Vom Fuße des Meruvulkanes bis Konza: Das gelbe Haus und eine Befreiung (Arno Schmidt: „1 Befreiung“) im Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 28. März 2013. Und dem Rückflug entgegen zu Otello am Abend.

7.45 Uhr:
[Konza Guesthouse.]
(Beuteltee und Morgenpfeife.)
Die Befreiung, von der ich an anderer Dschungelstelle, einer viel früheren und auch sehr bedeckt, erzählt, ist gelungen, der junge Mann auf freiem Fuß. Ich hatte schon damals sehr verklausulieren müssen; immerhin, Poesie ist eine wunderbare Täuschung zur Wahrheit. Aber die Aktion war nicht ganz ohne Tücken, auch nicht, wenn wir mit quasi diplomatischem Status reisen, auf Empfehlung einer anerkannten österreichischen Kunstinstitution. Die Leute, entweder, denken, das eine sei nur ein Vorschub, oder das andere. Daß jemand beidem mit Überzeugung folgt, geht in die meisten Köpfe nicht rein. Aber wir haben auch die Kunst selbstverständlich ernstgenommen.
Als wir nachts, ein Guerillero und ich, Konza erreichten – wir wollten auf jeden Fall noch über die Grenze -, indessen die Löwin, die an der Aktion auch nicht teilnahm, zurück nach Meru Mbega gefahren war, setzte ich meine SMS an den Profi ab, noch bevor ich den Schlafplatz bezog, dann fiel ich sofort in jenen Zustand, in dem keiner von uns mehr reicht weiß, was geträumt und was wirklich ist. Doch mußte ich nur aufwachen eben, vor einer Stunde, heißt das, um meinen lose gestopften Rucksack zu sehen und zu wissen, daß es nachher zurück nach Deutschland geht. Sofern es keine Verzögerung der Anschlüsse gibt und wir gut durchkommen, werde ich am Abend pünktlich >>>> in der Oper sitzen . Diesmal ist die Zeitverschiebung ein Segen.

Arusha ist ein quirliger Ort.

Unser Termin fand nachmittags in einer Galerie statt, die im ersten Geschoß eines außen komplett quittegelben Hauses situiert ist, mit sehr weiten Ausstellungsräumen; man erwartet so etwas in der Provinz nicht.

Direkt vor der Tür unten mehrere Edelautos, komplett absurd, Mrs. Ndaskoi, die Galeristen, eine fast hagere, extrem hochgewachsene das Gesicht wie von der Sonne gegerbte, dabei beinah nachtschwarze Frau um die Sechzig, vielleicht auch schon älter, Ebenholz fällt mir ein; doch die Falten in helleren Brauntönen, dazu schwere dunkle Augen, im Weiß aber einiges Schlierenrot vor den Lidern, voller Lebensgeheimnis. Sie war in ein europäisches Kostüm gekleidet, trug aber eine Art knallbunten Turban, rufendes Grün, forderndes Rot, mild indessen das Elfenbeingelb; der Stoff so aufgetürmt, daß die sowieso schon große Frau an die zwei Meter, dachte ich, reichte oder noch höher hinauf. Sie selbst führte uns durch die Räume; die Löwin und sie kannten sich schon, schon aus Wien, wie ich schon vorher hatte erzählt bekommen. Niemand sonst war zugegen, keine junge Frau am Empfang, kein Aufpasser in der Nähe der Exponate; nur vor der Tür, bei den Autos, stand in Uniformen aus einer Art Khaki Wachschutz, der übrigens bewaffnet war wie die Polizei vor sizilianischen Banken.
Die Löwin hatte mich schon vorbereitet, selbstverständlich: Was hier als „afrikanische“ Kunst nach Wien gebracht werden sollte, waren nur in den wenigsten Fällen traditionelle Handwerksarbeiten; statt dessen haben die tansanischen, auch kenianischen und zentralafrikanischen Künstler einen deutlichen Anschluß an die westliche Avantgarde gesucht und auf ihre spezielle Art, meine ich, auch gefunden: sehr viele Arbeiten mit Schrott, also Altmetall, aber dieses verbunden mit trockenem Lehm, so daß ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, wie man die Exponate heil nach Wien bringen will. Umwoben die Artefakte teils von Stoffen, handcrafted, durchwirkt von Stoffen, auch mit Teilen von Tieren, „aussterbender Tiere“, wie Mrs. Ndaskoi, dabei fast süffisant die Lippen vorschiebend, leise bemerkte; mir war ihr Ausdruck in diesem Moment alles andere als angenehm. Ich witterte eine Gefahr. Etwas Unheimliches, zu dem hinzukam, daß nicht wenige der Kunstwerke eine geradezu unfaßbare Schönheit hatten, zugleich morbide und lebensprall. Am beeindruckendsten war ein menschgroßer Paarungsakt, aus einem, glaube ich, riesigen Speckstein geschnitten; völlig unmöglich zu sagen, welches Körperteil zu wem gehört: man sieht >>>> eine Vulva, sieht einen Phallus, sieht aber zugleich, geht man nur ein Stückchen um die Skultpur herum, einen Arm und eine Hand darin, und die Möse wird zum See, schon, Augenkippe, aufgestülpter Kraterkegel mit kleiner Caldera darin; ja ich meinte, Tiere sehen zu können, Massen an Tieren, die zwar de facto nicht identifizierbar waren, mit denen ich aber aus meinem Vorwissen Serengetiherden asoziierte. Nur bin ich mir sicher, daß ich, wäre mir das Artefakt in Berlin begegnet und hätte ich nicht um seine Herkunft und Wurzeln gewußt, die Heringsschwärme aus Taxen hätte zu erkennen gemeint, von denen ich >>>> in meinem New-York-Roman geschrieben.
Ja, ich war beeindruckt, und Mrs. Ndaskois zwielichtige Lächeln ließ mich wissen, daß sie ihren Triumph sehr wohl genoß, einen kulturellen, auch, sehr wohl, über die ästhetische Einbildungskraft der westlichen, bzw. nördlichen Welt. Meine Kategorien, die letztlich von Trennungen leben, gingen hier in die Knie.

Die Löwin blieb pragmatisch, aber sie kannte die Arbeiten ja schon.
Jetzt bekam ich die englischsprachigen Vorlagen für den Katalog, sah die Texte durch, nein, so kann man das nicht machen. Sondern das, was diese Kunstwerke sind, muß in die Sprache hinein; reine Deskription, Zuordnung usw. erreichen sie nicht, müssen ihnen fremd bleiben. Sie brauchen ganz eigene Bilder, brauchen die poetische Übersetzung; ich kann Ihnen wirklich nur raten, wenn Sie in Wien oder nahbei leben, unbedingt >>>> ins Kunstquartier zu gehen, wenn die Ausstellung eröffnet sein wird. Und suchen Sie sich einen ruhigen Tag aus, gehn Sie nicht mit den Mengen. Wie sehr oft bei Begegnung mit Kunst, ging es mir auch hier wieder so, daß ich die direkte Zwiesprache, das gegenseitige sich-Anschauen brauche, daß also das Werk auch mich ansieht, nicht nur ich es. Das geht nur in intimem Rahmen.
Ich habe, obwohl ich gedurft hätte, die Arbeiten – eines so ausgesucht, so verlesen, wie das andere – nicht fotografiert; es wäre mir anders wie eine Entweihung vorgekommen, wie eine Reduktion, die nicht wahrhaben will, was sie sieht – tiefste und auch heikle Wunder der menschlichen Einbildungs- und Gestaltkraft.

Es gab tatsächlich Champagner, Roederer Kristall. Auch er wurde, irgendwie, spöttisch gereicht; die Dame des Hauses – das war ein schon b e t o n t ironischer Akt – ließ den Korken eigenhändig springen. Und was für Hände! Unendlich lange schmale Finger, lang die polierten, hell lackierten Sicheln der Nägel –
Ich war gewissermaßen froh, als wir wieder gingen, und wäre doch um vieles in der Welt gern noch geblieben, „alles raus!“ rufend, um allein zu sein mit dem, was ich sah.
Die Löwin, im Wagen wieder, leise: „Das wird eine Sensation.“ „Sofern die Leute denn schauen werden“, entgegnete ich. Sie darauf: „Sie Defätist.“
Sie setzte mich am Busbahnhof ab, wo ich schon erwartet wurde.
„Bitte seien Sie vorsichtig.“
Noch ein Kuß, dann fuhr sie. Sie wird noch vierfünf Tage bleiben; es gibt noch weitere Termine in andren Galerien. Ich steckte, nachdem ich mich ausgewiesen hatte, ganz offen die Pistole in den Hosengurt. Dann stieg ich in den Mannschaftsjeep dazu und ließ mich in das Lager fahren. Mein Rucksack wurde von der Löwin, auf ihrem Weg nach Meru Mbega zum Flughafen gebracht, um ihn für mich dort aufzugeben. Er wird schon verladen sein, wenn ich heute Mittag einchecken werde.

Über die Aktion selbst darf ich nichts schreiben. Der Mann ist, sofern nach unserer Trennung alles gut verlief, unterdessen auch schon außer Landes. Bei seiner Ankunft erwartet ihn eine deutsche Delegation, die der Profi angewiesen hat. Eine Projektion, gewiß, aber als ich ihn, den Kämpfer, sah – irre weich, wie er mir die Hand gab -, dachte ich spontan, er sei der Sohn der Galeristen oder könne doch, zumindest, einer ihrer Künstler sein. Vorhang.*******

9.11 Uhr:
Noch zwei Stunden, dann geht es los.
Trotz allem, oder wegen allem, sehr gut gearbeitet gestern auf der Terrasse. Sämtliche Verse Erissohn, ganz, wie ich es mir vorgenommen hatte, fertigbekommen. Das ist wirklich eine Befreiung. Jetzt stehen noch die 384 Verse für den Epilog an, insgesamt noch ein Drittel mehr als in Erissohns Rede, doch nicht mehr, wenn ich die Fantasie abgeschlossen haben werde, im Zeilenbruch, sondern wie >>>> die Elegien als Fließsatz, so daß klarwerden wird, daß diese für den Epilog die Etüden waren; als solche hatte ich sie – „eigentlich“ -. gedacht, ohne zu wissen aber, was schließlich daraus werden, daß es eine ganz eigenständige Arbeit werden würde, die mich vier Jahre schließlich gekostet hat. Stete Dschungelleser:innen wissen um die Geschichte. So daß, wenn Argo im Herbst erschienen sein wird, tatsächlich ein großes Kapitel seinen Abschluß findet, so groß, daß ich‘s bereits jetzt als Lebenskapitel empfinde. Was danach kommt, wird neu sein.

Ich eß jetzt mal was und vertrete mir ein bißchen die Füße. Bin nicht ganz ohne Nervosität, die erst von mir abfallen wird, wenn ich im Flugzeug sitze. Heute abend, in der Oper, werde ich das Gefühl haben, aus einer meiner eigenen Geschichten erstanden zu sein, die wie ein früheres Leben ist – einem anderen Leben, das man vor Zeiten und vor der eignen Geburt gelebt.

Guten Morgen.
(Jetzt aber doch: Es hat zu regnen angefangen, und zwar bereits in der Nacht).
[1]Probleme mit dem Netzzugang; keine Ahnung, ob ich diesen Beitrag noch rechtzeitig, vor Aufbruch, werde einstellen können.

>>>> (Wieder bei Yüe-Ling:) East of Tanzania.
Arusha II <<<<

References

References
1 Probleme mit dem Netzzugang; keine Ahnung, ob ich diesen Beitrag noch rechtzeitig, vor Aufbruch, werde einstellen können

2 thoughts on “Vom Fuße des Meruvulkanes bis Konza: Das gelbe Haus und eine Befreiung (Arno Schmidt: „1 Befreiung“) im Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 28. März 2013. Und dem Rückflug entgegen zu Otello am Abend.

  1. (Froh drüber, daß ich. Dieses Arbeitsjournal jetzt überhaupt eingestellt bekommen hab, so zäh ist das Netz – seit anderthalb Stunden wirft es mich immer wieder raus -, bitte ich Sie, mir nachzusehen, daß es keine Bilder drin gibt. Dabei hab ich gestern nachmittag von Arusha ein paar sehr schöne geschossen, mit dem Ifönchen; ich krieg sie aber zu Picasa nicht hochgeladen, und auch Twoday reagiert extrem zäh – was nicht an diesem meinem Hoster liegt, sondern eben an dem Funknetz. Um ein Internetcafé zu suchen, ist indessen keine Zeit mehr, weil wir gleich aufbrechen; man hat schon gerufen. Aber vielleicht ergibt sich am Flughafen eine Gelegenheit. Ansonsten füge ich die Fotos morgen nachträglich ein.
    ANH
    10.45 Uhr.)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .