Das Arbeitsjournal des Montags, dem 1. Oktober 2012.

5.45 Uhr:
Die Kritik zu gestern abend schreiben.

16.45 Uhr:
[Alban Berg, Lulu.]
Die Kritik war mittags fertig, seitdem >>>> steht sie in Der Dschungel. Beim Arzt angerufen, des vermeintlichen Speichelsteines wegen, Termin bekommen, hingeradelt, ja, meine Vermutund sei wohl richtig, sollte aber noch mal bestätigt werden; weiter zum Zahnchirurgen; dort dasselbe: meine Einschätzung richtig, aber hier könne man nichts tun, sondern: Klinik. Da erst mal checken lassen, dann OP. Um drei war ich wieder hier.
Erst mal eine Stunde geschlafen.
Wegen der Klinik zögere ich, habe Angst davor. Nicht vor der OP, auch nicht vor Schmerzen, davor sogar gar nicht, ich bin nicht zimperlich. Sondern vor dem Eingesperrtwerden. So empfinde ich Krankenhäuser: als Gefängnisse. Mit nichts kann man mich mehr schrecken. Ich habe ein Entsetzen vor ihnen.
Außerdem scheint es mit dem Kauen besser zu werden. Ich aß, um es mittags auszuprobieren, und die Schwellung trat nicht wieder auf. Kann sein, daß mein Körper den Stein schon hat aus eigener Kraft aus der Speicheldrüse abgehen lassen. Auch die restliche Schwellung, die sichtbar blieb und bei Druck von außen, aber tatsächlich nur dann schmerzt, geht jetzt spürbar zurück. Deshalb warte ich noch ab, übermorgen ist sowieso Feiertag, dann geht es auf die Buchmesse zu. Ich habe wirklich keine Zeit für Umfug. (Wenn ich das Kinn hin- und herschieben, löst sich immer mehr, jetzt ist auch der Ohrgang wieder gänzlich frei; auf dem Röntgenbild, übrigens, das angefertigt wurde, war der Stein nicht zu sehen.)

Jetzt an die Fertigstellung meiner heutigen Giacomo-Joyce-Version, Parallalies >>>> steht seit morgens drin. Ich will außerdem später noch ein paar Zusatzgedanken zur American Lulu formulieren, als Kommentar dort dann, die mir in den Wartezimmern durch den Kopf gehen. Und doch wenigstens eine Seite Argo zuwegebringen.
Nachher ist mein Junge wieder hier und bleibt abermals über Nacht. Dafür muß ich auch kochen; zwei riesige Hähnchenschlegel liegen im Kühlschrank.

7 thoughts on “Das Arbeitsjournal des Montags, dem 1. Oktober 2012.

  1. ich verstehe ihre angst vor krankenhäusern sehr gut – die meisten anstalten haben auch diesen hang zur internierung, die meisten modernen krankenhäuser haben auch keine seele mehr.

    ich jedoch verbrachte bis heute eine woche im otto wagner spital in wien, ich musste dort ziemlich akut aufgenommen werden, weil meine atmung sich auf kritischem niveau (also nicht weit oberhalb des bodens, so ca. 10 zentimeter würde ich schätzen) befunden hat.
    die woche im krankenhaus tat mir sehr gut, ja – es war ein eingesperrt sein, ein zurückgeworfensein auf das nötigste, das essentiellste – lesen, denken, schlafen, heilen. das otto wagner spital ist zum heilen vorzüglich geeignet, ein krankenhaus mit seele.
    ich bin sehr froh, dort gewesen zu sein – auch die spaziergänge in der parkanlage dort hatten etwas fokussierendes und halfen mir, die luft zum leben wiederzubekommen.
    heute, wie gesagt wurde ich entlassen – und atme so gut wie seit zwei jahren nicht mehr.

    ich wünsche ihnen – von herzen – dass ihre zeit im krankenhaus nicht allzu schlimm ausfällt und verbleibe mit vielen grüßen,

    david ramirer
    aus wien

    p.s.: wie ich hörte, soll das otto wagner spital im jahre 2020 geschlossen werden. auch in wien wird es dann nur mehr schwierig sein, heilung mit seele zu erhalten…

    1. @David Ramirer: Auch Psychosomatosen können materiell werden. Erst einmal, wie schön, daß Sie wieder einmal hier schreiben. Ihren Goldberg trage ich sehr in Ehren. (Soweit zum Insidern.)

      Was die Angelegenheit selbst angeht, zucke ich eigentlich schon da zusammen, wenn man sie eine Krankheit nennt; sie als ein “Leiden” zu bezeichnen, ginge freilich hin, litte ich denn und nähm das nicht imgrunde mehr komisch. Solch gelinder Schmerz ist nichts, was mich beeindrucken kann.
      Die Hauptsache aber ist, daß ich Ärzten nicht vertraue, solange ich nicht persönlich mit ihnen bekannt bin und mit ihnen über ihre und meine Leidenschaften gesprochen habe, über Lieben, gemeinsame und uns trennende, über Begeisterungen, Wünsche, Bedürfnisse, Sehnsüchte oder einfach nur über Freuden. Den Ärzten, mit denen das so ist, vertraue ich tief, genau so wie meinem Anwalt, unter dessen Rat ich mich nahezu immer beuge, auch wenn ich grolle oder sogar die Wände hochgeh vor Wut oder anderweitig tobe. Es liegt rein am Vertrauen.
      In einem Krankenhaus, dies ist offenbar, kann solch eine Nähe geradezu naturgemäß nicht hergestellt werden, man ist, notwendigerweise, ein Fall oder eine Nummer, die Niere auf Zimmer 508 und die Prostata von 113, der Speichelstein auf 806 und der Brustkrebs der 309. Also käme zu meiner Aufsässigkeit, weil ich eingesperrt bin, mich an soziale Zeiten zu halten habe usw. mein permanentes Mißtrauen hinzu, und wenn das einmal entfacht ist, wird es mit mir ungemütlich, was logischerweise dazu führt, daß auch die andren ungemütlich werden. Das ist eine Art Kampfstimmung, die ich vor allem dann scheue, wenn ich eigentlich wehrlos bin.
      Zum anderen habe ich immer auf die Selbstheilungskräfte meines Körpers vertraut und bin damit recht gut gefahren. Das kann sich natürlich ändern, aber etwa jetzt hören die Beschwerden fast schon auf, jetzt, wo ich weiß. Ich kann bereits wieder essen, ohne daß etwas anschwillt, und das bißchen Schwellung, das jetzt noch da ist und bei Draufdrücken schmerzt, geht geradezu galoppierend zurück. Ich nehme an, daß das Steinchen tatsächlich von meinem Körper rausgekickt worden ist; es mußte nur erst identifiziert werden. Vor allem aber habe ich den Eindruck, daß sein Akt der Drüsenverstopfung ein psychosomatischer Protest war. Ich hatte, das werden Sie gelesen haben, einen mich schwer beutelnden Ärger am (!!!) Hals, und ich wollte nicht schlucken, was zu schlucken ich offenbar gezwungen war. Seit ich dagegen nicht nur protestiere, sondern eine Lösung zu basteln angefangen habe, also: tätig werden konnte, hat mein Körper mitgezogen.
      So sehe ich das momentan und werde abwarten, ob ich da richtig liege. Falls nicht und sich die Beschwerden wiederholen sollten, werde ich in den jetzt noch unreifen Apfel schon beißen und im Krankenhaus zumindest einmal anrufen.

    2. Lieber Herr Herbst,

      ich schreibe ja nur deshalb so selten hier weil mein intellekt dafür nicht ausreicht – und das schreibe ich ohne jedem zynismus. aber ich lese regelmäßig ihr sehr spannendes arbeitsjournal, das zeigt wie wichtig disziplin und rythmen sind. eigene… diesfalls.

      die selbstheilkräfte, die sind wesentlich… und auch ich baute lange jahre mit begeisterung auf diese, zum teil auch mit unbändiger lust; wenn aber diverse syndrome und allergien genau auf die selben abzielen und den grundbestand des körpers unterhölen, dann wird es schwierig.
      immerhin: als künstler hat man jedenfalls den koffer rasch gepackt, war das leben doch dicht genug. die parze kann kommen, wann sie will. ich bin bereit.

    3. @Ramirer: Mängel. weil mein intellekt dafür nicht ausreichtDaß ich das nicht glaube, werden Sie verstehen. Wir haben – alle – riesige Kapazitäten. Je mehr wir anzapfen, desto größer wird ihre Realisierung. Ich glaube nicht an, zum Beispiel, Dummheit. Deshalb erlebe ich sie, wo sie mir begegnet, als einen Angriff, ja als Beleidigung: nicht, weil sie wirklich w ä r e (von Ausnahmen abgesehen, die Erkrankungen vergleichbar sind; auch gegen die tun wir aber etwas), sondern weil sie sich als Seiende selbst verursacht, indem sie als bequem empfunden wird – oder als heilbringend; so unterstellt das schon die Bergpredigt.

      Was die Parze anbelangt: ich noch nicht. Muß erst etwas fertigkriegen. Wenn Sie ihr das bei einer Begegnung, die ich Ihnen aber nicht wünsche, ausrichten würden, wär ich Ihnen über Goldberg hinaus sehr verbunden. Was Allergien anbelangt: die können ansteckend sein. Sagen Sie das der Parze, w a r n e n Sie sie: dann wird sie auch Sie noch in Ruhe lassen.

    4. @herbst.dank ihre worte tun wohl. nicht nur in diesem falle, wo sie mich persönlich addressieren – alleine der klang tröstet die seele (und da ist es egal, worum es sich dreht), wie es auch die musik vermag, dafür sei ihnen dank an dieser stelle.
      goldberg, schreiben sie wiederholt… war es nicht meine bescheidene “kunst der fuge”, die ich ihnen sandte? mich freut sehr, dass sie dies mit freude erinnern.

      obgleich ich mich zu erinnern glaube, dass sie vivaldi gegenüber eher distanziert sind: möchten sie eine CD mit bach-bearbeitungen von vivaldi-konzerten für orgel, die ich letztes jahr umgesetzt habe? ich würde sie ihnen gerne zusenden. als kleines dankeschön von einem treuen leser.

    5. Kunst der Fuge. Selbstverständlich. Da gab’s wohl einen ungeregelten Regelkreis in meinen Synapsen, verursacht möglicherweise durch >>>> Neuwirths Lulu & Beß, kombiniert mit Bachs Orgelgesamtwerk; dazwischen, von meinem Jungen, mal hier ein Pop und dort ein hipper Hop.
      Das fände ich wunderbar, die CD zu bekommen. Wegen der Parze hab ich, übrigens, gedacht, daß Ihnen >>>>> diese Elegien, und darin besonders die neunte, sehr gefallen könnten.

    6. bachs orgelgesamtwerk kann die synapsen schon mal aus dem “gleichgewicht” bringen – aber sind sie da je, also im gleichgewichte? oder besteht nicht ihr wert gerade in der ungleichgewichtigkeit der bewegung? wie auch immer … 😉
      BachVivaldi geht also bald auf den weg, wohl schon morgen. vielleicht haben sie ihre freude daran, vielleicht auch ihr junge, der ja vivaldi auch sehr mag, wie ich las…

      die bamberger elegien sind nun endlich auch bestellt, die neunte werde ich als erste angehen und freue mich schon drauf.

      viele grüße aus wien!

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