Aus dem Venusberg (II): eine Dichterin. Das Arbeitsjournal des Dienstags, dem 18. Dezember 2012.

5.05 Uhr:
[„Palais“ Bijou, 41: Refugio di Venere. Händel, Cesare in Egitto.
(Hübsch so, >>>> von Zimmer zu Zimmer).]

Die Schlange bereit in der Tasche
erwartet den Mond.
Auf dem Teich unter dem Bogen
schwimmen schwarze Blüten.

Yüe-Ling.




Durch den Vodafone-Ausfall zu nichts, fast nichts anderem gekommen gestern als dazu, daß ich dachte, das System meines Laptops warten zu müssen, und dies dann auch tat, da ich ihn für den „Schuldigen“ hielt; dabei denn gingen ein paar Dateien verloren. Man gab mir im Service zuerst auch falsche Antwort, schickte mir per Email eine neue NDISAPI, durch die ich die alte ersetzen sollte, wodurch ich immerhin Yüe-Ling kennenlernte. Als ich nämlich fragte, ob jemand ein Notebook dabeihabe, über das ich auf mein elektronisches Postfach zugreifen könne, nannte mir meine lybische Gastgeberin des Zimmers 35 eben diesen Namen; ich möge aber sehr leise und vorsichtig sein, wenn ich klopfte und sofern ich denn überhaupt Einlaß erhielte. – Der Venusberg hat viele, sehr viele Räume, man könnte sich darin verirren. Aber vor jedem Gang stehen wie in Buenos Aires‘ BOUDOIR allerdings, so stumm sie auch bleiben, freundliche Frauen, um dort zu wachen; selbstverständlich tragen sie, anders als dort, keine Waffen, jedenfalls habe ich keine an ihnen gesehen; vielleicht, daß sie so gut im Allkampf sind, derartiges nicht zu brauchen, oder die Pistolen, Messer, kleine Schwerter sind gut versteckt. Nur wüßte ich nicht, da sie, die Frauen, nicht sehr bekleidet, wo sie die verbergen. Es ist sehr warm, fast heiß in dem Berg, d.h. Haus: Damit haben Sie ganz recht, daß die Frankfurtmainer Taunusstraße völlig flach ist. Wenige Sträßchen entfernt erhebt sich das Hochhaus, in dem ich seinerzeit bei Prudential Security bin tätig gewesen, aus dem in Anderswelt Evans Security wurde – in Buenos Aires, wiederum.
Die kaum große Asiatin, Yüe-Ling, das war überraschend, ist eine Dichterin, der man die Dichterin ansieht, nicht aber die Prostituierte. Sie hat das noch frische Gesicht und den Körper, soweit ich sehen durfte, einer Jugendlichen, aber in ihren Augen etwas Uraltes, nein, etwas, das ein Alter nicht kennt, ist bis hierher, dachte ich, als sie mich ansah, durch die Jahrhunderte geschwommen und wird die folgenden weiterschwimmen, so niemand ihr etwas antut. In ihrem Blick schreckte ich unmittelbar zurück, obwohl das nicht ganz richtig ausgedrückt ist, weil ein Schrecken eben fehlte und nach wie vor fehlt. Es ist vielmehr ein Scheuen, das durch mich hindurchging und mich wirklich verlegen machte. Ich glaube sogar, daß ich momentlang gestottert habe, als ich meine Bitte vorbrachte. Eine reine Maske antwortete mir, bat mich herein, ließ mich erklären. Außer dem Lächeln gab es nicht eigentlich eine Antwort, nicht mündlich, alles ging in Gesten; Yüe-Ling spricht mit den Händen und spricht mit den Schultern, ihr Gesicht bleibt unbewegt. Erst, als ich die stoffgebundenen Bücher bemerkte – es waren Notizkladden, ohne doch Kladden zu sein -, fiel vom Antlitz der Frau die Formalität, aber auch nicht die ganze; sagen wir: die Formalität wurde weich, und die schmale Person begann zu sprechen. Ich benötigte ein paar Sekunden, um zu begreifen, daß auch das nicht stimmte. Nein, sie sprach nicht, sondern rezitierte. Vielleicht hatte sie in mir den Kollegen erkannt, nicht einen des Lebenserwerbs, sondern des Lebens. Dennoch hielt ich mich zurück, erzählte nichts von meiner Profession; es wäre mir aufdringlich vorgekommen. Kann aber sein, daß ihre Freundinnen, im Lauf des Nachmittags, sie aufgeklärt haben, weil sie gegen Abend fast zutraulich wurde, jedenfalls meine Nähe suchte, so daß ich, noch später am Tag, das immer gewechselt habe.
Sie las nur vor, leise rezitierend, fast ohne Betonung, eine Art Mantra der Stimme, die seltsame, schwirrende Höhen erreichte, gefährliche Höhen, dachte ich, spürte ich, aber solche, aus denen man nicht mehr hinauswill, die einen umströmen und den kleinsten Raum in Säle der Erkenntnis verwandeln, einer aber unausdrückbaren, die jenseits konkreter Aussagen wirkt. Darüber schlief ich ein.
Ob sie übersetzt sei? fragte ich einmal, weil sie nur in ihrer eigenen Sprache sprach. Da nickte sie leicht, angedeutet, nebenhin und gab mir eine Anthologie, vor drei Jahren >>>> bei Insel erschienen, erst so erfuhr ich ihren, Yüe-Lings, Namen.

Eingerollt wie ein sehr junger >>>> Polarfuchs lag sie neben mir, als ich erwachte, bzw. weckte mich das Ifönchen, denn ich muß ganz unbedingt an die >>>> Cesare-Kritik.

Sie lag, Yüe-Ling, in meiner rechten Achselhöhle. Der Lybierin, meiner Freundin aus dem von mir Venushöhle genannten Zimmer 35, hatte ich meinerseits erzählt, wiewohl sie ohnedies bescheidweiß; es gibt eine Teeküche in diesem Berg, auf derselben Etage der Zimmer 32 bis 41, dort standen Milch, Espressomehl, ein kleinee silbernmetallner Espressokocher bereit, liebevoll mit einem Topf für die Milch und dem Schaumbesen arrangiert, die Blüte einer stark duftenden Lilie dazugelegt. So steht der Café au lait nun schon bei mir auf dem schmalen Tisch vor Schminkdöschen und Spiegel und möchte, daß ich beginne. In meinem Rücken schläft die Dichterin, die, ließ mich dezent meine Freundin wissen, ihr ganzes Heimatdorf ernährt; zweimal im Jahr fahre sie je für zwei Wochen, also fliege sie dort hin.

Gehen die Wolken in Zeit.
Heben schneeweiße Spatzen den Reis.
Weiß steht vor dem Mann eine ruhende Welle.
Das ist die Frau ohne Weh.


So erhalten in meiner Achselhöhle die Füchsin, allezeit, und geht nicht fort. Auch sie, denk ich grade, in Weiß. Wenn ich heute nicht abermals das Zimmer wechsle, bin ich verloren – nicht mir, auch nicht Ihnen, aber dem, was ich, ein Europäer der Dinge, für die Welt halte. Andererseits, am Nachmittag werde ich شجرة حبة wiedertreffen, der >>>> Die Fenster von Sainte Chapelle gewidmet sind. Sie wird mich ganz sicher auf andere Gedanken bringen. Allerdings sollte meine Kritik bis dahin wirklich fertig und auch bereits eingestellt sein.

19.21 Uhr:
Was ein Krampf. Aber: >>>> Geschafft (auch metaphorisch, allerdings, nämlich ich: Whisky, bitte jetzt viel viel Whisky.)

2 thoughts on “Aus dem Venusberg (II): eine Dichterin. Das Arbeitsjournal des Dienstags, dem 18. Dezember 2012.

  1. Meine Güte! Das hat gebraucht! Abermals Totalausfall des Netzzugangs der Vodafone. Ich kam an nichts mehr ran, schrieb dann die Kritik roh, wechselte danach an einen anderen Computer mit mir völlig fremdem System; dessen Netzzugang kackte ebenfalls ab, da ging dann Vodafone, nach vielen Stunden wieder.
    Ich hasse es, wenn Technik nicht funktioniert.
    Wie auch inmer: Die Kritik >>>> steht jetzt drin. Was ein Kampf.

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