[Arbeitswohnung.]
Jetzt hat mich ein Infekt erwischt. Imgrunde war damit zu rechnen. Zu spät ins Bett, entsprechend zu lange schlafen und also keine Leistung. Das schwächt. Aber ich weiß immerhin, woran es liegt. Gegensteuern ab heute. Hab mir gesagt: mein Junge muß ab morgen wieder zur Schule, die Ferien sind vorüber, dann auch für mich.
Gleich beim Aufstehen aus dem klitschnassen TShirt gefahren, ein frisches drüber, Pullover, die ulkigen Leggins, Alpacajacke. Dicke Nase, dicker Kopf und Gefröstel. Aber die Pfeife schmeckt noch. Auch wenn ich huste. Findet die Seele sich ab, protestiert der Körper: ein geradezu schlagender Zusammenhang. Saß noch einmal, gestern über den Neujahrstag, an >>>> dem Gedicht; weitere Modifikationen, die ich jetzt aber nicht mehr einstelle; es muß sowieso abhängen. Die Konzentration hat jetzt dem Jungenroman II zu gelten. Entpersönlichung der Texte, Fremdvornahme, Objektivierung: das meint auch mich selbst. Ich muß jetzt in diese Kinderhirne rein.
Den dreiviertel Neujahrstag mit der Familie verbracht, erst abends, gegen halb zehn, wieder in die Arbeitswohnung geradelt. Bei einem Brunch anderer Kita-Eltern gewesen. Es gibt Wohnungen, die nichts als Passepartouts sind: gar nichts, wirklich gar nichts, was eine Äußerung der drin lebenden Personen wäre; Kunstrasen auf dem Balkon, der große Fernsehbildschirm war allezeit an, darinnen brannte ein scheinbares Feuer. Nur auf einem Notenständer, doch zugeschlagen, ein Heft als einziger Äußerung einer hergezeigten, sich selbst hergezeigten, und auch nur vielleicht, Leidenschaft: Bach.
Es regnete draußen, wir hatten es über zehn Grad Celsius. Auf dem Hinweg sahen wir Knospen in verwundertem Grün. Die Pflanzen klopfen beim Winter an. Wer knuspert an mei‘m Häuschen? Sie erkennen ihn nicht. Er vielleicht aber sie. Hat sich den Mantel umgelegt. Mit einem Lächeln öffnet er ihnen, hält im Rücken das Schlachtermesser. So wäre es, ginge es mit den Jahresdingen recht zu. Doch schon vor zwölf Jahren wurde im Januar auf der Havel gesegelt.
>>>> Benjamin Stein ist in der Stadt. Er kommt heut abend her.
Total zäh, heut morgen, Twoday.
9.08 Uhr:
Nein, nicht Twoday. Er war mein Browser, der sich dauernd verhakte. Kommt von der Surferei. Mußte ihn mit dem CCleaner befreien. Jetzt geht‘s wieder. (Ich lese noch einmal, was ich bisher für den Jungenroman II schon runtergeschrieben habe).
9.38 Uhr:
Nach dem Gesetz von Bernoulli ist der statische Druck einer Flüssigkeit umso geringer, je höher die Geschwindigkeit ist. Fällt der statische Druck unter den Verdampfungsdruck der Flüssigkeit, bilden sich Dampfblasen. Diese werden anschließend meist, mit der strömenden Flüssigkeit, in Gebiete höheren Druckes mitgerissen. Mit dem erneuten Ansteigen des statischen Drucks über den Dampfdruck kondensiert der Dampf in den Hohlräumen schlagartig. Dabei treten extreme Druck- und Temperaturspitzen auf.
Zit.n.Wikipedia. Manches ist zum sprachlosSein.
Zum Beispiel das Wort Lebensseelversprochenheit, wie eben auch schon mein Wort der Zeitvergängnislosigkeit gewesen ist und bleibt. Also doch wieder das Gedicht: es denkt sich weiter. Die Idee Neuer Jahre dient der Täuschung, das Zirkuläre ist irreversibel >>>> Spirale.
12.16 Uhr:
Jetzt habe ich d o c h die ganze Zeit >>>> an dem Gedicht herumgefeilt; ich kann es mir momentan überhaupt nicht leisten, seelisch nicht, irgendwas halbfertig liegenzulassen. Interessant speziell bei diesem Text allerdings, jedenfalls für mich, wie immer mehr er sich konkretisiert, je genauer ich den Formulierungen an den Leib gehe, also wie gegenverdrängend er sich meinen Verallgemeinerungen entgegenstemmt. Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß sich in demselben Prozeß der grippale Infekt zunehmend abgemildert hat. Ich niese kaum noch; dabei habe ich überhaupt kein Medikament eingeworfen; ich huste auch nicht mehr.
Zwischendurch kam das neue Ifönchen, 4S nun, mal sehen, vielleicht schaff ich‘s, nachher kurz zu brsma rüberzuradeln, der es mir einrichten will, also die alten Dateien aufs neue rüberschieben undsoweiter. Ich krieg das hier nicht hin, weil mir iTunes immer das ganze System lahmlegt. Nach wie vor ist kein akzeptabler Telefonmanager in Sicht, der das Gerät über Windows organisieren läßt, jedenfalls kenne ich keinen.
Noch eine halbe Stunde, dann lege ich mich mittagsschlafen.
Lieber ANH, für mein Empfinden ist Ihr Kampf immer einer m i t Seele. Um auch mal das Große Wort zu gebrauchen. Ich glaub‘, ich hab‘ es bisher nie öffentlich verwendet. Was ein gutes Stichwort ist. Denn Sie schreiben vieles, das offenzulegen für Künstler:innen nicht selbstverständlich ist. Sie halten sich nicht bedeckt. Sie legen Abgründe offen, die andere nur in der stillen Kammer besprechen. Und ob man das Feuerwasser, das Sie aus Ihren Erfahrungen destillieren, für genießbar hält oder davor zurückschreckt: Ich glaube Ihnen immer, dass S i e glauben. Als Stratege jedenfalls wären Sie schrecklich ungeeignet.
Fakt ist, in meinen Augen sind Sie mit Leib und Seele Künstler. Ich weiß, Sie steh’n mehr auf handfeste Kritik. Zustimmung ist Ihnen suspekt. Mir egal. Ich hatte Ihnen noch keinen Neujahrsgruß geschrieben und tu’ das hiermit. Ich fühl’ mich nicht selten überrumpelt von Ihrem Leben als Roman – Ding, und Ihre Klinge ist mir manchmal zu scharf. Aber genauso oft bin ich hin- und weg, weil Sie nie lavieren. Und ich kenne kein anderes Weblog, in dem jemand sich dem Publikum in der Benennung von Siegen und Niederlagen so komplett a u s s e t z t. Chapeau.
Alles Gute für das frisch angebrochene Jahr.
Herzliche Grüße,
Phyllis