Erster Schnee, dazu Sonne ODER Staunen & Glück. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 5. Dezember 2012.

9.39 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Wie lange ich keine Musik mehr gehört habe! Auch das gehört zu meinen Ausfällen, wenn ich nicht gesund bin: daß mich Musik nicht einläßt, sondern ihre Tür verschließt – wobei, dies erschwerend, hinzukommt, daß ich auch keine hören darf, wenn ich Text überarbeite. Darüber schrieb ich schon mehrmals. Doch auch in den Pausen, in denen ich liege, finde ich keinen Zugang; der Körper schaltet rein auf sich und seinen inneren Abwehrkampf, konzentriert sich ebenso, wie ich selbst, als Geist, mich bei einer Überarbeitung allein auf den Text konzentriere.
Wieder lange geschlafen, um halb neun stand ich auf, nahm den ersten Latte macchiato, der nun schon beinah getrunken, und schrieb einen aber nicht langen Brief. Ich träumte wüst von einem Treffen in New York, einem gemeinsamen Projekt, zu dem ich von einer ziemlich eleganten Synthese aus Andy Warhol und Karlheinz Stockhausen, einem berühmten Aktionskünstler jedenfalls, geladen war, eigentlich aber, wenn ich nun nachdenke, mehr von seiner Frau. Beide besuchten mich dann auf „meiner“ Insel, die auch die ihre war. Mein Sohn war dabei.
Die Wohnung in New York City war in einem riesigen Mietshaus gelesen, wie man‘s in Anderswelt fände, würde man so etwas suchen, oder in Tokyo. Die Stiegen von Wohnung zu Wohnung waren gerade körperschmal, man stieg immer sehr steil hinan bis auf Absätze, die für nicht mehr als zweidrei Personen Platz hatten und von denen dann Türen in nahezu ebenso schmale Wohnungen führten. Sofern sie das können, Türen, also: führen. Beim Hinaufsteigen hielt man sich je an den Wänden fest, schob sich, sozusagen von ihnen eingekeilt, hoch und glitt, sich gegen sie stemmend, wieder herunter.
Die Insel war viel weiter. Ich fuhr mit meinem Sohn ein Boot, einen Kahn eher, durch tropischen Nebel. Wir legten an und begaben uns schließlich zu einem Platz, auf dessen Holztischen ein Picknick bereitet, Warhausens Frau begrüßte mich, las einen Brief von Suhrkamp vor: er, Warhausen und ich, sollten ein Buch da herausbringen, das aber um seine Werke ging; von meiner Literatur war nie die Rede, ich hielt ganz mit ihr zurück – bis mich seine Frau zu einer Lesung nach New York lud. Davon wachte ich auf.
Seltsam, Stockhausen verstehe ich, Warhol nicht. Und für wen steht die Frau?
Ich schlafe entschieden zu viel, wenngleich die Löwin, diesmal weckte sie mich, wie schon gestern, der Meinung ist, mein Körper nehme sich grad, was er brauche; das beruhige sie sehr. Auf jeden Fall arbeitet er, denn auch Geist ist ja Körper, nichts als Körper, jedenfalls rein vom Körper gemacht.
Der Halsschmerz ist jetzt völlig weg, aber so ganz genesen bin ich noch nicht. Als ich gestern etwas einkaufen war, fand ich das anstrengend und schwitzte dabei. Von daher, besser noch ein bißchen Vorsicht. Am Schreibtisch zu sitzen, ist aber okay, und der Latte macchiato schmeckt nun wieder. Ich mach mir jetzt den zweiten. Dann geht‘s an Argo ff.
Guten Morgen. Draußen liegt eine dünne Schicht Schnees auf den Dächern. Ich erwarte ihn dringend, weil er des Winters Licht ist – auch in den Nächten. Ich habe das Gejammer über ihn nie verstanden, schon gar nicht, es werde in der Stadt alles Matsch. Das stimmt nur für die Fahrbahnen, und wenn es kalt genug ist, auch dann nicht. Die hiesigen Menschen aber wollen es immer gemäßigt haben, ein anderes Wort für „bequem“. Wie man sich damit permanent selbst in den Arsch tritt, wird ihnen immer erst dann bewußt, wenn es zu spät ist. „Hätte ich doch nur“, heißt es dann, „gelebt!“ Statt mich versorgen zu lassen.
Die Kombination von Sonne und Schnee gehört zu den W u n d e r n, die unsere Erde zum Staunen unserer Augen bereithält, das nahezu sofort, wenn wir es sehen, zu Glück wird.

16.46 Uhr:
Argo bei S. 564. Wenn ich noch 59 Seiten schaffe, dann habe ich auch den dritten Teil des Romans durch, so daß ich am Freitag bereits drei Teile abgeben kann; das ist mehr, als ich nach der Bettlägrigkeit zu hoffen gewagt habe. Gut. Sehr gut.
Dazu ein pikanter Emailwechsel mit >>>> Chromò, die aus Südamerikas Tropen zurück ist, wo sie eine Art Hafer gestochen zu haben scheint, mich zu reizen. Mit gleicher Hand erwartet sie eine Wiederaufnahme, mit der sie doch abblockt, der Einlösung des im Libanon gegebenen Versprechens oder, sagen wir, Erwartens. Rechnungen, sagte, bevor sie sich hier wütend verdampfte, >>>> Frau Frankenberg, würden irgendwann beglichen; andernfalls sei ein Leben unvollkommen. Auch Romane, immer, werden weitergeschrieben; daß man sie nicht abschließt, kann nur der Tod bewirken. Wenn wir uns nicht verschließen, leben wir alle in Strudeln; wer sich verschließt, lebt aber g a r nicht. Alte Schriftstellertragik übrigens: beiseitestehen und nur zuschauen, um es aufzuschreiben. Das, an Literatur, fand ich immer schon zuwenig. Es ist so – verduckt. Andrerseits ist‘s nicht jedermenschs Sache, >>>> das Kästchen des Teufels zu öffnen.
Argo. Laß dich nicht ablenken, Herbst! Weiter. Na los!

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