>>>> Iko Freese.
Fotos aus dem Saal und in den Pausen: ANH/iPhone.]
beim Duette im Bette“
Odysseus, Duo Melanto/Eurymachos,
Wolf & Lenz sehr frei nach Badoardo.
Wie schon Neuwirths kompositorische Arbeit mit Berg, ist auch diese Bearbeitung teils großartig; da >>>> Elena Kats-Chernin indes, Australierin wie Kosky selbst, mit dem musikalischen Material weder ideologisch gebunden noch puristisch umgeht, verleiht sie der historischen Aura Monteverdis eine Modernität, die auch vor gelegentlichen Anklängen von Unterhaltungsmusik nicht scheut – was interessanterweise den Effekt hat, Monteverdi selbst wie einen unmittelbaren Zeitgenossen klingen zu lassen, während die auch nur höchst gelegentlich auftönenden, diese wirklich nur Momente leichtgeschürzter Musen den Charakter von Erinnerungen bekommen. Das ist frappierend und manchmal schmerzhaft eindringlich. Außerdem läßt die Komponistin Monteverdis Rezitative, die schließlich, in der späten Poppea, zum parlar cantando werden (erst von Wagner wurde das ins Höchste vollendet), nicht von den alten Instrumenten begleiten, sondern durch ein Quintett-Ensemble, in dem es, wechselnd von Oper zu Oper, das Akkordeon und Bandoneon gibt, das >>>> Cimbalon, die >>>> Djoze und die >>>> Kore, den >>>> Oud, die >>>> Theorbe, schließlich sogar, in der Poppea, Banjo, E-Gitarre und Synthesizer. „Unser Monteverdi klingt halt ein bißchen nach Knoblauch“, schreibt Kosky selbst dazu.
Aber das ist es nicht.
Das ist es nicht. Nein. Sondern die, denkt man, „fremden“ Instrumente klingen alles andere als fremd, zumal sie nicht brechtsch, also zur distanzierenden Verfremdung, eingesetzt werden, sondern ganz im Gegenteil das Geschehen auf eine besonders intensive Weise in die Gegenwart rücken: Eben sie erlauben eine Identifikation von radikaler Art, etwas, das in der historischen Aufführungspraxis spätestens seit ihrer Etablierung n i c h t mehr funktioniert – zuletzt schaffte sie‘s, in meiner Erinnerung wirklich radikal, bei Norringtons Dirigat der Beethoven-Sinfonien mit Instrumenten der Zeit, deretwegen die Ruppigkeit des Komponisten von keinem spätromantischen Orchesterapparat wagnerscher Prägung weggeschmiert werden konnte. Auch daran sind wir aber jetzt gewöhnt.
Kats-Chernins Instrumentierung leistet es wieder, Der Schock bei gleichzeitiger Vertrautheit entbindet aus allem Madrigal-Historismus genau das Neue, was Monterverdis Opern zu seiner Zeit bedeutet haben müssen und was Keim einer ungeheuren, auch rasenden Kunstentwicklung wurde: Man muß von einem Sensationellen sprechen. Die E-Gitarre etwa, in der Poppea, dient auch noch zur Charakterisierung dieser Figur, vergleichbar der Flöte, bzw. Glasharmonika in der Jahrhunderte späteren >>>> Lammermoor und sogar dem Horn für Siegfried – aber charakterisiert eben so, wie die Amme ihre Poppea sieht. Entsprechend wird sie, diese E-Gitarre, geradezu als leitmotivisches Melodieinstrument geführt, besonders ergreifend in dem ariosen Lullaby, mit dem die Amme ihre Anvertraute in den Schlaf singt. Konsequent kommt sie -.melodisch hoffend – in Poppeas und Neros abschließender Liebesarie abermals zu sich, also zu den Kinderträumen der Poppea nach einer, so gerissen sie immer sein mag, wahren Zugehörigkeit: „Ich bin dein.“ Die orientalischen Instrumente wiederum schiefen den Monteverdi-Klang. Das gibt von Anfang an etwas Unheimliches in unsere Ohren. Bevor nämlich überhaupt die erste Fanfare ertönt und das Bild der heilen, paradiesischen, quasi ungebrochenen Natur-Welt des einst gewesenen Arkadiens in den Saal ruft, verleiht Amor selbst dem Orpheus seine alle spätere Zeit bis in unsere Gegenwart prägende Fähigkeit. Er tut dies zu den Klängen eines angeschnibbelten Tangos, nachdem über dem Orgelpunkt, quasi dem Baßgrollen dieses monteverdischen Rheingolds, und einem vierteltönigen Mischklang aus Djoze, Cimbalom, Kontrabaß Amor selbst den Prolog gibt.
So, ja, dachte ich, so muß man es machen. Dies, um noch einmal Wagner zu nennen, heiße, die Meister zu ehren. Es fegt einem allen gefälligen Schmock, und bläst ihn aus ihren Tiefen, von den Ohren.
Kompliment. Mehr als das. Eine Verbeugung. Verbeugung für, vor allem, die Feinheit, die Eleganz, das sinnliche Gespür der Komponistin, Monteverdi nicht etwa über den Mund zu fahren, sondern immer nur gelegentlich die eigne Hand in seine Musik zu tauchen und darin ein bißchen zu bewegen, so daß neue Wellenringe über den See gehen, nie aber spritzen, und sich auch immer wieder, sich glättend, einschmiegen, um mit ihr einig werden. Wir hören Monteverdis Melodien, die aber seine sehr viel spätere Schwester uns vorsummt. So, ja, muß man das machen. Gäbe es von der Musik dieser drei Opern, von Kats-Cherins Monteverdi also, eine CD-Aufnahme, ich würde ihren Ruhm besingen.
Welch ein Glück, zumal, die Komische Oper mit des Tages Sängerinnen und Sängern hatte! – dem schönen Orpheus etwa, der auch so präsent singt, wie er dasteht: kein irgendwie verkleideter Freak als junger Mann, sondern eben: genau ein realer: Dominik Köninger:
– dann aber… fassungslos… -: Günter Papendells Odysseus. Schon der erste Ton ging mir von solch baritoner Weiche, die aber harte Wände hat, von einer solcher Weite quer durch den Leib. Leute! Geht hin, allein, um diesen Mann zu hören.
– und schon, da sind wir jetzt militant in Rom, Brigitte Geller, nun ja, sowieso zu recht ein Star des Hauses, als Poppea, wie sie, dreiviertels intrigant und dabei schwanzgeil sondergleichen, viertels aber immer noch ein kleines Mädchen, das einfach sicher schlafen möchte, wenn auch, um von der Macht zu träumen – wie sie ihrer Poppea, der infamen, Menschlichkeit verleiht, das ist ein mehr als tolles Stück.
Kosky also. Nun also Kosky. Was hat er mit diesen Opern getan?
Er hat sie, um es anfangs kurz zu machen, aus ihrem Totenbett geholt, anders, ganz anders, >>>> als René Jacobs so etwas zeitgenössisch a u c h in Szene setzt, dem er, Kosky dem Jacobs, im Programmbuch seine Referenz erweist. Das ist gut und das ist richtig, daß er ihn nennt. Und dann aber – eigen zufaßt. Und eine – selbstverständlich vorläufige – Menschheitsgeschichte der Liebe auf die Bühne bringt, deren Szene, je komplizierter die Begebnisse und Zusammenhänge werden, um so karger wird. Seine Götterdämmerung endet bereits, nachdem den Parzen der Faden zerriß. Das zeigt uns Kosky nicht, aber die furchtbar schleichenden Folgen. Imgrunde führt er uns vor, wie wir uneinig wurden – unter der Voraussetzung, freilich, daß es den ersten glücklichen Urstand jemals gab. In jedem Fall gab‘s ihn als eine Menschheitsidee und bis heute weiterwirkenden Traum.
Reich ist er gewesen, ungeheuer reich, und vielgestaltig. Vor allem aber war er – schön. Das läßt uns Kosky in Katrin Lea Tags tiefem, verworrenem, verwirrendem wachstumsgeilen Pflanzenbild der ersten Oper des Tages s e h e n, dem Orpheus und seiner Blumen-Dschungel, ein Bild, das deshalb derart überzeugt, weil es aus vielen, sehr vielen echten Pflanzen aufgeschossen ist, unter die sich nur gelegentlich künstliche mischen – die riesigen Hagebutten etwa in Rot und einem Elfenbein, das bei Beleuchtungswechsel gut grünblau werden kann.
Es gibt in dieser ersten Monteverdi-Oper eine Szene, worin Kosky das Kunststück fertigbringt, den Chor sich zueinanderlegen zu lassen, völlig durcheinander nach Geschlecht und Altersordnung, und diese Chorsänger:innen berühren sich so gegenseitig, streicheln sich, küssen sich, daß wir die Freiheit des Begehrens fühlen und welche Schönheit der zärtlichsten Sinne uns ins Vereinen streicht. Dies mit einem Chor hinzubekommen, so, daß es nicht peinlich, sondern natürlich ist, arkadischer Naturzustand nämlich und zugleich physische Gestaltung von Utopie – alleine das ist von enormer inszenatorischer Liebe. Wessen Fuß küsse ich, wessen lecke ich, wessen Hals und Gechlecht, ob Schwanz nun, ob nun Möse. So egal. Und derart eines.
Direkt vor uns liegt er, dieser Chor. Diese Menschen liegen vor uns. Es spielt auch keine Rolle, welchen Alters sie nun sind, so verbunden, sie, mit ihnen wir, so nahe, direkt über der dritten Reihe des Parketts der Komischen Oper in der Mitte Berlins, bis wohin die Bühne heute reicht. Und reicht darüber in uns selbst. Dies ist die, meine ich, überhaupt ergreifendste, weil eine aus dem Glück uns ergreifende Szene: die pagane Einheit des Menschengeschlechts nicht nur mit sich, sondern mit den Bäumen, den Tieren, den Satyrn, Faunen und Nymphen. Noch wird nicht vergewaltigt wie später einmal in Poppea. Sondern alles will.
„Ah!“ wehrt in der Pause abwehrend ein Freund aus. „Viel zu überladen! Was für ein Kitsch! Nur wer nichts zu sagen hat, füllt so.“ Das klagt eine Konzentration ein, auf das, meint er, Wesentliche. Noch kennt er, ganz wie ich, das Ende nicht. Wohin es uns geführt hat, Substanz und Akzidenz zu trennen und das Skalpell zu führen, das uns, uns selbst, zerschneiden wird.
Noch sind wir im Rheingold, vergessen wir das nicht!
Eurydike stirbt, von einer Schlange – des Paradieses? darüber läßt sich denken – gebissen. Hades mag, der Dunkle, auch etwas von dem geilen Pflanzengrün, und von dem Sonnenlicht ein Weniges, sich herabgeholt haben wollen; auch er ist, >>>> wie es Křenek durch Kokoschka sah, nicht ohne Männlichkeit: diese beiden haben schließlich Eurydike und Kore zusammengezogen, Persephone als Jungfrau in unsrer jungen Moderne. Von solcher Spaltung ist Orpheus bei Monteverdi noch frei, doch Hades, durch seine seelisch unerfüllbare Bedingung, setzt sie bereits. In dem Moment, in dem Orpheus, dessen Sangkunst solch ein Erbarmen rührte, sich umdreht, zerfällt die gesamte Unschuld der Welt. Doch sie zerfällt nicht Orpheus‘ wegen, sondern alleine Amor, indem er Charon austrickst, läßt den Mann zu Pluto erst gelangen. Amor, bei Kosky, ist ein umgestülpter Alberich, die grause Überschminkung, mit der er schon zu Anfang auftritt, soll uns warnen.
Vorhang-
Ovid, nicht Monterverdi, erzählt, wie Mänaden den Orpheus zerrissen, der Kopf schwamm nach Leuke – andre sagen: schwamm nach Lesbos, um der Sappho seine Verse zu vereerben. .
Wir können derweil mit Lachsstreifen Kartoffelsuppe essen oder ein mediterranes Ragout. Korrekt vom Biorind. Die Sonne aber, des letzten Schönherbstsonntags, zieht uns vor die Tür.
Die Bühne ist nun fast leer, paar Stühle braucht sie und, ganz im Hintergrund erhöht, einige wenige Bäume, die ihre Blätter aber längst verloren haben: so stehen sie in Reihe.
Grandios, wie uns, nach zweieinhalb Stunden voll seines angeblichen Edelmutes, Kosky den Mörder in Odysseus zeigt. Drei Schüsse, die sich wiederholen werden, aus ganz genau dem gleichen miesen Ungeist, doch da schon intrigant, weil auf tyrannische Omnipotenz fokussiert, und nicht, wie noch bei Odysseus, allein brutaler Unbeherrschtheit halber. Die Politik ist hier noch fast privat. Was Wunder aber, daß ihn, den überidealisierten Gatten, die Gattin bis beinah ganz zuletzt nicht erkennt – und selbst dann noch, wenn sich die beiden endlich küssen, nagen in uns Zweifel, als ob‘s die ihren wären. Wir können sicher sein, daß er es auch nicht ist, weil nach jahrelangem Morden ein anderer als der, der ging, heimgekehrt sein wird. Er sah die Gebeine Hektors um Troja gechleift, bevor sie, diese Stadt, selbst geschliffen wurde. Er war beteiligt an einem Polizid: großstädtischer Massenmord an allen. Er löste dem toten Achill den Schwur ein und ließ Polyxena, Hektors Schwester, opfern. Da ist viel Blut an seinen Händen. Das wäscht sich nicht mehr aus der Seele. Lady Macbeth, eines Tages, wird das wissen.
So irren sich alle in ihm, auch der bemühte, von Thomas Michael Allen herzrührend gesungene Diener Eumaios, vor allem aber wir, das Publikum, die von seiner, Odysseus‘, also Günter Papendells, Schönheit in Stimme, Volumen wie Intonation, von Anfang an bewundrungsvoll bezwungen werden. Und dessen Liebe zu Telemachos, seinem Sohn, wir auch berechtigt lauschen: auch Mörder können sehr tief lieben. Gerade hier liegt eine besondere Stärke Barrie Koskys: daß er allen Figuren nah ist und ihnen ein, soweit nur möglich, Recht auf Leben gibt, ihnen ihr eigenes Leid und ihre eigene Lust zugesteht und beides gleichberechtigt formt. Sogar für Nero wird das gelten.
Amor unterdessen weiß schon, was er vermag. Er tut, was alle Potentaten tun: erweitert seine Macht. Längst schon spielt er nicht mehr kindlich, sondern läßt sich huldigen, ja ruft mit Nietzsche aus: Ich muss empor und hör euch rufen:
„Hart bist du; Sind wir denn von Stein?“ —
Ich muss weg über hundert Stufen,
Und Niemand möchte Stufe sein.Imgrunde, meint er, sei er selbst der Göttervater. Konsequent kleidet er sich in der dritten Oper dann, in Poppea, wie die Puffmutter, die er da auch ist.
Poppea aus ständischem Haus, Aufsteigerin durch die Betten hinauf, auch über Neros Ermordung ihres Kinds aus erster Ehe ruhmbesessen hinwegschreitend auf dem Allmachtsweg zur Kaiserin, dem Nero quasi immer am Schwanz, zugleich aber Mädchen, wenn auch gerissen, geblieben in der Obhut ihrer Amme. Sowie ein Amor, der längst sich süffisant an den Verdrehungen und Perversionen l a b t, an den Betrogenen und den Betrügenden zugleich, an den Toten, ob durch fremde oder eigne Hand – eine transvestite Schranze, deren eigene Geilheit längst impotent geworden, weil durch Macht ersetzt ist – eigentlich ein Klingsor, doch ohne den Ruf nach Erlösung, weil allewelt die von i h m verlangt. Er verteilt sie mit offensten Händen: jede Wohltat Schlangengift. Wer davon nimmt, wird schuldig immer selbst. Nicht einmal die Amme ist gefeit, niemand, gar niemand in dieser Oper mehr – außer vielleicht dem naiven Drusilla‘chen, das deshalb am bittersten büßt. Denn auch sie, schließlich, wird hingeschlachtet – in Neros drei Schüssen, die, freilich diesmal hinterücks – das im Wortsinn nämlich: den andern in den Rücken geschossen -, Odysseus‘ Schüsse wiederholen. Die immerhin waren noch von vorn, wenn auch feige mal so eben, wie einer die drei Käfer auf dem Tisch zerdrückt, dem gerade danach ist.
Bereits im Orpheus gab es Nacktheit, aber eben quasi schuldlos: ein paar Nymphen oben ohne, mädchenhafte Apfelbrüste, halb g‘schamig, halb auch neckisch hinterm langen Haar, und wenn die Mädels liefen, sah man sie auch bloß, wunderschön. Davon wehte die Lust, einander zu berühren, von der Bühne zu uns herab, wenigstens uns Männern, soweit wir zwiegeschlechtlich neigen, aber auch das eigentlich unschuldig, weil es halt Mädchen, Nymphen, waren. Und die ausgesucht schönen Gesäße blieben hinter den Maschen der engen Netzstrumpfhosen, sichtbar zwar, doch auch verborgen. Nur wer sehr viel Glück hatte, weil eine dieser Nymphen direkt vor ihm zu liegen kam, konnte einen Blick ins Dunkelste erhaschen. Mit nackter Männlichkeit indes hielt da Kosky sich nicht nur zurück, vielmehr kam sie schlichtweg gar nicht vor. Das hat bei ihm nun ganz gewiß nicht den Grund einer besonderen Keuschheit gehabt. Sondern die Nacktheit bei den Männern, im Nero nun, kam massiv wie die Faust, zudem nicht mit Blicken auf homoerotische Schönheit, sondern in aller Blöße nichtdesignter Körper. An Männern, die nicht erregt sind, aber sich rennend und hüpfend bewegen müssen, schwabbelt und schlenkert es herum, nicht mal die Schwänze, nein die Hoden. Wenn da dann auch noch Wampen… –
Daß Kosky dieses Mittel einsetzt, hat selbstverständlich auch mit der Szene zu tun. Wir befinden uns in Rom, der Hochburg der aus dem Platonischen überkommenen, mittlerweile rein von Machtgier durchsetzten Homoerotik. Da mögen die Geliebten schön gewesen sein, und jung, die feisten Senatoren nicht, die sowas gar nicht nötig hatten. Die hatten, bis heute gilt das, Geld, so daß man sich kauft, was man will. In Rom tat man es ungeniert. Heute ha‘m wir Callgirl-Ringe, und es gibt die Dritte Welt mit ihren millionenfachen Angeboten. Da kriegt man auch immer noch Mädchen, richtig kleine, und Knaben. Amor hat seine helle Freude. – Doch was Kosky jetzt in Bewegung setzt, ist, daß er genau um das noch immer wirkende Tabu weiß. Es ist ein patriarchales. Der Herrschende stellt sich nicht bloß. Also w i r d entblößt: Seneca zum Beispiel, und für eine lange Partie, vor seinem Tod. Doch schon davor die lang- und kurzschwänzigen jungen Lustknabensmänner, die sich spreizen. Zuschauern, noch immer, ist das peinlich. Diese Peinlichkeit durchzieht fortan das Stück, das uns ihr dauernd aussetzt. Wir fühlen uns unwohl. Irgend etwas Riesiges, Dickes, Unheimliches, Abstoßendes ist passiert, seit wir morgens doch so glücklich zwischen den Nymphchen und Faunen und hasenköpfigen Statisten in Arkadien waren und schwirrenden, überall, Vögeln, selbst bei den Schmetterlingen noch. Jetzt aber wird auf den Stühlen gerückt –
Puffmutter Amor schaut uns dabei zu, nippt vom Champagner, schnalzt.
Dann wird, mit Drusilla, die letzte Unschuld gemordet, die es auf Erden gab. So daß der triumphale Weg beschritten werden kann zum Thron: L‘incoronazione di Poppea. Wir wissen, daß diese Sabina nun noch drei Jahre zu leben haben wird. Es wird eine besondere Gaudi Amors sein, sie, die Hochschwangere, an einem Fußtritt Neros verenden zu lassen. Das streicht ihm Kosky aber durch, diesen für Amors Witz so typischen Ulk. Nein, Kosky verweigert sich jedem Zynismus. Statt dessen gehen beide nun, die Poppea Sabina und ihr Cäsar Nero Germanicus, in dasselbe Wasser ein, auf dem einst Orpheus‘ Kopf entschwamm. Man kann das versöhnlich nennen, auch wenn die zweie drin ertrinken, wie abgebrochen, im Gesang –
DIE MONTEVERDI-TRILOGIE
Orpheus – Odysseus – Poppea
Von Claudio Monteverdi und Elena Kats-Cherin
Musikalische Leitung André de Ridder.
Inszenierung Barrie Kosky.
Bühnenbild, Kostüme Katrin Lea Tag. Kostüme Katharina Tasch.
Dramaturgie Ulrich Lenz. Choreograph Otto Pichler.
Chöre André Kellinghaus. Licht Alexander Koppelmann.
Dominik Köninger, Julia Novikova, Peter Renz, Theresa Kronthaler,
Alexey Antonov, Stefan Sevenich, Günter Papendell, Ezgi Kutlu,
Tansel Akzeybek, Mirka Wagner, Adrian Strooper, Christiane Oertel,
Thomas Michael Allen, Jens Larsen, Christoph Späth, Tom Erik Lie,
Karolina Gumos, Annelie Sophie Müller, Brigitte Geller, Roger Smeets,
Helene Schneiderman, Theresa Kronthaler, Julia Giebel, Ariana Strahl.
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin, sowie mit Ralf Templin,
Greg Dinunzi, Andreas Willers, Marthe Perl, Matthew Toogood, Yuri Tarasenók,
Rainer Volkenborn, Enikö Ginzery, , Bassem Hawar, Jesper Ulfenstedt.
Die nächsten Vorstellungen:
Orpheus 19. Nov 2012, 4. Juli 2013.
Odysseus 20. Okt 2012, 6. Juli 2013
Poppea 21. Okt 2012, 7. Juli 2013
Die ganze Trilogie: Sonntag, 4. November 2012.
Manche Ihrer Kritiken wirken so organisch, als hätte die Musik selbst sie ausgeschwitzt.
Oh, Frau Phyllis. Danke.
Hier freilich war ich mit ganzem Selbst dabei. Hat ja auch lang genug gedauert, bis dieses Dingerl fertigwar.
Das möchte ich erreichen: Liebe für solche Inszenierungen zu wecken. Erst das Interesse, dann die, bei manchen, Leidenschaft. Und wenn die hält, die Liebe.
Seneca … ist kein philosophischer Schwätzer. Das erstmal als aside.
An sich@PHG ist er das nicht. Er ist es aber im Gefüge dieser Inszenierung.
(Da ich ihn aber nie gelesen habe, kann ich es nicht beurteilen, sondern eben nur das, was ich sah und hörte.)
Die letzte Aufführung des Gesamttrilogie gesehen. Nämlich, zusammen mit meinem Jungen, >>>> gestern. Nun war es auch wirklich voll, das Haus,. und die Leute tobten vor Begeisterung nach den Aufführungen – so, wie es sich für diese Inszenierung auch gehört.
Interessant, daß mein Blick auf Seneca diesmal anders war, als ich ihn oben in der Rezension wiedergegeben habe: nunmehr ist er wirklich ein Gebrochener, der, >>>> wie Gogolin kommentierte, tatsächlich k e i n Schwätzer war. Schon insofern ist es immer dringend angeraten, sich eine Inszenierung mehrfach anzusehen. Insgesamt wirkte das Poppea-Stück diesmal am intensivsten. Und mir fiel noch die Baß-E-Gitarren Parallelführzung zu Octavia besonders auf, sowie, daß das abschließende Liebesduett Poppea/Nero ein gewaltiger Ohwurm ist, der nicht nur ewig in einem weiterklingt, sondern seltsam an ein Thema in einer der Sibelius-Sinfonien erinnert, was natürlich das Umgekehrte meint; Sibelius wird die Monterverdistück mit Sicherheit gekannt haben. Wenn ich recht habe, müßte man bei dem Finnen ein bißchen was anders „lesen“, als daß bisher getan worden ist, jedenfalls so weit mir bekannt.