Arusha I: Das Arbeitsjournal des Dienstags, dem 26. März 2013. (Aus der Serengeti, doch zwischen D‘Annunzios Zwei Arnos). Anmerkungen zum Eignen in der Fremde und zur poetischen Schönheit, davor in Demut die Stirn gesenkt.

8.32 Uhr:
[Meru Mbega.


Bach, Cellosuiten (Janos Starker).]
Hier ist noch alles still, nur paar heisere Rufe gehen übers Gelände. Man bereitet sich auf die Regenzeit vor, das ist deutlich zu spüren. Und wirklich soll es ab morgen Regen geben. Was mich nicht stört, ich will arbeiten. Wichtig ist, daß es warm ist; noch gestern nacht waren es an die zwanzig Grad Celsius.
Die Löwin war bereits hier; ich soll die Texte für einen Katalog zur zentralafrikanischen Kunst schreiben, also poetisieren, nach vorformulierter Vorlage, aber auch nach Angesicht; die Bezahlung ist okay, vor allem kosten mich die Reisen nichts, und ich bin mir selbst überlassen, kann meine Zeit einteilen, wenn man von den paar kleinen Terminen absieht, die in Arusha verabredet sind. Arbeiten will ich. Es ist reizvoll, hier, in diesem ganz anderen Klima, an den Hexametern der Erissohnverse zu sitzen, denn so sehr es mich auch lockt, auf eine der Safari-Angebote einzugehen, muß ich doch schnellstens mit der Versarbeit fertig werden um noch im April, parallel zur Arbeit an dem Neapel-Hörstück, auch den Epilog zu schreiben. Ich denke mir, daß die jetzt begonnenen Orts- und Kulturwechsel dem Argo-Endspurt guttun werden; sie nehmen das zentraleuropäische „Perspektivieren“ aus dem Text oder mildern es wenigstens ab: Es ist schon lange meine Überzeugung, daß das „Fremde“ den Blick auf das „Eigene“ nicht nur bereichert, sondern überhaupt erst möglich macht.
Schöner Arbeitsplatz, halb draußen, halb drinnen; selbst wenn es in Strömen schütten sollte, werden die vier kommenden Tage meinem Laptop nicht schaden; bei längeren Aufenthalten mit hoher Luftfeuchtigkeit, allerdings, ich erinnere mich gut, kann ein Computer schon mal korrosionshalber über den Jordan gehen, der aber, dies zu Ihrer Beruhigung, sehr weit nordöstlich von hier fließt. Er könnte sozusagen auch die Spree sein, ob etwas über sie oder ihn, den Jordan, geht, ist von Tansania aus egal. Oh, ich kann die Dichter gut verstehen, die, um ihre Sprache zu schützen, im Ausland schrieben und schreiben: Sebald, >>>> Wolfgang Held, Johnson, >>>> Helmut Schulze.
Es geht vor allem darum, den Kopf zu wenden. Stimmt nicht. Nicht nur. Es ging auch darum, der Berliner Eiseskälte zu entkommen; als ich gestern auf dem Bahnsteig Jungernheide stand, mittags!, lagen die Temperaturen weit unter Null. Scharf schnitt die Winterbrise an mehreren Stellen durch meinen Mantel, so daß ich während des Wartens auf den Anschluß-RE sogar den schweren Rucksack draufließ. Zur wieder- und wiederholten Kreuzigung Jesu werde ich pünktlich zurücksein und an Ostern vielleicht mit den Zwillingskindlein im Mauerpark – rodeln. Eine komische Vorstellung. Ich sitze hier, morgens, mit offenem, frei über die Jeans fallendem kurzärmeligen Hemd; obwohl ich ein wenig abgeschlagen war, wollte das Netz überm Bett doch noch Liebe, „afrikanische“ aber, verwühlte, nicht kühl wie >>>> im Libanon, wo es um Inszenierung des Eros ging, eine, die fortgesetzt wurde und wird. Aber Afrika ist außer der Zeit… (Afrika – welch falscher Begriff! der aus einem Kontinent ein Land macht… Es ist seine Verwendung dasselbe, wie wenn wir von „Amerika“ sprechen, aber nur die USA meinen; man muß sich das immer wieder vor Augen halten; wobei ich mir klar darüber bin, daß dieser „Ort“, hier in Arusha, allein schon deshalb ein reines Produkt literarischer Fantasie ist, weil meine Verbindung zu ihm und der ganzen Region die luxuriöse eines Menschen ist, der nicht dazugehört, nicht einmal zu den Touristen, derer es momentan allerdings gar keine gibt, jedenfalls in Meru Mbega – wegen der bevorstehenden Regenzeit, in der sich Safaris nur befriedigend durchführen lassen, wenn man zu den Hardliners und Rednacks gehört, die gern mal im Schlamm steckenbleiben, bis zwischen den Zähnen den Schlamm. M i c h interessiert hier Argo fast ausschließlich, und Argo ist nicht „Afrika“; ich hab nicht mal vor, über die Serengeti eine Erzählung zu schreiben; ich will nur in ihr schreiben.)

Ah, man trägt das Buffet auf! Ich geh mal Löwinnen wecken. Heute hat sie frei, die Frau, morgen knattern bei ihr die Termine. Guten Morgen.

: 9.01 Uhr.
(Übrigens eigentlich logisch, daß >>>> dort nicht kommentiert wird; die Verse sind zu speziell, um außerhalb ihres Zusammenhanges von allgemeinem Interesse zu sein; ein Poetologe, vielleicht, könnte Anmerkungen haben, philologische, aber „normale“ Leser eher nicht. Es sei denn, sie wären an poetischen Handwerks-Bizarrerien interessiert. Ändern wird sich das erst, und auch nur vielleicht, wenn der ganze Roman vorliegt.

Immerhin habe ich gestern eines der schönsten Gedichte meines Lebens gelesen, wieder in >>>> Alycone. Das fast nicht Faßbare ist, daß >>>> Dreyer das Deutsche in dem Italienischen völlig ebenbürtiger Schönheit zu gestalten vermochte, Nachdichtung als Dichtung-selbst. Achten Sie bitte darauf, mit welcher Perfektion er, Dreyer, hierin den Reim setzt:

Zwischen zwei Arnos

Die Insel der Prokne sieh,
wo du dem Schrei
lächelst
der thrakischen Schwalbe, die
am lockeren Hang
alten Klagegesang
hechelt
wider den untreuen Gatten
und ohne Ermatten,
sowie es tagt,
hin- und wiederjagt,
wachsam wirkend
am Nest,
das ihr nicht Rast läßt
noch Schweigen,
eh nicht die Schatten
steigen
über dem Fluß, umzirkend
die Insel von Kalmen,
die dem Auleten
Flöten-Röhricht
beschert, der Wandrerin Halme
und, wenn du lächelst, der töricht-
tollen Liebe üppige Pfühle!
Sieh die Insel, die kühle!
Sieh die Insel, die kühle,
zwischen zwei Arnos!
Wiege von Sängen,
wo den Sommer preisen
in der Winde
wechselnden Weisen
die grünenden Rohre!
Hört es dein Ohr?
Wie knoten- und
marklos,
wie geblasen
von kundigem Mund
und
von kundigen Fingern berührt,
wie mit Kunst gekürt
und geschnürt
zur Zampogne
nach dem Vorbild des Gottes
mit gedrehtem Flachs
und mit Wachs,
honigwürzig,
je zu sieben
zur vollkommenen
Harmonie.
Die Insel der Prokne sieh!



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Intra du‘ Arni

Ecco l’isola di Progne
ove sorridi
ai gridi
della rondine trace
che per le molli crete
ripete
le antiche rampogne
al re fallace,
e senza pace,
appena aggiorna,
va e torna
vigile all’opra
nidace,
nè si posa nè si tace
se non si copra
d’ombra la riviera
a sera
circa l’isola leggiera
di canne e di crete,
che all’aulete
dà flauti,
alla migrante nidi
e, se sorridi, lauti
giacigli all’amor folle.
Ecco l’isola molle.
Ecco l’isola molle
intra dù Arni,
cuna di carmi,
ove cantano l’Estate
le canne virenti
ai vènti
in varii modi,
non odi?,
quasi di nodi
prive e di midolle,
quasi inspirate
da volubili bocche
e tocche
da dita sapienti,
quasi con arte elette
e giunte insieme
a schiera,
su l’esempio divino,
con lino
attorto e con cera
sapida di miele,
a sette a sette,
quasi perfette
sampogne.
Ecco l’isola di Progne.



Man müßte das auswendig können!

: 9.21 Uhr.

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