Rausch & Erkenntnis Aus den Skizzen (2).

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Nicht einer befreiten Gesellschaft, wäre Adorno posthum zu entgegnen, stirbt die Kunst ab, sondern einer, die gleichgeschaltet stillgesetzt ist, im scheinbar sanften Gegenteil von Befreiung. Oper als Soma. Soma ist ein Tranquilizer. Nicht, daß es das nicht ebenfalls gäbe, doch gerade der „bürgerlichen” Oper Kennzeichen ist Hysterie: eine aufgetriebene, radikale Emotion, die Leid nicht mildernd ritualisiert, sondern in ungehemmtem, bzw. allein durch tonale Klangsysteme gebundenem Ausdruck ihr eigenes Ritual – ontologisch – i s t. Das gleicht den Klageweibern mancher Kulturen, aber kommt, mehr als daß es Klage wäre, einem Anklagen gleich. Da wird der Tod nicht verdrängt. Ein leises Befrieden findet nicht statt, indessen selbstverständlich doch, was den Rationalisten seit jeher Dorn in den Augen, die karthatische Läuterung, die aufgrund eines perversen Prozesses funktioniert, der Kunst seit jeher eigen war: das vorgeführte Katastrophale wird in die Lust des Rezipienten verwandelt. Dabei handelt es sich nicht, wie die Kritiker wollen, um Befriedung, sondern um eine Form der Bearbeitung ansonsten nicht ertragbarer Traumata. Diese Art Verarbeitung macht eine Konfrontation auch überhaupt erst möglich, so daß die Oper gerade, indem sie überkommen zu sein scheint, ihr Potential entzündet, jeglicher Stillsetzung zuwiderzulaufen, und zwar in Stücken sogar, die von Emanzipation sowohl der Kunst wie des Einzelnen noch gar nichts wußten, als man sie schrieb. Oper verbindet, als Form, die Totalität der Illusion, einem Verschleierungszusammenhang ihrerseits – aber eben genau des Manipulativen, nach dem es den Konsumenten verlangt, weil es ihn Glück spüren läßt – mit der epischen Distanz Brechts, die das Geschehen auf der Bühne vom Zuschauer wieder fortrückt, damit gedacht werden kann. Problematisch wird es alleine dort, wo dieses Denken selbst, ideologisch, zu politischen Klischees gestanzt ist, also nicht da, wo sich der sinnliche Eindruck überwölbt, sondern vielmehr dort, wo ihm die Inszenierung grob zuwiderläuft, indem sie das konkrete Einzelne zum Lehrfall abstrahiert und damit reduziert, oder indem es grotesk veralbert – die beiden Fußangeln, die jedem Regietheater gestellt sind. Aber selbst dort wirkt korrigierend die Musik und wahrt eine sakrale Würde des Einzelnen; das gilt auch für Typen, nicht nur für Charactere. Indem durch das Zusammenwirken von Klang, Personengestaltung und Bild sowohl Einfühlung als auch rationale Distanz erreicht werden können, ein innerer Widerspruch also spürbar wird, werden Konflikte sehr viel tiefer ins Publikum gepflanzt, als einfaches Theater, zumal brechtsches, das erreichen könnte. In diesem Sinn ist das Musiktheater moderner als die Sprechbühne und kritischer als der Spielfilm; kritischer bedeutet hier: politischer, ja man kann an den jüngsten großen Sprechtheater-Inszenierungen sehen, wie sehr sich sogar umgekehrt die Opernkonzeption dort eingeschrieben hat.

2 thoughts on “Rausch & Erkenntnis Aus den Skizzen (2).

  1. vgl. etwas simpler Grand Guignol oder Teatri dei Pupi oder generell die Inszenierung des schier Überwältigenden als (sic!) eben doch nicht Überwältigendes (auch Moritat, Thriller et al), mit der ‘die Kunst’ (oder was auch immer) schon immer starb und dennoch, grandios oder pompös zu Grabe getragen, stets wieder aufersteht – eine Kunst, die nur ‘die Kunst’ vollendet zu beherrschen scheint.

    Doch ist dies kaum ein ‘Einpflanzen’ (also das Einbringen eines Samens in einen Nährboden), wie Sie meinen, sondern eher ein Kitzeln eines Vorhandenen, ein Anzupfen einer schon aufgespannten Saite, ein Erinnern an Vermiedenes, das in der inszenierten Form salvierendes Einverständnis herbei ruft, letztlich also – Harmonie!

    Das kann dann durchaus als Befriedigung wie als Erregung gesehen, gewertet oder verkauft werden, nicht aber als Konfrontation, so denke ich, dazu verläuft es, siehe den Opernbetrieb, überhaupt solche Betriebe, stets allzu – manierlich (wenn auch gerne laut, krass, schrill oder frivol).

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