Der zweite wird Johannis sein. Im Regen dieses ersten längsten Tags im Jahr nach Brigitte Berteles Brand. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 21. Juni 2012. Sommersonnenwende (1): – S e i.

9.57 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Seltsamer Tag. Dekonzentriert. Nicht an Argo gewesen, sondern erst um sieben Uhr mit dem Gedanken aufgestanden, etwas Neues auf der Hauptsite einzustellen; also durchsurfte ich Vergangenheiten, suchte etwas, das sich von früher auf dem Zeitstrahl nach vorne holen lasse – blieb in den Paralipomena hängen, an einem Miszellchen, an dem ich nun schon zwei Tage lang herumbastle, ohne daß es mir gelang. Entschied mich für ein anderes, und das >>>> steht jetzt drin. Als ich es eingestellt hatte, kriegte ich plötzlich auch das sperrige andere Ding hin. Nebenher geht, passend zum Regen, ein ganzer Wasserfall nieder auf mich: eine Korrespondenz über Brüste, eine andere über Polyamorie, eine wiedernächste, die, aber nicht aus erotischen Gründen, mit der Burka spielt; dazu, gestern nacht, als ich >>>> von der Bar klitschnaß heimgeradelt war, ein Spielfilm in der ARD-Mediathek: >>>> Brigitte Maria Berteles „Der Brand“, der mich enorm beschäftigt, weiterbeschäftigt. Ich habe selbst in sexuellen Szenarien viel mit Gewaltinszenierung zu tun, aber es sind, eben, Inszenierungen, die wiederum Verarbeitungen sind, pervers allein, weil sie Lust aus unseren Traumata ziehen: letztlich künstlerische Akte; ich habe oft darüber geschrieben und werde weiter darüber schreiben. An dem Film ist intensiv und macht mich intensiv wütend, daß jemand Lust aus dem Nichtwollen zieht – und daß sich dieses Nichtwollen juristisch nicht beweisen läßt, so daß die junge, zunehmend verstörte Frau sowohl von ihrem Körper verlassen wird (sie kühlt die seelische Wunde mit Eiswürfeln, die sie sich einführt), als auch von den Menschen.

Sie solle ihren Frieden machen. Dabei hat sie der Vergewaltiger auch noch angezeigt. „Blame the victim“, sagt ihr Anwalt, der erst allmählich menschlich wird und schließlich der einzige ist, ihr Nähe zu geben, „das war schon im Mittelalter Strategie“. Es ist ungeheuer, wie bereit die Leute sind, sich einfach abzufinden – und mit welcher unfaßbaren Ignoranz sie dasselbe von der Betroffenen fordern. Die aber nicht aufgibt und schließlich – doch um welchen Preis! – dem Recht zum Recht verhilft. Hier jetzt, aber das erzählt der Film nicht mehr, sondern das ist meine Erfahrung, hier setzt die Inszenierung, um zu heilen, an, von der ich oben gesprochen. Denn einmal sagt die junge Frau: „Ich habe das Gefühl“, sagt es dem Anwalt, „daß ich ihn“, den Vergewaltiger, „b r a u c h e“ – und nimmt Kontakt auf zu seiner Familie, der ahnungslosen Frau, den beiden kleinen Kindern… – „Irreversible“, seinerzeit, hat mich ähnlich verstört; auch darüber >>>> habe ich geschrieben. – Sehen Sie sich Berteles Film bitte an. Noch steht er frei zur Verfügung, ab 22 Uhr erst, allerdings, weil die Zensoren noch immer nicht die Gegenwart begriffen haben. Man kann da nur den Kopf schütteln. Und wird mutmaßen müssen, daß es einen Zusammenhang zwischen solchem Nichtbegreifen gibt und der Vergewaltigung.
So sitze ich immer noch in Holmes‘ Hausmantel, bearbeite die Neue fröhliche Wissenschaft; noch ist das Bett ganz ungemacht, aber die Reisevorbereitung, immerhin, „steht“ und harrt der Wirklichwerdung. In einer Woche schon werde ich amelisch mit dem Freund >>>> in seinem bischöflichen Cortile sitzen, abends, essend, plaudernd, zum Wein übersetzend wahrscheinlich, während die bereits jugendlichen Kinder durch die Gassen streunen, stell ich mir vor. Das Eis gibt‘s auf der Piazza. In einer Stunde das Cello, Argo dann am Nachmittag.

18.30 Uhr:
Heute >>>> dödle ich echt nur herum; es macht aber >>>> schlinkertseidank großen Spaß. An Argo keinen Fatz getan, und momentan gedanke ich, das heute weiter so zu halten. Statt dessen noch Italien kalkuliert, Tagessatz usw. berechnet, kurz beim Arzt gewesen mit dem Jungen, weil gestern, logisch, Mittwoch, zu war.
Damit mir nicht noch einmal das Malheur des letzten Urlaubs widerfährt – Stromausfall daheim, ein halbes Jahr lang noch der Duft von Verwesung um Eisfach -, bin ich dabei, alles Tiefgekühlte nach und nach zu verzehren. So daß es nachher Penne alle vongole geben wird, dazu gebratene Crevetten.
Geärgert aber hab ich mich >>>> darüber und nach einigem Vormichhindampfen dazu >>>> auch kommentiert. Aber jetzt wird gerade ein guter Kommentarbaum daraus. Ich will Melusine eben antworten.

5 thoughts on “Der zweite wird Johannis sein. Im Regen dieses ersten längsten Tags im Jahr nach Brigitte Berteles Brand. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 21. Juni 2012. Sommersonnenwende (1): – S e i.

  1. “Man kann da nur den Kopf schütteln. Und wird mutmaßen müssen, daß es einen Zusammenhang zwischen solchem Nichtbegreifen gibt und der Vergewaltigung.”

    Können Sie das erklären?

  2. Jetzt wollte ich mir diesen Film zu Gemüte führen, allerdings leider 7 Tage und 15 Minuten nach Erstausstrahlung. Ohne Worte. Depubliziert. Ich glaube ich verstehe jetzt auch so, was Sie meinen.

    1. Depubliziert? Der Link funktioniert nicht mehr? Oder hat man diesen guten Film vom Netz genommen?

      (Ich bin heute ziemlich dekonzentriert, weil ich mich auf anderen rhetotischen Schlachtfeldern hielt. Eigentlich hatte ich früher antworten wollen.
      Was ich meine, ist, daß jede/r, die und der zu tippen versteht, ob nun zwölf oder achtzehn oder siebzig Jahre alt, alles nur Erdenkliche im Netz zu sehen bekommt, ohne jede Einschränkung, und da ich Vater bin, weiß ich, daß die Kinder das auch nutzen. Die Regelung des Zensors geht also nicht nur an der Realität vorbei, sondern sie sanktioniert einen wirklich guten Film zugunsten sehr viel schlechterer Filme, die um vieles grausamer sind. Es wird gehandelt, als wären wir noch in den Fünfzigern; möglicherweise sind die Zensoren auch in den Fünfzigern sozialisiert worden und prolongieren das ins 21. Jahrhundert, weil sie halt in den Gremien sitzen. Es ist aber sehr oft Verklemmung, was bei nicht gefestigten Charakteren zu bisweilen furchtbaren Übergriffen führt. Mangelndes Selbstvertrauen, fehlendes Selbstwertgefühl, dazu die Neigung, Sexuelles als schmutzig anzusehen. Es ist ja im deutschen Fernsehen kein Problem, jemanden ermorden zu lassen und das auch zu zeigen, wohl aber eines, fehllaufende und nicht fehllaufende Dynamik jener Prozesse zu zeigen, denen wir – und n u r denen – unser Dasein verdanken.)

  3. Danke für die Antwort. Ich schätze mal, dass es sich hier um einen Film handelt, der nur sieben Tage im Netz bleiben darf. Rundfunkstaatsvertrag Nummer 12 wird in diesem Zusammenhang immer genannt. Sportereignisse dürfen einen Tag in der Mediathek verweilen, Filme sieben Tage, etc. Mir ist es eigentlich egal wie das heißt, ich ärgere mich nur immer stärker darüber, dass ich überhaupt Gebühren zahle. Dabei gibt es bei den öffentlich-rechtlichen ja teilweise noch qualitiv hochwertiges Programm, das zu fördern mir Freude bereiten würde.

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