[Arbeitswohnung. Britten, A Midsummer Night’s Dream (Britten selbst dirigiert; Decca Vinyl 1960).]
Mein Ohr, Sie merken’s, lauscht schon >>>> dahin, – eine Premiere, der ich mich in dieser neuen Spielzeit wohl am meisten entgegenfreue; wie viele Aufnahmen und Mitschnitte ich von Brittens genialer hochlyrisch-komischer Oper habe, weiß ich auf Anhieb gar nicht zu sagen: bis zum Sonntag werde ich sie wohl sämtlichst durchhören. In der szenischen Erinnerung geblieben ist mir, und wird es wohl bleiben, Thomas Langhoffs Frankfurtmainer Inszenierung von 1989, mit des seinerzeit noch jungen >>>> David Bennents Darstellung Pucks. Gesungen wurde nicht auf Englisch, sondern nach der schlegelschen Übertragung, also so, wie das auch in der nun kommenden Premiere der Fall sein wird. Interessanterweise, so finde ich, funktioniert englische Vokalmusik auf deutsch gesungen ausgesprochen gut, anders als etwa italienische. – Ich werde über Koskies Inszenierung selbstverständlich schreiben.
Mein Geist aber, soweit ihn nicht das Europa-Projekt beschäftigt, denkt spätestens seit >>>> gestern abend wieder über die, sozusagen, >>>> Anthropologische Kehre nach, insoweit sie sich nicht nur primärliterarisch, sondern auch publizistisch ausprägt. Offenbar haben jetzt selbst auf ersten Blick nur„traditionell“ arbeitende Autor:inn:en die Symptome erkannt und auf ihre Folgen abgeklopft, >>>> Sabine Scholl etwa, auch >>>> Marcus Braun. Jedenfalls unterschrieben sie >>>> diese Deklaration, die gestern abend im ersten Konferenzsaal des mir so lieben Hauses der Kultur je auf Deutsch und Englisch über schwarze Fernsehbildschirme lief:
Nun ist das eine nicht nur „Tendenz“, die sich in nahezu sämtlichen anderen Bereichen nicht nur des Kulturlebens diagnostizieren läßt; sie hat machtpolitische Hintergründe; die gesamte Unterhaltungsindustrie wird davon bestimmt, am schlagendsten beim Spielfilm zu erkennen; einzig Frankreich fällt heraus, dessen für Europa nahezu einzigartige Identität von National- und Kulturbewußtsein ein Ergebnis der Selbstbefreiung ist; England nehme ich aus Gründen einmal aus, die zu diskutieren vom jetzigen Thema zu weit weg führen würde. Jedenfalls will http://fiktion.cc ein wenig für bilateralen Ausgleich sorgen – ein nun praktisches werdendes Anliegen, dem gegenüber mein Einwand von Protektionismus marginal wird, und zwar auch dann, wenn ich schion manche Autorinnen und Autoren schon schimpfen: „Warum bin denn ich nicht dabei?“
Die Frage ist simpelst zu beantworten: Weil Mitinitiator
—- (Der Schornsteinfeger kam. Ich mußte schon jetzt unterbrechen, habe den letzten Ofen dieses alten Wohnauskomplexes; „heut ist der 13.“, sagte der Mann, „ich wurde schon eben im Frühstückscafé dreimal berührt“ – und flugs ihm erzählt, woher das denn rührt, daß wir die Zahl Dreizehn als Unglückszahl nehmen; „ich aber“, sagte ich, „liebe die Dreizehn“, und lachend stieg er zum nächsten Stockwerk hinauf —-)
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„Weil Mitinitiator“, schrieb ich hierdrüber, Gatza aus seiner Kleinverleger-, dann der Imprintverlegerzeit und schließlich seiner Zeit als Suhrkamp-Lektor gemeinsam mit Ingo Niermann, den er in dem damals noch Frankfurtmainer Verlagshaus betreute, vor allem ihm ans Herz gewachsene Autorinnen und Autoren für das Projekt zusammenbrachte; daraus erklärt sich auch die Liste derer, die die Deklaration unterschrieben haben. Dies ist gut nachvollziehbar, auch, daß die beiden Namen wählten, die ein Gewicht im Literaturbetrieb haben und eine öffentliche Förderung des Projektes deshalb wahrscheinlich machten. Es wäre kleinlich, dies zu benölen.
Worum es Gatza und Niermann und ihren Mitunterzeichnern, bzw. Mitstreitern also geht, ist ein auf der Basis der neuen Medien funktionables Verlagsmodell, das die Bücher unentgeltlich anbietet, den Autor:inn:en gleichwohl Tantiemen garantiert, nämlich auf der Basis stattgefundener Downloads und, erklärte Gatza, nach den Richtlinien der edition suhrkamp; man kann von 6 % ausgehen, vielleicht werden es 7. Ebenfalls garantiert, und das ist das eigentlich Interessante, ist die Übersetzung jeweils ins Englische, bzw. bei englischen Büchern ins Deutsche. Diese Publikationen sollen von Pressekampagnen begleitet sein, namentlich solchen im Netz, wobei selbstverständlich die sogenannten social networks fundamental mit eingebunden werden; die permanente Zweisprachigkeit stellt hohe Verteilung in Aussicht. Da die Bücher von namhaften Autoren, bzw. einem ExVerleger lektoriert werden, der sein gutes Händchen längst bewiesen hat, ist, anders als bei Netz-Selbstverlagen, Qualität garantiert; genau dies könnte Kritiker auch der „klassischen“ Feuilletons ein Vertrauen voraussetzen lassen.
Worum es den Initiatoren n i c h t geht, ist die Veränderung einer literarischen Ästhetik, wie man sie eigentlich seit langem erwarten muß, sondern die beiden wollen den Inhalt des traditionellen Buches auf die Neuen Medien übertragen, also das „reine“ Wort, wobei eine Rolle spielt, daß beider Lese-Erfahrung des letzten Jahrzehnts sehr zu Gunsten des eBuchs ausgeschlagen hat, insbesondere aber auch die älterer Leser:innen, denen die Möglichkeit entgegenkommt, etwa die Typengröße nach Belieben zu verändern, eine Hintergrundbeleuchtung mitgeliefert zu bekommen usw. Gatza: „Auf einem tablet zu lesen, ist einfach sehr viel angenehmer als jede herkömmliche Buchseite.“ Diese Aussage entspricht dem, was auch ich unterdessen von solchen älteren Menschen gehört habe, die den Sprung zu eBuch-Lesegerät oder gar tablet gewagt haben: Niemand von denen ist enttäuscht.
Für an einer modernen, sagen wir zeitgenössischen literarischen Ästhetik interessierte Künstler ist Gatzas und Niermanns Projekt freilich nicht von Bedeutung, sondern unterm Strich geht es darum, die seit Gutenberg „klassische“ Verbreitung von Erzählungen, Romanen usw. den modernen Gegebenheiten lediglich anzupassen. Mehr nicht, aber eben auch nicht weniger. Dabei machte Gatza sehr deutlich klar, daß herkömmliche Verlage solch ein Unternehmen aufgrund ihrer Strukturen und vor allem der Strukturen des Marktes gar nicht umsetzen könnten: „Die Umschlaggeschwindigkeit eines Buches ist extrem hoch geworden.“ Niermann: „Ein Buch, das nicht innerhalb eines Vierteljahres akzeptiert worden ist, geht gnadenlos unter. Es gibt keine Zeit für Entwicklungen mehr.“ Kafka ist unmöglich geworden, überhaupt hätten die Klassiker der Moderne, dos Passos, Döblin, Aragon usw. heutzutage keine Chance mehr; einige ihrer Bücher brauchten Jahre, um sich durchzusetzen und den Rang einzunehmen, den sie heute haben. „Im Netz aber“, so Niemann, „bleiben auch sperrige Bücher theoretisch für alle Ewigkeit erhalten, man kann auf sie zugreifen, wann immer man will, auch Jahre nach ihrem ersten Erscheinen“; so holt denn das Netz die Kategorie der Dauer in den Buchmarkt zurück. Hier genau setzt http://fiktion.cc an. „Es geht ja in der modernen Wirtschaft“, so Niermann, „gar nicht so sehr um den sofortigen Profit, sondern um Markterschließung und Besetzung offener Felder. Amazon hat Jahre gebraucht, um profitabel zu werden, Facebook hat Jahre gebraucht, Twitter ist es nach wie vor nicht.“ Genau so eben müsse gedacht werden. Da so etwas aber Durchhaltevermögen braucht, was wiederum bedeutet, daß Kapitalkraft da sein muß, ist es ohne Einschränkung zu begrüßen, daß sich die Kulturstiftung des Bundes für dieses Projekt in die Brust wirft und sie auch etwas bluten läßt, um diesen jungen Pelikan vorübergehend zu ernähren. Bei zwanzig Titeln in zwei Jahren kommen auf jeden 12.000 Euro; das ist also wirklich nur wenig, schon, wenn man die Bezahlung der Administration, der Übersetzer, vor allem auch der Kampagnen und der das Projekt begleitenden Kongresse und Workshops mit einrechnet. Ohne weitere Drittmittel wird das kaum durchzuhalten sein – aber dem Umstand, daß die ja erfahrenen und klugen Initiatioren dieses Rad dennoch drehen, ist unbedingte Achtung zu erweisen und, wo nur möglich, Mithilfe zu leisten, egal, welche Texte von welchen Autor:inn:en schließlich ausgewählt werden; wahrscheinlich steht längst schon eine Liste, und es wäre nur menschlich, fänden sich die Unterzeichner der Deklaration darin. Und verständlich.
Was Die Dschungel also tun kann, um zu helfen, das, drum, w i r d sie tun.
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Heftige >>>> Diskussion, übrigens, gestern zur „causa Meyer“; ich habe einige Zeit damit verbracht, die mich vom Europakonzept abhielt, aber es war, glaube ich, das Engagement wert. Immerhin bin ich mit Europa durchaus weitergekommen. Und, das will ich nicht verschweigen, daß, als ich schon auf dem Rad zum Zahnarzt saß, mich der Freund im Ifönchen erreichte: „Dein Geld ist da.“ Ich kann Ihnen sagen!: Da bin ich aber nach der Behandlung sowas von schnell hingeradelt. Alle offenen Rechnungen sind jetzt bezahlt: ein, glauben Sie.mir, ziemlich gutes Gefühl; da mögen rechts meine Lippen noch so taub von der Spritze sein.
Also. Beruhigt an die Arbeit.
(Und heute abend: Sabine Scho >>>> im Ausland.)
15.50 Uhr:
Der Aufnahmetermin für die Neapel-Sprecher steht: Sonntag, 6. Oktober, 16 – 19.30 Uhr. Jetzt hoffe ich nur, daß alle meine Sprecher:innen da auch können, sonst wird’s kompliziert.
Habe tief, wenn auch spät zu Mittag geschlafen, die Nachwirkung der Spritze weggeschlafen, kann man sagen. Jetzt auf zum Laufen, danach weiter mit dem Europakonzept.
Die >>>> Deklaration.