[Arbeitsjournal. Ferenc Liszt, Don Sanche.]
Zu Quentin Tarantino: >>>> Volksnähe.
7.25 Uhr:
Jetzt habe ich fast zwei Stunden lang >>>> dran herumformuliert, obwohl ich den Beitrag eigentlich „Im Vorübergehn entsorgt“ nennen wollte. Es läßt sich aber nicht daran einfach so vorübergehen, Tarantinos Ruhm ist in seinen Gründen zu skandalös.
Dabei hatte ich mir nach „Kill Bill II“ vorgenommen, niemals, wirklich niemals mehr einen Film dieses, nun ja, Menschen anzusehen. Die menschliche Gemeinheit wäre auch mal ein guter Gedichttitel. Jedenfalls rief sogar der Profi mich an, daß Taratinos „Django“ ein guter Film sei, den ich mir unbedingt ansehen müsse; ins gleiche Horn flötete vorgestern abend die Samarkandin. Also sahen die Löwin und ich ihn uns abends an. Ihr wurde irgendwann schlecht, ich selbst war anfangs noch von dem geradezu karlmayschen Witz des Ex-Zahnarztes Schultz angetan, vor allem von Waltz‘ an Brandauer erinnerndem Zungenschlag; schließlich hielt ich nur noch durch, „um mitreden“ zu können. Tatsächlich ist der Trash ein Phänomen, auf das man ebenso kritisch, das heißt: genau, gucken muß wie auf die politische Funktion des >>> Pops. Ich empfinde es als durchaus alarmierend, daß sogar mein dreizehnjähriger Sohn von einem „guten Film“ schwärmt. Ich werde ein ruhiges Gespräch mit ihm führen müssen. Insofern ist es gut, daß ich dann auch weiß, wovon ich spreche.
Erst relativ spät hochgekommen, der Löwin Arme ließen mich nicht vom Lager. Unruhig, wegen des Hörstücks, aber eben auch dieses Djangos wegen (weshalb beschäftigt man sich mit ihm überhaupt? die Ur-Filme selbst waren schon schlecht) suchte ich nach einer Morgenmusik, entschied mich dann für Liszts lang nicht mehr angehörte Oper Don Sanche. Auch, aber, öde. Es gibt auch schlechte „Klassik“. Na gut, nicht schlecht wirklich, aber uninteressant, zeitverhaftet. Dann lieber, wirklich, Techno. Ich hör das Stück dennoch zuende; danach wandert die LP ins Archiv, wo sie verstauben mag.
Nachmittags hatte die Redakteurin angerufen; sie finde, nach dem ersten Anhören morgens, die Dramaturgie des Stückes zu gleichförmig; es gebe nur einen einzigen wirklichen Höhepunkt; sie sei sich noch nicht sicher, wolle noch ein zweites Mal hören, aber habe den Eindruck, daß der durchgehaltene, quasi immergleiche Ton die Aufmerksamkeit erlahmen lasse. Daß dieses ein Problem sei, >>>> ahnte ich vorgestern selbst; genau das benannte ich als Problem des Realismus. Denn wenn ich bewußt dramatisiert hätte, hätte ich eine Wertung in das Stück geben müssen, die ich eben vermeiden will; werten soll das Publikum selbst. Einige Stellen besonders hervorzuheben, bedeutete nämlich, daß ich selbst Position beziehe. Mir kommt es aber auf Gerechtigkeit des Hinblickens an; also stehe ich weder auf Seiten der Gläubiger noch der Schuldner, sondern, quasi, addiere nur.
Darüber dann ein langes Gespräch mit der Löwin. Wobei es s c h o n eine Parteinahme gibt, meine, aber nicht gegenüber den beteiligten Menschen, sondern eine gegen das „System“ selbst, in dem wir leben. Entsprechend sitzen meine Leitmotive. Es fehle ihr, sagte die Löwin, eine Geschichte, aber unterm Strich, eigentlich, hätte ich genau das gemacht, um was es gehe: rein die Aussagen montiert. – Die Geschichten, deren Oberfläche erzählt wird, sind banal: Das ist das Problem. Genau das ist aber auch das Problem des Realismus, insofern er nicht besondere Einzelne aus der Menge hervorhebt und auf allein sie focussiert. Nur ist, dieses zu tun, eben nicht realistisch.
Jetzt warte ich,was meine Redakteurin heute nachmittag sagen wird, wenn sie ein zweites Mal gehört hat. Noch ist mir keine Lösung eingefallen. Andererseits haben die anderen, die bereits vorgehört haben, keine solchen Einwände gehabt. Unterm Strich, es bleibt dabei, fehlt Transzendenz.
Wie froh ich deshalb bin, heute abend noch einmal >>>> den Peter Grimes hören und sehen zu können! Und wie sehr schön, daß die Löwin mich begleiten wird. Klangwelt für Klangwelt schließ ich ihr auf.
Dann rief, wirklich ungewöhnlich, nachmittags ein Dramaturg der Staatsoper bei mir an, der den >>>> Kaiser von Atlantis betreut hat, über den ich nicht schreiben wollte; aber ich hatte das in einem Brief an die Pressestelle des Hauses begründet, weil ich es halt unfair finde, unentgeltlich in eine Aufführung gelassen zu werden, ohne auch etwas dafür zu tun. Natürlicherweise haben wir einen verschiedenen Blick, er und ich, aber nun sprachen wir lange, fast eine dreiviertel Stunde lang. Kluger, zugleich einfühlsamer Mann. Wirklich ein gutes Kennenlernen, das sich da angebahnt hat.
Jetzt aber, verzeihn Sie, sie ist grad erwacht, der Löwin den Latte macchiato ans Bett bringen. Danach >>>> Yüe-Ling.
10.28 Uhr: Penderecki, >>>> Utrenja:
Schon, wie dieses Stück beginnt, ist von ungeheurer Kraft.