Vorübergehend mutlos. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 21. Mai 2012.

16.31 Uhr:
[Arbeitswohnung.]

Eigentlich keine Lust auf und schon gar keinen Drang zu Der Dschungel; eigentlich, um das characteristischste Abwehrwort unserer Zeit zu wiederholen, wollte ich mich in die Serengeti aufgemacht haben, einmal wieder, zur Löwin und als Löwe. Eine Lähmung hielt mich zurück, über deren Grund ich nicht sprechen möchte, wenn er auch ein Anlaß meiner Mutlosigkeit ist, zudem ins Persönliche verzwirnt. Dabei ist >>>> da da doch überaus hübsch.

Was mich nun aber wirklich fertigmachte, so daß ich meinen Rucksack nicht zubekam und hierblieb, ist ein an sich gerechtfertigter Text von >>>> Thierry Chervel im mir freilich noch nie sehr gewogenen Perlentaucher, der schlichtweg meine grundlegende Netz-Arbeit unterschlägt, die ja sogar theoretisch, >>>> im Wortsinn, zu Buche geschlagen ist. Das entspricht dem, von kleineren Texten im Internet abgesehen, Verschweigen nahezu aller meiner Bücher seit dem >>>> Prozeß um „Meere“, seit also immerhin neun Jahren. Von der „Aeolia“ über die Erzählbände, die Heidelberger Vorlesungen und die Fenster von Sainte Chapelle bis zu den „Bamberger Elegien“, das Feuilleton tut, als gäbe es das alles nicht und, vor allem, diskutiert ignorant drüber weg. Das ist in der Tat ein Anlaß zur Verzweiflung, jedenfalls meiner Mutlosigkeit.

Hatte heute überlegt, das besser nicht hinzuschreiben, mein reibt sich ja doch nur besonders die Hände. Aber es wäre meiner poetischen Vornahme zuwidergehandelt, sich verletzbar zu machen; mit der >>>> bin ich hier doch angetreten. Ich werde mich zu einem Verrat nicht nötigen lassen, so wenig, wie zu irgend etwas sonst, sondern in der poetischen Konsequenz bleiben.

Doch gut gearbeitet habe ich heute nicht, knapp vier Seiten Argo frühmorgens, dann war ich zunehmend durcheinander, unkonzentriert, traurig. Und schrieb eben einer Freundin:

Selbstverständlich denke ich an den Friedrich! Gerade neulich sprach ich von ihm.
Die Reihenfolge:
Wenn Argo fertigsein wird, fange ich verstärkt mit Friedrich-Lektüren an und will auch teils noch mal (Sizilien, Calabria), teils ganz neu (etwa Pfalz) seine Lebensstationen besuchen, werde auch mein großes Latinum nachholen müssen, um Originalquellen lesen zu können. Literarisch will ich aber parallel erst einmal an das Sterbebuch – die Traumschiff-Idee, die ich während der Kreuzfahrt hatte; für Mare, man ist da interessiert. Danach an Melusine Walser, wie auch immer, ob “als Frau”, ob als dominanter Mann geschrieben – bin mir da unsicher geworden. So viele Frauen outen sich jetzt, die Männer halten sich zurück; da wäre vielleicht gegenzusteuern. Dann liegt mein Jugendromen (Roman, als Jugendlicher geschrieben) “Destrudo” hier noch rum, den ich unbedingt wieder aufnehmen möchte – spielt in der RAF. Parallel dazu aber schon erste Skizzen zum Friedrich. Ich rechne, nach den Erfahrungen jetzt mit Argo, mit fünfzehn bis zwanzig Jahren Arbeit. Wenn man drei Tausender schon hinter sich hat, macht ein weitrer keine Furcht, ist eher, wie für Bergsteiger, reizvoll.
Aber zwischendurch geht mir einfach mal die Puste aus – was wahrscheinlich daran liegt, daß mit zunehmendem Alter gar nicht so sehr die Kräfte nachlassen, sondern die verbleibende Lebenszeit wird rein objektiv schmal und damit die Erwartung gegenüber den Möglichkeiten: in einen achtzig-Liter-Tank geht schlichtweg mehr Wasser als in einen dreißig-Liter-Tank, und es ist egal, ob in der Wüste, ob im See.

Noch keine Nachricht, wegen >>>> des Hörstücks, aus Köln. – 17.24 Uhr: Und parallel zu diesem Eintrag schreibt mir die Redakteurin, sie werde morgen erst oder erst übermorgen zum Anhören kommen. Fassen wir uns also in Geduld.

18.25 Uhr:
[George Benjamin, >>>> Duet for piano and orchestra (2008).]
Wie gut es tut, Musik zu hören! Nachdem mir >>>> dies dort (ein Gedicht einmal wieder…) eben einfach so durch die Finger ging (bei sowas schreibe ich dann immer ACHTUNG oben auf die Seite), plötzlich ein geradezu heftiges Bedürfnis nach Neuer Musik. Unvermittelt lag mir die letzte CD der Jungen Deutschen Philharmonie in der Hand, die sie mir mit der Frage zugeschickt hatte, ob ich etwas drüber schreiben möge – und falle grad in den George Benjamin, der zu einem, offenbar, Lieblingskomponisten dieses enormen Orchesters geworden ist. (Hinter dem Link können Sie die ungewöhnliche CD direkt beim Orcherster bestellen. Stravinskis berühmte Sacre befinden sich auch darauf.) Und soeben kommt mein Junge vom Cello-Unterricht zurück; vielleicht kann ich ihn „überreden“, eben noch zweidrei Duos mit mir zu spielen… na ja: zu proben eher.

Hab den Leerlauf genutzt, Die Dschungel auf leidlich Vordermann zu bringen. Mit Freude aber sah ich, daß Anna Häusler wieder >>>> ihr Tagebuch schreibt.

6 thoughts on “Vorübergehend mutlos. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 21. Mai 2012.

  1. Ihre Netzarbeit zu ignorieren, dazu gehört schon was. Unwissen kann’s eigentlich nicht sein, Sie sind ja präsent genug, ebenso Ihre Schrift zum literarischen Bloggen. Es müssen also tatsächlich persönliche Gründe sein, Sie nicht “dabei” haben zu wollen. Aber wie kann das angehen? Selbst, wenn man Ihre Ansichten nicht teilt, Sie sind doch d a. Auf sprachlich überzeugende Weise da. Ist es wirklich so, dass man für bestimmte Formen scharfer Eigenwilligkeit derart konsequent ausgegrenzt wird? Liegt’s am Namen? Ihren gelegentlich cholerischen Gesten? Aber die machen doch Ihre literarische Arbeit nicht un-rezensierbar?
    Ach, die falschen Fragen, wahrscheinlich. Ich hab’ einfach zu wenig Ahnung vom Betrieb. Die brauche ich aber auch nicht, um mich im Dschungel zu verlustieren. Und Ihnen Glück und Kraft zu schicken!

    1. Es mag an der offen daliegenden und mühelos erreichbaren Angriffsfläche liegen.
      Da gibt es keine Kasematte, wenig soziales Kapital, dessen furchteinflößender Nimbus so manch einen Schreibfuchs zur Vorsicht gemahnt.
      Im Netz hingegen, wie hier es geschieht, kann jeder sich schadlos halten.
      Etablierte Feuilletonisten sind in der Regel (leider?) auch nur Menschen.

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