5.10 Uhr:
[Arbeitswohnung. Jacobo Peri, Euridice.]
Vor einer halben Stunde bin ich hoch, nachdem ich gestern kurz nach halb eins im Bett lag. Ich bin wirklich wieder >>>> in die Bar geradelt, nach langer Zeit einmal wieder mit Musik in den Ohren, durch meine nächtliche, bereits zur Weihnacht glitzernde, schimmernde Stadt, zudem ihre Straßen nach einem kurzen Regen zum Monteverdi glänzten. Ich sang wohl für mich mit, von Helmut Kraussers Liebe angesteckt, die ich >>>> in dem Hörstück selbstverständlich miterzähle, doch nicht nur das, sondern ihr klanglich Ausdruck gebe; ich glaube nicht, daß das vor mir schon jemand so getan. Dafür hat er mich auch auf die Musik gesetzt, die ich, sie um mich her, soeben höre – eine der ersten Opern überhaupt und, im Jahr 1600 im Palazzo Pittio zu Rom uraufgeführt, die einzige, deren Partitur komplett erhalten ist. Für nächtliche Radfahrten allerdings eignen sich Madrigale sehr viel mehr, weil die Renaissance die extremen Dynamiken moderner Musiken noch nicht kennt, zumal orchestraler. Man kann sich das leicht daran klarmachen, daß nach der erst späteren Erfindung des Klaviers ihm der Name Leiselaut gegeben wurde. Also muß man nicht dauernd am Lautstärkeregler fummeln, sondern es reicht, ihn auf angenehme Ohrstärke einzustellen. Madrigale haben aber dazu einen guten, gegen die profanen Verkehrsgeräuschen erfolgreich sakral konkurrierenden Innendruck. Für Sicherheitsfans ist das freilich nichts, zumal nicht, wenn man InEar-Stöpsel nutzt, die sowieso die Außengeräusche wegschirmen. Wir fahren dann, vor allem nachts, durch einen Traum: so, wie manchmal Filme durch die Städte gleiten, die wir uns im Kinosessel ansehn. Das hat etwas Phantastisches. Wenn Sie jemals einem Radfahrer begegnen sollten, der nicht nur vor sich hinsingt, sondern zuweilen auch, mit einer Hand, herumdirigiert, so werde ich das sein. Selbst, sollte ich ausnahmsweise langsam fahren, sprechen Sie mich dann nicht an: ich antwortete nicht, doch keineswegs aus Unhöflichkeit, sondern weil ich Sie nicht wahrnehmen würde. Denn in diesen Zuständen schwimme ich durch die Stadt, halluziniert von den Bildern. Zumal spät nachts, nachdem ich, von einem Gimlet angetrieben und von zwei kleinen Bieren, den dunklen Tiergarten durchschwommen, vor meinem Auge dieses, leuchtend, w a r:
[Arbeitswohnung. Jacobo Peri, Euridice.]
Vor einer halben Stunde bin ich hoch, nachdem ich gestern kurz nach halb eins im Bett lag. Ich bin wirklich wieder >>>> in die Bar geradelt, nach langer Zeit einmal wieder mit Musik in den Ohren, durch meine nächtliche, bereits zur Weihnacht glitzernde, schimmernde Stadt, zudem ihre Straßen nach einem kurzen Regen zum Monteverdi glänzten. Ich sang wohl für mich mit, von Helmut Kraussers Liebe angesteckt, die ich >>>> in dem Hörstück selbstverständlich miterzähle, doch nicht nur das, sondern ihr klanglich Ausdruck gebe; ich glaube nicht, daß das vor mir schon jemand so getan. Dafür hat er mich auch auf die Musik gesetzt, die ich, sie um mich her, soeben höre – eine der ersten Opern überhaupt und, im Jahr 1600 im Palazzo Pittio zu Rom uraufgeführt, die einzige, deren Partitur komplett erhalten ist. Für nächtliche Radfahrten allerdings eignen sich Madrigale sehr viel mehr, weil die Renaissance die extremen Dynamiken moderner Musiken noch nicht kennt, zumal orchestraler. Man kann sich das leicht daran klarmachen, daß nach der erst späteren Erfindung des Klaviers ihm der Name Leiselaut gegeben wurde. Also muß man nicht dauernd am Lautstärkeregler fummeln, sondern es reicht, ihn auf angenehme Ohrstärke einzustellen. Madrigale haben aber dazu einen guten, gegen die profanen Verkehrsgeräuschen erfolgreich sakral konkurrierenden Innendruck. Für Sicherheitsfans ist das freilich nichts, zumal nicht, wenn man InEar-Stöpsel nutzt, die sowieso die Außengeräusche wegschirmen. Wir fahren dann, vor allem nachts, durch einen Traum: so, wie manchmal Filme durch die Städte gleiten, die wir uns im Kinosessel ansehn. Das hat etwas Phantastisches. Wenn Sie jemals einem Radfahrer begegnen sollten, der nicht nur vor sich hinsingt, sondern zuweilen auch, mit einer Hand, herumdirigiert, so werde ich das sein. Selbst, sollte ich ausnahmsweise langsam fahren, sprechen Sie mich dann nicht an: ich antwortete nicht, doch keineswegs aus Unhöflichkeit, sondern weil ich Sie nicht wahrnehmen würde. Denn in diesen Zuständen schwimme ich durch die Stadt, halluziniert von den Bildern. Zumal spät nachts, nachdem ich, von einem Gimlet angetrieben und von zwei kleinen Bieren, den dunklen Tiergarten durchschwommen, vor meinem Auge dieses, leuchtend, w a r:
Ich war glücklich, zumal noch in meiner Zufriedenheit über das Hörstück, an dem jetzt wirklich nur noch Kleinigkeiten zurechtzufisseln sind, blieb auf der schmalen Straßeninsel stehen. Und schaute. Singend. Selbstverständlich. Komm ich dann mal kurz zu mir, seh ich oft, wie mich Leute lächelnd anschaun, dann lächle ich zurück.
Neuigkeiten aus der Hohen Politik gab es gestern keine, jedenfalls tat mir der Profi nichts dergleichen kund. Sondern wir sprachen über die Absurdität einer künstlerischen Realität. Die Studios der großen Rundfunkanstalten nämlich sind großartig ausgestattet, es wäre ungeheuer Vieles darin möglich. Doch es geschieht nicht, geschieht nicht aus sozusagen gewerkschaftlichen, aber auch aus Gründen der zwingenden Tagesrealitäten. Die Leute, die dort Dienst tun, tun dort, ecco, Dienst. Es wäre gar nicht möglich, in eine Arbeit derart viel Zeit zu investieren, wie ich sie für meine Hörstücke aufbringe und wie diese es auch brauchen, einmal abgesehen davon, daß die Studios auch nicht sechzehn Stunden täglich zur Verfügung stehen, sondern in scharfem Timing verbucht sind, so daß Toningenieur:innen, selbst wenn sie den künstlerischen Wahnsinn aufbrächten, ihn gar nicht ausleben könnten. Ich spreche bewußt von den Toningenieur:innen, weil es s i e wären – jede/r ist Musiker selbst und oft mit absolutem Gehör -, die mir helfen könnten, meine Arbeit über das mir alleine mögliche Maß hinaus zu perfektionieren. Sie können das nicht tun, weil ihre Arbeitswirklichkeit – und eben auch der Gewerkschaftsvertrag – das nicht zuläßt. Deshalb sind, unterm Strich, diese Rundfunkstudios geradezu unnötig mit jeder feinsten technischen Neuerung ausgestattet, mit den grandiosesten Maschinen. Die aber eben nie oder nur selten zum Einsatz kommen. Weshalb ich hier, mit den vergleichsweise geringen Möglichkeiten eines einfachen Laptops, Klangkunstwerke bauen kann, indessen die Maschinen dort, um teuerste Gelder angeschafft, quasi ebenso brachliegen wie die Fähigkeiten der Menschen, denen sie anvertraut sind. Ich stellte mir gestern das traurige Seufzen einer solchen Maschine vor, die ihrem Toningenieur sehnsüchtige Blicke wirft – und wie der sie nicht wahrnehmen darf, nicht spielen darf auf der Maschine, weil er sonst nicht mehr zu der Arbeit käme, für die er bezahlt wird. Wenn er aber dienstfrei hat, kann er es auch nicht, weil das Studio dann schon wieder anderweitig in Benutzung ist.
Ja. Solch eine Menschin, solch einen Menschen zur Seite – was würde ich dann zu schaffen vermögen! Ich, der ich bereits vor den vergleichsweise bescheidenen Möglichkeiten meines eigenen Musikprogramms versage, das ich wirklich studieren müßte. Wofür wiederum mir die Zeit fehlt. Um von den ungeahnten Speichermöglichkeiten und -geschwindigkeiten ganz zu schweigen, die einem von den großen Rundfunkmaschinen an die Hand gegeben sind. Mehr noch, und auch darüber sprachen der Profi und ich, geht die Entwicklung in den Rundfunkanstalten gerade der Abschaffung künstlerischer Arbeit entgegen: die zu sendenden Sachen sollen glattgebügelt werden, nämlich möglichst wenig Tiefe haben, damit sie auch leicht einzunehmen sind, dem Bedürfnis der Millionen Quotler halber, die zu Werbeeinnahmen führen. Womit da dann freilich die Kosten zu rechtfertigen sind, welche die Ausstattung der Studios verlangt, steht, da auch aus gesetzlichen Gebühren bestritten, dahin. Es ist in der Tat eine Rechtsfrage, inwieweit der Öffentlich-rechtliche Rundfunk öffentlich-rechtlich überhaupt noch ist, ja inwieweit er seinen gesetzlich bestimmten Bildungsauftrag überhaupt noch angemessen wahrnimmt; ob er also nicht längst selbst zu Privatsendern mutiert ist, die sich, und da zu recht, rein wirtschaftlich definieren. Jedenfalls ist eine künstlerische Rundfunkarbeit wie die meine unterdessen eine Art Biotop. Es lassen sich davon nicht viele Nischen besetzen; imgrunde bin ich mit meinen derzeit zwei Stundensendungen jährlich längst ein Privilegierter, auch wenn zur Zeit nicht sicher ist, ob ich sie weiterhin werde formen können. Denn in allen großen Rundfunkanstalten sind Umstrukturierungen imgang, die ganze Sendeplätze verschieben – und zwar sehr deutlich von den künstlerischen weg zum Mainstream; es gibt auch Direktiven, denen zufolge Wortbeiträge nicht länger als drei Minuten sein dürfen, ohne von Pop unterbrochen zu sein, der wiederum die Hörer bringt. Wenn ich hier und anderswo formuliert und das stets, beharrend, wiederholt habe, daß der Pop die Ästhetik des Kapitalismus sei, so findet mein zugegebenermaßen etwas markiger Satz hierin einen weiteren Beleg.
Neuigkeiten aus der Hohen Politik gab es gestern keine, jedenfalls tat mir der Profi nichts dergleichen kund. Sondern wir sprachen über die Absurdität einer künstlerischen Realität. Die Studios der großen Rundfunkanstalten nämlich sind großartig ausgestattet, es wäre ungeheuer Vieles darin möglich. Doch es geschieht nicht, geschieht nicht aus sozusagen gewerkschaftlichen, aber auch aus Gründen der zwingenden Tagesrealitäten. Die Leute, die dort Dienst tun, tun dort, ecco, Dienst. Es wäre gar nicht möglich, in eine Arbeit derart viel Zeit zu investieren, wie ich sie für meine Hörstücke aufbringe und wie diese es auch brauchen, einmal abgesehen davon, daß die Studios auch nicht sechzehn Stunden täglich zur Verfügung stehen, sondern in scharfem Timing verbucht sind, so daß Toningenieur:innen, selbst wenn sie den künstlerischen Wahnsinn aufbrächten, ihn gar nicht ausleben könnten. Ich spreche bewußt von den Toningenieur:innen, weil es s i e wären – jede/r ist Musiker selbst und oft mit absolutem Gehör -, die mir helfen könnten, meine Arbeit über das mir alleine mögliche Maß hinaus zu perfektionieren. Sie können das nicht tun, weil ihre Arbeitswirklichkeit – und eben auch der Gewerkschaftsvertrag – das nicht zuläßt. Deshalb sind, unterm Strich, diese Rundfunkstudios geradezu unnötig mit jeder feinsten technischen Neuerung ausgestattet, mit den grandiosesten Maschinen. Die aber eben nie oder nur selten zum Einsatz kommen. Weshalb ich hier, mit den vergleichsweise geringen Möglichkeiten eines einfachen Laptops, Klangkunstwerke bauen kann, indessen die Maschinen dort, um teuerste Gelder angeschafft, quasi ebenso brachliegen wie die Fähigkeiten der Menschen, denen sie anvertraut sind. Ich stellte mir gestern das traurige Seufzen einer solchen Maschine vor, die ihrem Toningenieur sehnsüchtige Blicke wirft – und wie der sie nicht wahrnehmen darf, nicht spielen darf auf der Maschine, weil er sonst nicht mehr zu der Arbeit käme, für die er bezahlt wird. Wenn er aber dienstfrei hat, kann er es auch nicht, weil das Studio dann schon wieder anderweitig in Benutzung ist.
Ja. Solch eine Menschin, solch einen Menschen zur Seite – was würde ich dann zu schaffen vermögen! Ich, der ich bereits vor den vergleichsweise bescheidenen Möglichkeiten meines eigenen Musikprogramms versage, das ich wirklich studieren müßte. Wofür wiederum mir die Zeit fehlt. Um von den ungeahnten Speichermöglichkeiten und -geschwindigkeiten ganz zu schweigen, die einem von den großen Rundfunkmaschinen an die Hand gegeben sind. Mehr noch, und auch darüber sprachen der Profi und ich, geht die Entwicklung in den Rundfunkanstalten gerade der Abschaffung künstlerischer Arbeit entgegen: die zu sendenden Sachen sollen glattgebügelt werden, nämlich möglichst wenig Tiefe haben, damit sie auch leicht einzunehmen sind, dem Bedürfnis der Millionen Quotler halber, die zu Werbeeinnahmen führen. Womit da dann freilich die Kosten zu rechtfertigen sind, welche die Ausstattung der Studios verlangt, steht, da auch aus gesetzlichen Gebühren bestritten, dahin. Es ist in der Tat eine Rechtsfrage, inwieweit der Öffentlich-rechtliche Rundfunk öffentlich-rechtlich überhaupt noch ist, ja inwieweit er seinen gesetzlich bestimmten Bildungsauftrag überhaupt noch angemessen wahrnimmt; ob er also nicht längst selbst zu Privatsendern mutiert ist, die sich, und da zu recht, rein wirtschaftlich definieren. Jedenfalls ist eine künstlerische Rundfunkarbeit wie die meine unterdessen eine Art Biotop. Es lassen sich davon nicht viele Nischen besetzen; imgrunde bin ich mit meinen derzeit zwei Stundensendungen jährlich längst ein Privilegierter, auch wenn zur Zeit nicht sicher ist, ob ich sie weiterhin werde formen können. Denn in allen großen Rundfunkanstalten sind Umstrukturierungen imgang, die ganze Sendeplätze verschieben – und zwar sehr deutlich von den künstlerischen weg zum Mainstream; es gibt auch Direktiven, denen zufolge Wortbeiträge nicht länger als drei Minuten sein dürfen, ohne von Pop unterbrochen zu sein, der wiederum die Hörer bringt. Wenn ich hier und anderswo formuliert und das stets, beharrend, wiederholt habe, daß der Pop die Ästhetik des Kapitalismus sei, so findet mein zugegebenermaßen etwas markiger Satz hierin einen weiteren Beleg.
: 6.16 Uhr.
[Jacobo Peri, Il Zazzerino.]
[Jacobo Peri, Il Zazzerino.]
Zweiter Latte macchiato, zweite Morgenpfeife; nach heute der ersten, normalerweise erst der zweiten wechsle ich den Tabak. Motzeks >>>> Meistermischung eignet sich wunderbar zur Einstimmung, danach geh ich auf Latakia über, erst in >>>> der leichten, dann in >>>> der entschiedenen Form.
7.35 Uhr:
[Monteverdi, Quinto Libro dei Madrigali.]
Nach dem ich das >>>> Protokoll des Sechsten Produktionstages begonnen habe, mache ich mich jetzt an die Überarbeitung, bzw. detaillierte Ergänzung des Typoskripts.