Es gibt Opern, die sich zur Überhöhung eignen, ja nach ihr rufen, nach einer gewissen Form der Abstrahierung, des Versetztwerdens in Überzeitlichkeit, um den
>>> Begriff eines „Ewigen“ bewußt zu vermeiden, etwa bei und für Wagner, auch für Schoecks große Penthesilea etwa, nach Kleist; es gibt Opern, die anders gar nicht zu realisieren sind, allenfalls als Bizarrerien, absurdes Theater und die so schon vom Komponisten und dem Librettisten angelegt sind; solche, mit denen man das machen
kann; an der Komischen Oper der Falstaff hat das einmal sogar für Verdi gezeigt; aber es gibt Opern, bei denen so etwas gründlich schiefgeht, schiefgehen m u ß, dazu gehört sogar Strauss‘/Hofmannsthals Rosenkavalier; derart nahe am Individuum sind sie gebaut, und zwar am
speziellen, einem, das sich nicht für allgemeine Aussagen – allein u m der Allgemeinaussage willen – eignet. Dazu gehört, für mich, ohne Zweifel Benjamin Brittens Peter Grimes. David Aldens Inszenierung der English National Opera London hat sich daran gehalten, fast durchweg, nur in einzelnen Hinsichten abstrahiert sie ein bißchen, etwa bei mit allerdings nicht immer bedeutungsklaren symbolischen Handgesten der Darsteller. Im übrigen ist sie auf eine schlagende Weise naturalistisch; man könnte von einem Fotorealismus sprechen, besonders im einfach nur hinreißend, gespielt wir gesungen, musizierten zweiten Akt der Oper, wenn wir die metallgraue Nordsee sehen, in bleigrauen Tönen über ihr die Wolken geballt, aber Sonne dringt hindurch und fällt mächtig und warm und wie ein Versprechen auf den Poller, ja verführerisch, so sehr, daß Ellen Orford sich ihres Mantels entledigt, glücklich; und wie sie versucht, auf das gestörte Heimkind ein wenig ihrer Zuversicht zu übertragen – alleine dafür lohnt sich der Besuch dieser Inszenierung; man wird diese Szene nicht mehr vergessen.
Das liegt auch an der enormen Präsenz Magdalena Kaunes, über die ich
>>>> bereits früher schrieb und die ich, es möge mich zerknirschen, Magdalena Kožená wegen fast vergessen hatte; an sich gehörte sie, Kaune, in
>>>> meine Liste idealer Marschallinnen mitten mit hinein. Ich erinnere mich nun auch, daß ich versucht hatte, ihren Namen bei der Besetzung für
>>>> Kreneks Eurydice ins Spiel zu bringen, leider ohne den nötigen Nachhall, bzw. war es schon zu spät gewesen. Sie jedenfalls, Michaela Kaune, war der nicht nur heimliche Star dieses Abends, nicht nur ihrer körperlichen – gestisch, Ausdruck, weiblicher Aura – Präsenz halber, sondern wie sie die Töne anschwellen läßt, anstrengungslos, hat man den Eindruck, aber angestrengt, nämlich nie nachlassend, in der Menschlichkeit, der sie den Ausdruck verleiht, und wie das den ganzen Saal füllt, strahlend,
überstrahlend, dabei dennoch in der sanften Hoffnung ihrer Rolle demütig, erfüllt geradezu, ja, von einer bescheidenen, aber nicht einen Schritt der Meute weichenden Zivilcourage, das ist zum SichVerlieben, Li e b e n !, gut.
Ich hätte ihr eine Rose überreichen mögen, aber dazu bedarf es eines
andren Momentes, der jenseits andrer Menschen ist, abseits jedes Zeugen. – Oh, schwer hatte es Peter Grimes!
Dieser wie sein Sänger, Christoph Ventris. Während aber jener sein Lebensziel verfehlt, hat sein Sänger mehr als nur bestanden, auch, wie die übrigen Mitwirkenden, vor allem auch der Chor, gegen Runnicles und seines Orchesters hochexpressives, dabei völlig durchsichtiges Musizieren, das Bässe zu heben vermag, wie ich sie selten aus Orchestergräben hörte: Der Sturm, der draußen über die Küste hereinbricht, tobt wirklich und amalgamiert wirklich mit dem Haß der Menge, und die Versprechen, die von der Sonne auf die aber nur zeitweise wieder geglättete Meereswut gestrichen werden, haben wirklich den Schmelz und versprechen wirklich das Glück und sind wirkliches Sentiment aller Menschen. Es ist ungeheuer, was Runnicles da mit seinen Musikern macht oder was sie für ihn machen; alles, was große Oper auszeichnet, ist da, nur einmal ging‘s im schweren Blech schief, dritter Akt ungefähr Ende Bild 1, aber selbst das wirkte wie beabsichtigt, gehörte in diese Mischung aus Verzweiflung, verhinderter Liebe, Sorgsamkeit und die von fast aller Seelen einer anderen Seele zurückgespiegelten Gewalttätigkeit der Natur, an der sie hier alle hängen in dem kleinen Fischerort an der harten See.
Wie furchtbar sie ist, und wie furchtbar, deshalb, ihre Menschen werden, erzählt ein- für allemal Montagu Slaters Libretto:
In ceaseless motion comes and goes the tide.
Flowing, it fills the channel broad and wide.
Then back to sea with strong, majestic sweep.
It rolls in ebb, yet terrible and deep.
Nein, Grimes hat es nicht leicht. Er ist ein harter, unerbittlicher, wortkarger Mann, der aus dem Elend herauswill, den großen Fang machen will, „ich werde euch fluten mit Fischen!“ beschwört er, der Gemiedene, wegen seines Willens Gemiedene, seiner Unangepaßtheit, seiner Unbedingtheit, die ihn auf einem Fang seinen Lehrjungen verlieren läßt; und erst, als der ertrunken und er, Grimes, keine Hilfe mehr hat, den großen Fang nach London zu bringen, kehrt er um, schüttet den Fang ins Meer zurück, weil für einen allein das Boot zu schwer ist, um es noch lenken zu können. Man spricht ihn in der Gerichtsverhandlung frei, verbietet ihm aber, sich einen nächsten Lehrjungen zu nehmen, was für ihn, für seinen Willen, unannehmbar ist und worüber er sich hinwegsetzt. Die Rede geht klatschend, tratschend, denunzierend um: er mißhandle seine Jungs und werde auch diesen noch zu Tode bringen. Da stürzt der Junge von der Klippe, und auch der außer der liebenden, besorgten Ellen Orford einzige Mensch, der ihm beigestanden, wendet sich nun ab: „Sail out till you lose sight of land, then sink the boat./ D‘you hear? sink her!/ Good-buy, Peter.“ Und der gestoßene, gescheiterte Mann, nunmehr für immer verstummt, tut es. In die herbeigekommene Menge weiß dann Mr. Swallow zu berichten, die Küstenwache habe weit draußen ein Boot sinken sehen. „Once of these rumours“, kommentiert das mitleidlos die mitleidlose Auntie.
Christopher Ventris heller Tenor und seine immer halb tumbe, halb aufbegehrende Gegenwart geben Grimes Tragik einen furchtbaren, für
uns furchtbaren, Ausdruck: Es gibt für einen wie ihn keinen Ausweg, er sagt das mal selbst, daß es nur der Tod sei, was ihn erlösen könne; an das zarte Genrebild, das er in einem sehr kurzen Moment des Loslassens, zweites Bild des zweiten Akts, vor seinem zweiten Lehrjungen, direkt bevor der abstürzt, halluziniert, glaubt er ja selbst nicht – ja, man kann sagen, genau deshalb, weil er sich diese Schwäche durchgehen ließ, kommt auch dieser Junge zu Tode. So ist alles, was Grimes tut, Kampf; für die ersehnte Zartheit hat er in sich gar keinen Raum.
Er selbst ist wie das Element, von dem er lebt; so rücksichtslos ist sein Griff auf die Jungens, so harrsch, ja ohne jede Empathie, ganz, wie gegen sich, Berserker, der selbst die liebevolle Berührung Ellen Oxords nicht erträgt, als wäre auch die bereits ein Angriff auf seine Seele – wobei zu den musikalischen Höhepunkten dieser Inszenierung ganz unbedingt die Parallelführung von Gemeindegesang in der Kirche und draußen den Versuchen Ellen Orfords zählt, einen Kontakt zu dem verstörten Jungen zu bekommen, und ebenso, wie Runnicles in die jahrmarktige Ausgelassenheit der Feier zu Beginn Akt III das vorhergehende instrumentale Sea Interlude immer noch und noch weiterklingen läßt, wie wenn es von einer Welle mehrmals noch angehoben würde über die Burleske hinweg, in der die Dörfler ihre Säue herauslassen, – und überhaupt, wie hier mit Überlappungen von Klängen gerarbeitet wird, die zu bisweilen erschütternden Verzerrungen werden: Das betrifft insgesamt Runnicles‘ Legierung der orchestralen Seestücke mit je der folgenden oder vorhergegangenen Szene. Ich habe den Grimes bereits einige Male gehört, nie bisher war das derart überzeugend ausgeführt.
Pervers ausgedrückt, ist in dieser Inszenierung die Gestaltung des Furchtbaren makellos, mit Ausnahme allerdings der Burleske von Akt III, 1. Für den gemeinten und hier auch notwendigen Realismus ist es ebenso wenig glaubhaft, daß der Anwalt morgens mit heruntergelassenen Hosen vor den Leuten erscheint, wie sich niemand der vor verklemmt puritanischer Gehässigkeit sich an jederlei Unglück anderer labenden Mrs. Sedleys Hand auf das Gemächt legen würde, vor aller Augen, noch würde diese einem Mann wiederholt den Oberschenkel in die Hoden hauen. Insgesamt geht dieses Bild also schief; auch denkt man, wenn plötzlich alle, bei ihren Vergeltungsrufen, Union-Jack-Wimpelchen flattern lassen, jaja, kennen wir, die Selbstbezichtigungsfreude ist nun auch in England angekommen, toll. Aber die intensive Konzentration des zweiten Bildes macht solche Mätzchen schnell vergessen, ein trotz der Musik bis zum Wiederauftreten der Menge fast stummer, sprachstummer Akt; alles, was hier nun geschieht, ist Ausdruck der letzten erreichten Hilflosigkeit, und schließlich spricht wieder, wenn auch durch den Chor, ganz alleine noch das Meer.
Ebenso makellos, nicht selten beeindruckend, die übrigen Sänger, vor allem Albert Pesendorfers Fuhrmann; hinreißend, wie schnell sich sämtliche Mitwirkenden in die Regie dieser „Berliner Premiere“ eingeschmiegt haben – was das ist, eine Berliner Premiere, darüber habe ich
>>>> an anderer Stelle geschimpft, aber wenn eine Inszenierung von solcher Gültigkeit ist, werden meine Argumente zu einem Kartenhaus; auch im Fall von
>>>> Nonos Gran Sole war das schon so.
Also gehen Sie bitte
>>>> in diese Inszenierung hinein.
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Benjamin Britten
PETER GRIMES
Oper in einem Prolog und drei Akten
Libretto von Montagu Slater nach George Crabbe
The English National Opera, London
Inszenierung David Alden – Bühne Paul Steinberg
Kostüme Brigitte Reiffenstuel – Licht Adam Silverman
Chöre William Spaulding – Choreographie Maxine Braham
Dramaturgie Angelika Maidowski
Christopher Ventris – Michaela Kaune – Markus Brück – Rebecca de Pont Davies – Hila Fahima – Kim-Lillian Strebel – Thomas Blondelle – Stephen Bronk – Clemens Bieber – Dana Beth Miller – Simon Pauly – Albert Pesendorfer – Thomas Schneider – Stefan Stefanow – Bram de Beul – Maja Siebenschuh – Heiner Boßmeyer – Aram Youn – Holger Gerberding – Björn Struck – Aram Frank – Robert Neumann – Tadeusz Milewski
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin.
Donald Runnicles
Die nächsten Vorstellungen:
Di 5. Februar, Sa 9. Februar, Mi 13. Februar, Fr 15. Februar 2013,
je um 19.30 Uhr.
>>>> Karten
[Veröffentlicht am 27. 1. 2013.]
Nachtrag zu Peter Grimes, 19.05 Uhr. Das zu erzählen hatte ich vergessen, und wahrscheinlich wird mir noch weiteres einfallen. Aber die Inszenierung beginnt bereits fantastisch, nur daß man dieses tatsächlich nur mit geschlossenen Augen bemerkt: wie sich nämlich der bei Eintritt des Publikums in den Saal schon im Hintergrund befindliche Chor akustisch direkt aus dem Gemurmel des Publikums hebt. Er übernimmt gleichsam unser Gemurmel und überführt damit uns selbst in die Dorfgemeinde. Das ist ein ganz enormer Effekt, den David Alden damit erzielt.
Und ein weiteres, worüber ich nachdachte, ist, daß ungesagt gegen Grimes immer auch ein verschwiegender, ja verkniffener und eben darum sich in irrationalen Haß steigernder Vorwurf mitschwingt, er mißbrauche womöglich seine Lehrjungen und entsorge sie dann. Im Libretto gibt es für so etwas einige Hinweise, und sie passen genau auf die puritanische, gleichzeitig arme Gesellschaft, die das gezeigt wird. Alden arbeitet dieses Motiv nicht heraus, dennoch wurde es fast leitend für mich. Damit Sie mich richtig verstehen: Es geht nicht darum, daß Grimes über seine Rohheiten hinaus mißbräuchlich ist, sondern daß angenommen wird, er sei es, und daß eben dies ihm letztlich den Prozeß macht.