Zur Ästhetik der Hörstücke, darinnen auch das Internet.

Selbstverständlich kann man sagen: Komplexe Gebilde wie >>>> dieses, zumal allein fürs Ohr, verfehlten ihre Hörer, weil sich den Verästelungen bei einmaligem Hören, wie der Rundfunk das vorsieht, unmöglich folgen läßt, zumal zu >>>> solch nachtschlafener Zeit. Damit verfehlten die Stücke das Genre – Feature – zugleich, das deutlich stärker einen Bildungsauftrag hat als etwa ein Hörspiel, sei es eines der puren Unterhaltung, sei es eines mit Botschaft und von Form.

Dagegen ist zweierlei einzuwenden:

1. Kein Genre entzieht sich dem Zugriff der Künste, wenn es sie lockt. Die Kunst n i m m t sich, schärft, konturiert, verfremdet zum je Eigenen: dem, was alleine dem speziellen Genre eigen, also nicht auch beliebiger Teil eines anderen ist. Sie isoliert und läßt aus dem isolierten Kern neu wachsen: Einvernahme des Interviews, Einvernahmen des O-Tons als Geräusch & Musik, Einvernahme der didaktischen Elemente als ihrerseits Erscheinungen von Form. Die Dinge, Phänomene und auch die Absichten werden zu künstlerischem Material und als solches je neu kombiniert – und/oder ‚bekannt‘ kombiniert, um den Wiedererkennungswillen zu locken; Erkenntnis wird aus der Distanz des fremden, hier nun Kunstblicks.
Das unterläuft, immer, die pädagogische Absicht und dreht sie herum. Denn indem Absicht ist und bekannt ist, verfehlt sie selbst schon ihr Ziel, entschärft sich nämlich: wir wissen immer schon, warum. Dann hört der zu, der sowieso interessiert ist, oft auch nur der, der eh dieser Meinung längst war. Ein solches Verständnis von Feature ist pur affirmativ und, jedenfalls selten, wirklich erkenntnisfördernd über bestehende Vorlieben hinaus. Dagegen steht im poetischen Hörstück, zu dem das Feature mir wurde, die Absicht-selbst auf dem Prüfstand.
Hier ist künstlerisch mit der Erweiterung des Genres über die definierten Grenzen, nämlich über sein Deskriptives hinaus, ja ihm feindlich, zu erwidern: mit der Aura etwa eines O-Tons, die unscharf ist, insofern seine Informationen nicht nur sind: aha, so klingt Bombay, oder aha, so ist das bei den >>>> Hyänen (ein absolut grandioses Stück von Peter Leonhard Braun); und diese Aura – sie besteht aus semantischen Ober- und Untertönen, die alleine für sich gar nicht wahrnehmbar wären, aber maßgeblich die Temperierung bestimmen – wird ihrerseits mit anderer Auren musikartig verschränkt; die Auren spielen miteinander, kopulieren, dann trennen sie sich, sind aber schwanger. Ein Rätsel bleibt immer: Wie wird diese Frucht, und was ist sie? Freilich, das muß ein Wesentliches des inszenierten Gegenstandes miterfassen und transportieren, aber auch etwas Drittes, Viertes über ihn hinaus: etwas von seiner Wirkung.

2. Die einmalige Rundfunksendung i s t nicht mehr einmalig. Die Zukunft des Rundfunks, ob öffentlich-rechtlich oder privat, wird im Internet liegen, ebenso wie des Fernsehens. Er wird sich, und ist schon dabei, im Wesentlichen über Smartphones übertragen, iPads, Note- und Netbooks, schließlich wahrscheinlich über Knöpfe, die wir im Mantelkragen tragen, jeder selbst bereits ein kleiner Computer. Damit, aber schon jetzt, ist jede Sendung mitschneidbar und kann und wird ebenso wiederholt gehört werden können wie irgend ein Musikstück, das sich auch erst bei mehrmaligem Anhören, und oft dann erst rauschhaft, entschlüsselt. Die Ästhetik meiner Hörstücke setzt genau hierauf. (‚Gute‘ Hörer, denen es auf Klang ankommt, werden den Mitschnitt auf ihre Anlage übertragen und dort noch einmal hören: die Unterschiede sind frappierend; man kann durchaus den Eindruck gewinnen, verschiedene Stücke zu hören; soviel, nebenbei, zum Frequenzgang).
Jemand, der nur zweien >>>> meiner Hörstücke begegnet ist, w e i ß bei dem dritten: hier muß gelauscht werden, zweidreimal hintereinander oder in Abständen wieder; sie sind wie Bücher, in denen man nachschlägt. Ihr Mitschnitt ist von der Ästhetik programmiert und gefordert, auch die „schwarze“ Weitergabe, egal, ob privat, ob p2p. Ob, selbstverständlich, solch mehrmaliges Hören geschieht, steht allein im Ermessen des Hörers, nicht aber des rechtetragenden (!) Rundfunks. Ob solch mehrmaliges Hören geschieht, hängt davon ab, ob der Reiz empfunden wird, es zu tun. Ihn zu erzeugen, ist die didaktische Seite der künstlerischen Arbeit, die Hand freilich in der des ästhetischen Kalküls. Ich gehe von vornherein von der Kopie aus, die bei Klangwerken per se Original ist. Es gibt diesen Unterschied längst schon nicht mehr.* Die „Ausstrahlung“ über das Internet ist ihre Wiederholung immer schon selbst.** Es wird in absehbarer Zeit überhaupt keine andere Technik des Ausstrahlung mehr geben; wann nicht mehr, ist nur noch eine Frage der Speicherkapazitäten, will sagen: Qualität der Kompromierungs-Technologien. Das Argument der hörenden Einmaligkeit ist damit obsolet. Und damit das des zu komplexen Gebildes.

*): Von diesem Gedanken aus wäre auch urheberrechtlich zu argumentieren,
urheberrechtlich im Sinne eines Urheberschutzes. Für das
künstlerische Kalkül indes hat es keine Bedeutung.

**): Finanziell entgolten durch Gebührenabgaben und Aufschläge auf den
Endgeräten. Das wiederum wäre durch die Verwertergesellschaften
an die Künstler weiterzuleiten – um ein weiteres Mal den Urheberschutz-
gedanken zu betonen, nicht aber den der abgetretenen Verwertertrechte.
[Urheberrecht.]
_____________

[Poetologie.]

5 thoughts on “Zur Ästhetik der Hörstücke, darinnen auch das Internet.

  1. @ANH; ohà, noch mehr solcher texte, und Sie können mein nächstes buch schreiben! ich stimme Ihnen kaum eingeschränkt zu, würde sogar argumentativ noch schärfer drehen (pervertieren, wenn Sie mögen): seit zig jahren ist das hörspiel/feature/hörkunst-genre, wenn ich einmal vieles in denselben topf werfen darf, hinsichtlich der quotierung obsolet. selbst die erfolgreichste sparte des kriminal-hörspiels samstags und mittwochs erreicht längst nicht die hörer, wie ein schlechtes fernsehprogramm zuschauer erreicht. daraus folgt:

    a) dass man es nur als frace bezeichnen kann, wenn im ö. r. rundfunk nach wie vor quotiert wird..

    b) dass der hofmeisterliche bildungsauftrag, zu dem kunst stets in widerspruch stehen muss, längstens kein flächendeckender mehr sein kann. dass ö. r. rundfunkanstalten ihn immer noch im schilde führen, hat lediglich traditionelle und argumentative gründe: fürs budget nämlich.

    c) dass gerade die akustischen medien (vom rundfunk bis zu netzplattformen) sich für hörkunst im emphatischen sinne besser eignen als je zuvor. der frage “wer hört denn das?” angesichts (oder besser: angehörs) eines komplexen hörstücks, kann man stets mit einem “die frage stellt sich nicht” beantworten. mögen es auch nur die happy few sein oder nur ein Paar ohren: das stück ist in der welt — im äther nämlich und dort, stärker als alle schrift: präsent.

    aus a), b) und c) wiederum folgt, dass es eine himmelschreiende schande ist, wie rundfunkanstalten (jüngst die westdeutsche) ihre eigenen möglichkeiten, kunst zu schaffen, abbauen, ja zernichten.

    ein kleiner widerspruch aber doch:

    Das Argument der hörenden Einmaligkeit ist damit obsolet.

    das bestreite ich. zwar sind, spätestens seit wiedergabegeräte portabel geworden sind, hörstücke aller art praktisch wiederholbar. als “embedded radio play” aus den ipod-stöpseln dringend, ist es aber immer – eben – eingebettet! wiederholung ist nicht identische iteration; mag sich auch das stück nicht verändern, der hörer und seine (gewählte) umgebung schon. darum und, so meine these, prinzipiell bleiben hörakte in stärkerer tendenz “einmalig” (ich würde eher sagen: präsent), als leseakte es je sein könnten.

    1. @Aikmaier zum Gegenargument. Selbstverständlich. Aber das wird eine Null-Aussage, weil das Argument nicht nur für jede Rezeption eines Kunstwerks, sondern für jede Wahrnehmung ü b e r h a u p t gilt. Um Heraklit mal Sex zu geben: Keine Frau schläft zweimal mit demselben Mann und der nie zweimal mit ihr.

      Übrigens ist das ein, kapitalistisch gesprochen, Mehrwert: Gestern nacht >>>> meine Radfahrt durch das Sommerberlin mit Starkers Bach in den Ohren ist in keinem Konzertsaal wiederholbar und nicht auf der Anlage daheim. Es amalgamierten diese große alte Musik und die moderne große Stadt – ein Erlebnis, auf das ich nicht verzichten wollte. Es war eines der Kunst.

    2. @ANH; zur nullaussage Es amalgamierten diese große alte Musik und die moderne große Stadt – ein Erlebnis, auf das ich nicht verzichten wollte. Es war eines der Kunst.

      eben. und dies gilt womöglich doch für medial unterschiedliche kunstwerke in unterschiedlichem maße. eklatant beim vergleich von hörkunst und schriftkunst, insofern letztere wiederholung immer schon ist – des text-schreibens nämlich.

      aus null macht eins.

    3. @Aikmaier: Wiederholung/Wiederholbarkeit. Bei meinem Blick auf das Original geht es um Wiederholbarkeit; ob etwas de facto, und unter welchen Umständen, wiederholt werden kann, steht auf einem anderen Blatt, wiederholt werden aber vom Rezipienten, nicht vom Nutzer der Verwertungsrechte. Viele große Arbeiten verschwinden nach ihrer Erstausstrahlung für immer, wirklich für immer, in den Archiven, und man kommt nicht daran – eine kunstwiderliche Wirkung eines entsprechend und gegen das Interesse der Kunst ausgelegten Urheberrechts.
      Was ich meine, ist, daß die Strukturen eines Werkes wiederholt werden können müssen, um sie möglicherweise überhaupt erst wahrzunehmen, bzw. bewußt zu erkennen. In dieser Hinsicht ist der Unterschied zwischen geschriebener und gehörter Kunst ausgesprochen marginal.

    4. @ANH ; verwertungsrechtenutzer über diese personen- oder unternehmensgruppe sind wir einer ansicht. dass man deren häufige praxis, die allenfalls in den kunstkammern frühneuzeitlicher höfe vage parallelen findet, wobei jene zumindest eine ästhetische, nicht eine rein juristische begründung aufweisen, öffentlich anprangern muss, — diesen anspruch haben Sie selbst ja schon bei diversen gelegenheiten eingelöst.

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