[Arbeitswohnung. Peter Eötvös: >>>> Seven für Violine und Orchester.]
Eötvös‘ Geigenstücke gefallen mit außerordentlich, gespielt von >>>> Kopatchinskaja; UF schickte mir die Aufnahme gestern herüber; auch Ligetis Violinkonzert ist dabei. Besonders aber Eötvös‘ Nähe zu Bartók ist mir vorher nicht sehr bewußt gewesen. Und plötzlich, mittendrin, klingt etwas nach Stockhausen, dem Eötvös so lange verbunden war. Nun ist der „Vater“ tot, und der Sohn, zunehmend, tritt ins Licht. Da zeugen solche Hommages von Größe; meine Lichtmetapher ist ironischerweise selbst eine.
Kurz war >>>> Nora Frankenberg hier, gestern abend, hörte in die „Gerichtsvollzieher“ hinein. „Also echt, ich hab gedacht, was ein dröges Thema, das könne ganz schön langweilig werden – aber jetzt will ich das Stück unbedingt zuende hören. Wie ist das denn gemacht!“ Ich zeige ihr die Montage, sie sieht die Hunderte Clips, man kann, glaube ich, sogar den Rhythmus erkennen:
Ich bin zufrieden mit dieser Arbeit. Dennoch, ich nehme sie künstlerisch nicht für wert, habe drüber nachgedacht, woran es liegt. Es ist mir zu wenig Transzendenz in dem Stück, es ist mir zu „alltäglich“, ohne Katharsis, also nichts ist darin, was mir an großer Musik dieses Erschauern macht und was ich in den meisten meiner anderen Hörstücke immer wieder zu erreichen versucht und, glaube ich, auch wirklich erreicht habe; sondern das Stück ist einerseits informativ, andererseits spannend, ja, aber es ist mir zu, mit einem Wort, realistisch; wir erheben uns nicht über den Alltag darin, sondern sind immer, und bleiben es, auf ihn verwiesen. So gesehen, ist das Stück auch politisch. Man kann sagen, es ist mir zu nüchtern, es gibt überhaupt kein Pathos. Was ich, glaube ich, geschafft habe, ich eine gerechte Darstellung, darauf kam es mir auch ganz besonders an. Aber es gibt keine Transzendenz, sondern wir bleiben immer in der „normalen“ Menschlichkeit. Man kann es auch so sagen: Es gibt kein phantastisches Element, und niemand erhebt sich.
Würde ich das Gerichtsvollzieherstück, wenn ich denn meine Arbeiten wie ein Musiker auszeichnete, mit einer Opusnummer versehen? Genau das bezweifle ich. Es ist ein, glaube ich, gelungenes Handwerkstück, aber nicht mehr, anders, völlig anders, als >>>> die Vergana, als die Romane, als, zum Beispiel, >>>> San Michele oder >>>> das Krausserstück, dessen Ausstrahlung übrigens im März wiederholt werden wird.
Ach, ich kann‘s nicht recht in Worte fassen.
Aufgewacht erst gegen Viertel vor acht. Seit mich das Ifönchen gegen sechs Uhr weckte, lag ich in einem zarten Traum, der auch sexuell war, aber eben zart, geradezu fürsorglich. Ich war da wie ein Kind, das heißt, so, wie man sich als Älterer es vorstellt, daß ein Kind wohl sei; denn die Wahrheit ist doch, daß wir gar keinen Kontakt mehr zu dieser Zeit haben; jedenfalls habe ich ihn nicht. Habe sie abgestreift, beinahe ganz, die, wie ich einmal schrieb, „Gefängnisse der Kindheit“. Und dann ist man plötzlich in sowas drin und mag sich nicht draus lösen. Eigenartig: sexuell, doch ohne Erektion. Vielleicht ist der Blick, von dem ich gestern schrieb, ein Grund, also der, von dem ich am Anfang dieser neuen Erzählung berichte. Momentan ist sie noch so ungefähr, wie vor drei Wochen das Hörstück für mich war: mehr Ahnung als schon Geschehen, geschweige ein „Plot“. Wobei es mir auf solche Plots eigentlich auch gar nie ankommt; die Geschehen müssen auch geschehen, das heißt, sich unabhängig von meinem Willen in die Geschichten hineindrücken, auch gegen mich selbst, gegen meine Moralen und sonstigen Absichten; erst dann, wenn dies geschieht, nehme ich eine Erzählung ernst, erst dann nehme ich auch ein Gedicht ernst: ob eigene Arbeiten, ob die von anderen, ist dafür ganz gleichgültig. Dies genau ist, jetzt hab ich‘s!, mein Problem mit dem Gerichtsvollzieher-Hörstück. Es entspricht meinen Absichten; nichts Fremdes – ohne mich – ist darin g e w o r d e n. Künstlerisch interessiert mich überhaupt nicht, was ich will, sondern das, was sich gegen meine Absichten ästhetisch durchsetzt, sich, um‘s pathetisch zu sagen, selbst gebiert; ich bin da nur die Trägersubstanz. Genau deshalb mag ich auch keine „Treatments“ schreiben, die ein Stück an dem Autor, bzw. dem Publikumsinteresse festnageln, sondern sowas läuft für mich unter Kunsthandwerk, ist nicht Kunst. Das Handwerk hat dort sein Recht und seine absolute Notwendigkeit, wo es schließlich darum geht, das gegen die eigene Absicht Gewordene zu verarbeiten; d a erst beginnt die Knüpf- und Web- und, ja, Ausdruckskunst. – Dennoch, im Gespräch mit Frankenberg bekam ich die nächste Idee für ein Hörstück: „Kellnerinnen“. Da beginnt eine neue Linie in meinem Werk für den Hörfunk, die genau mit dem umgeht, was mir bei den Gerichtsvollziehern fehlt. Vielleicht, daß ich deshalb heute morgen so nachdenklich bin.
Toller Satz Frankenbergs gestern, als wir über die pedantische und nervige Arbeit der Protokollierungen und Auszeichnungen von Clips sprachen: „Qualität kommt von Qual.“
Gut. Den zweiten Latte macchiato bereiten, dann >>>> an Yüe-Ling. Eigentlich müßte ich in den Waschsalon, dringend sogar, aber ich habe kein Kleingeld, und es ist Sonntag: da wechselt es sich schwer. Also morgen früh. Und da ab mittags wird meine Löwin hiersein. Jeden Tag schaue ich nach dem Wetter in Neapel. Sonne. Gebt mir bitte Sonne.
16.26 Uhr:
Ich h a b e den Ansatz – nachdem ich erst, dieses noch mit den Stax, Pfitzners „Das dunkle Reich“ gehört habe, dann sein „Von deutscher Seele“ – absolut blöder Titel, vor allem für diesen rechtskonservativen Mann; er ist dennoch ein unterschätzter Komponist, schließlich, mit Günter von Kannen als Sänger, Othmar Schoecks geniales „Lebendig begraben“ – und jetzt wieder Pettersson, seine Sechste, diesmal von Vinyl – – – und immer hier einen Satz geschrieben, da einen Satz, unruhig herumgegangen, ein bißchen unsittlich gesurft, dann nach dem Ofen gesehen, dann Emails geschrieben, dann wieder einzwei Sätze. Und eben löste sich der Knoten, und die Geschichte wird klar. Es ist die eines sehr erfolgreichen Bildhauers und Malers, der alles, was ihm begegnet, in seinen Arbeiten verklärt. Das bringt ihm Aufträge um Aufträge ein, die ihn reich machen, und da, an seinem fünfundfünfzigsten Geburtstag, begegnet ihm Yüe-Ling: die erste Frau überhaupt, die er, wie er sich auch anstrengt, nicht als schön betrachten kann. Er kann sie auch nicht, wie er es sonst vermag, schön machen; er findet für Verklärung überhaupt keinen Ansatz. Und damit, genau damit, überwältigt sie ihn und nimmt ihm all seine Macht.
Dies der Ansatz.
Ich schreibe mal weiter und, bis gleich mein Junge fürs Cello herkommt, höre auch weiter; gegen 20 Uhr wird mich die Samarkandin zum Essen abholen; ich habe sie zum Griechen eingeladen; von Herzen gerne; aber irgendwie bin ich‘s ihr auch schuldig. Dennoch soll es nicht spät werden; ich muß morgen wirklich mal wieder früh raus, einfach deshalb, weil ich die Wohnung für die Löwin bereitmachen möchte; Frauen lieben es, wenn Toilette und Bad glänzen vor Hygiene. Außerdem muß, wie oben schon geschrieben, gewaschen werden, und der von der Asche des Kachelofens strapazierte Fußboden sollte gesaugt und aufgewischt sein. Dabei läßt sich‘s an der Erzählung ja gut herumdenken.
Ebenfalls nie vergessen werde ich. Wie Eisenhauer wegen >>>> Meere Ezra Pound zitierte: “Kunst ist ein Gefängnis der Trauer.”
Arbeitgeberspruch “Qualität kommt von Qual” ist ein alter Arbeitgeberspruch, sehr geläufig in Werbeagenturen.
In der Kunst kommt es mE auf die doppelte Genauigkeit an: Genau bedachtes Konzept und dann die haarfeine, genaue Realisierung, und das auch noch im Spielen.
@Fritz 1 Genau bedachtes Konzept und dann die haarfeine, genaue RealisierungDieses beides gehört sicher dazu, ist aber zu wenig. Wenn wir über das Konzept selbst verfügen, ohne daß etwas von außer uns hinzukommt, bekommt man einen guten Gebrauchsgegenstand, nicht aber Kunst.
Daß etwas ein alter Arbeitgebersatz ist, sagt nichts gegen seine Wahrheit. Auch Arbeitgeber können recht haben. Jeder Instrumentalvirtuose weiß genau, was mit “Qual”, notwendiger, gemeint ist; eigentlich weiß es jeder Künstler. Ein “schönes” Beispiel sind für mich seit jeher Tänzer:innen: Je leichter die Choreografie später aussieht, desto stärker haben die Füße, und nicht nur metaphorisch, geblutet. Das gilt sogar für den normalen Standardtanz.
Das klingt schrecklich Fritz, was machen Sie denn bloß beruflich?
Qualität und Qual “Qualität kommt von Qual” hängt auch, ähnlich wie “Arbeit macht frei” andernorts, im Eingang der renommierten Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg.
…Du bist ein Faschist Gast, oder?
Quelllgeister Kommt aber von Jakob Böhme, bei dem das Quellen, die Qual und die Qualität zusammengedacht sind. Das ist einer der originellsten Ansätze dialektischen Denkens überhaupt.
@Gast zu dem Vergleich. Ihr Vergleich strunzt vor entweder Ignoranz, Dunmheit oder Böswilligkeit. Das läßt sich auch nicht durch ein zumal laues >>>> “Fand ich immer” aufheben.
@Norweger Nein, überhaupt nicht. Ich fand´s nur immer seltsam, dass dieser eigentlich wunderbare Satz fast wie eine Drohung über einer Schule hängt: Es nimmt ihm die Freiheit, die er eigentlich in sich trägt.
Dennoch, Gast, “Arbeit macht Frei” ist ein anderes Kaliber.
wenn Du den Gerichtsvollzieher so stiefkindlich behandelst, laß Dir sagen und bedenke folgendes: Auch das Collagieren ist eine Kunst. Ror Wolf hat für seine Collagen nicht ein Bild selbst gemacht, keinen Pinselstrich. “Nur” ausgeschnitten, arrangiert und aufgeklebt. Keine Kunst? Die Kunst ist doch, mit allen Einzelteilen so fertigzuwerden, daß etwas Neues und Einziges entsteht. Ob das Gedanken und Formulierungen sind, die zum Text werden, oder Tonschnipsel wie hier halt. Also: rück ‘ne Opus-Nummer raus!
Was@UF ich nicht mag. Ich glaube, mein Unwille liegt darin begründet, daß das Stück ein Stück Realismus geworden ist und ich den Realismus künstlerisch ablehne. Nun hab ich selbst sowas gemacht; daß es, wahrscheinlich, perferkt ist, erhöht den Kunsthandwerk-Character nur noch und damit mein ungutes Gefühl . Deshalb ist Ror Wolf auch ein völlig falsches Beispiel, jedenfalls, um es für diese Gerichtsvollzieher-Arbeit in Bewegung zu setzen; Wolfs Arbeiten sind nahezu alle nicht-realistisch. Es ist in gar keiner Weise die Collage, was mich stört, sondern eben der Realismus, den sie erzeugt. Deshalb auch mein Gefühl von geradezu Befreiung, daß ich jetzt wieder eine phantastische Erzählung schreiben kann, daß mir da wirklich wieder etwas eingefallen, in mich hineingefallen ist, das sich eben nicht nur aus Planung und präziser Durchführung erklärt.
(Gleichzeitig bin ich so pervers, mich jetzt nicht nur mit einem weiteren “realistischen” Hörstück beauftragt lassen zu haben, sondern daß ich sogar schon das dritte dieser Art plane. Aber vielleicht gelingt es mir ja mit der Zeit, auch den Realismus zu überhöhen, also: mit Transzendenz aufzuladen. Dann, allerdings, würde es sich lohnen.)
das klingt ein bißchen nach dem Komponisten, der sagt: “C-Dur mag ich aber gar nicht, hat ja nicht mal ein Kreuzerl.”
@UF. Touché.
(Lachte auf).