren, wenn sie im Seminar sitzen; vor fünfundzwanzig Jahren saßen da zum Beispiel der Strickenden viele.
Aber etwas andere stört mich besonders. Indem man die Bedeutung von Wörtern umschönt, kann nicht mehr verstanden werden, was jemanden wirklich aus der Heimat trieb. Wenn etwa ich, wie ich’s zur Zeit vorhabe, nach der Volljährigkeit meines Jungen nach Neapel ziehen werde oder nach Bombay, dann werde ich ganz sicher, oder hätten dann dort mir geborene Kinder, einen Migrationshintergrund; ich wäre aber ganz sicher kein deutscher Emigrant, einfach, weil ich aus lauter Lust und Luxus und nicht aus Not das Land gewechselt hätte, etwas, das man von den meisten derer eben nicht sagen kann, leider nicht, von denen heute gesagt wird, daß sie einen Migartionshintergrund hätten. Damit sind dann aber Prozesse nicht mehr zu verstehen, etwa die, sich in der Fremde eigene Kultur irgendwie noch bewahren zu wollen, und auch nicht mehr die Konflikte der in der neuen Heimat geborenen Kinder, die das womöglich nicht mehr wollen, aber gegen ihre Eltern durchsetzen müssen – und nicht nur gegenüber denen, sondern auch gegenüber vielen anderen, den erst einmal Fremden. Was es bedeutet, zwischen Kulturen zu leben, fällt untern Tisch, weil es nicht mehr geäußert werden darf.
„Es sind alles junge Deutsche, darauf legen sie wert”, coacht mich meine Coachin. So daß ich einwende: „Aber was ist gemeint? Der Eintrag im Ausweis? Wo bleibt die kulturelle Bestimmung, wo bleibt die Herkunft, also gelebte Erfahrung? Deutsch zu sein (englisch, französisch, türkisch, persisch oder iranisch zu sein) wird zu einem rein formalen und damit flachen, nämlich einzig administrativen Zeichen, das die Verwaltungszugehörigkeit, nichts mehr, meint. Stimmt das so denn? Und nehmen wir uns und den anderen nicht die Chance, uns gegenseitig kulturell zu bereichern – so, wie Kultur immer funktioniert hat: als sogar ein genetischer Schwamm?”
So diskutieren wir – mitunter auch eine Spur härter. Was mich derart beschäftigt, daß ich halb spöttisch, halb verärgert >>>> dort herumformulierte. Dabei müßte ich dringend meinen Aufsatz über die Oper der Gegenwart weiterschreiben. Doch etwas Korrektes dadurch ausdrücken zu müssen, daß ich – wie im Fall der „Studierenden” – grammatisch inkorrekt werde, und damit vor allem: semantisch, brachte mich noch jedesmal die Wände hoch.

(Heißt es also, ist ein Coach weiblich, „die Coach”? Da bekam ich Widerspruch, denn das sei ein Fremdwort. Ich schlug „Coachin” vor, weil mir das der deutschen Sprache sehr angemessen zu sein scheint: das Fremdwort wird assimiliert, also kulturell behandelt zum Eignen genommen. Doch werden wie bald „Gastwort” sagen müssen, danach irgendwann, wahrscheinlich, „Migrationswort” – ein Ausdruck, bei dem „Migration” aber auch stimmte. Die Abwehr des Fremdworts entspricht der Abwehr des Fremden – so steht es irgendwo, sinngemäß, bei Adorno; wenn ich mich recht erinnere, in der Minima Moralia.)

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