Mit dem falschen Geschlecht. Im Arbeitsjournal des Dienstags, dem 17. September 2013. Außerdem die Zahnarztprotokolle ff und nächste Berliner Liebeserklärung.

9.30 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Verschlafen, erst um halb acht aufgewacht. Jetzt bereits der zweite Latte maccchiato, die zweite Morgenpfeife; es war in Der Dschungel ein bißchen was zu richten. Da ich >>>> meine Sommernachts-Kritik gestern erst sehr spät einstellen konnte, hab ich sie eben auf heute umdatiert; die Erfahrung zeigt, daß Texte in Der Dschungel um so öfter gelesen werden, je früher am Tag sie drinstehen; nach „Texten von gestern“ wird bloglogisch-selten geschaut; erst später, über die Monate hin, greifen die Suchmaschinen. Dann allerdings bin ich manchmal sehr erstaunt, welche Verbreitung die Beiträge gefunden haben; das gilt besonders für die Opernkritiken.
Jedenfalls kam ich gestern nicht mehr zum Laufen; abends, als ich mit dem Schreiben zuendegekommn war, war meine Lust gering, mich zum Parklauf nach draußen ins Nieseln zu begeben. Außerdem kam mein Sohn, hörte, daß ich Schnitzel eingekauft hatte, und mochte sofort mit mir essen: auf dieser Weise kann er bei seiner Mama und den Geschwisterchen ganz bequem Vegetarier bleiben. Ich wiederum dachte, nun gut, dann geh ich morgen zum Frühschwimmen, was nun aber, verschlafenshalber, ausgefallen ist. Dann also nachher laufen, nur daß ich in einer Stunde wieder beim Zahnarzt sitzen werde und mit noch wirkender Betäubung trainieren vielleicht nicht unbedingt sollte. Aber mal sehen. Zudem mailte >>>> der Verleger, ich möge doch bitte zwei Argo-Bände zur Sonderausgabe fertigstellen, sie also mit dem Autographen versehen, weil er, der Verleger, gerne Bestellungen ausführen würde; er sei um 16 Uhr im Verlag. Schon knüllt sich wieder der Tagesablauf. Ich erwarte vor allem Nachricht aus Vilnius.

Langes intensives, teils hochwitziges „Gespräch“ mit >>>> Schultens bei Facebook. Das ging locker bis in den späten Abend über unsere Generationen und über die dazwischen hinweg. Einschüchterungen,. das war so ein Thema, wozu sich dann, also zu Schultens, meine Lieblingsredakteurin meldete: Sie wolle sich gerne anstecken lassen, aber erst nach der Frankfurter Buchmesse. So ist auch dies auf dem Weg, den ich markiert hab. Interessant war Schultens’ Bemerkung, nachdem ich auf >>>> Steins Besprechung der Elegien gelinkt hatte, sie habe den Eindruck, also Schultens, daß, hätte diesen Text eine Frau geschrieben, er anders aufgenommen worden wäre, bzw. überhaupt aufgenommen:

Und dann, das hat mir überhaupt noch niemand gesagt: „Sie haben das falsche Geschlecht.“ Ich! Es ging nicht anders, ich lachte auf, sowohl real wie getippt. Das gleichzeitig Komische wie Interessante an Chats ist nach wie vor, daß man sie als wirkliche Gspräche erlebt, und zwar als solch von großer Reinheit, weil sie sich von äußeren Reizen ausgesprochen abschotten und direkt ins Gehirn gehen. Dann, nachts, die Löwin am Telefon; schnupfig von dem Wetter, aber in anderthalb Wochen wird sie wieder hier sein. Ich aber muß mich jetzt vernünftig anziehen, weil ich beim Zahnarzt nicht zu spät einrauschen will. Vielleicht liegt, wenn ich zurückkommen werde, Nachricht aus Vilnius schon vor, so daß wir in die Diskussion des Konzeptes einsteigen können. Außerdem hab ich eine uralte Steueramtsgeschichte verbaselt, die ich heute dringend herumdrehen muß.
Guten Morgen. Meine Küche sieht aus wie manchmal Küchen zu meinen WG-Zeiten:

Auch das muß nachher geändert werden.

Ach ja, übermorgen, am Donnerstag abend, 19.9., werde ich aus den Elegien vortragen, in der >>>> „Große(n) Schöneberger Lesenacht“ zusammen mit jungen Kollegen, unter anderem Moritz Gause. Wenn Sie mögen, sind Sie willkommen. Ich werde die Veranstaltung aber noch gesondert annoncieren, morgen.

Upps, ich muß jetzt aber wirklich los!

11.06 Uhr:

Na-das-ging-ja-schnell-! (da ich mit den Zahnarzt„protokollen“ nun einmal begonnen hab, setz ich sie auch fort): Um Punkt halb elf in der Praxis eingeflogen (kalt ist es draußen, zwar Sonne, aber kalt), um fünf nach halb auf dem rückschwenkbaren Clubsessel, um Viertel vor elf bereits entlassen. Irgendwie ist das enttäuschend, wenn man gar nichts spürt.

Er: „Heute tauschen wir nur das Medikament aus.“
Ich, ein bißchen bedauernd: „Nicht mehr?“
Er: „Was heißt hier ‘nicht mehr’?“

Es gab dennoch einen Höhepunkt. Er zeigt auf einen der Bohrer, nimmt ihn, hält mir die da aufgesteckte sehr feine Nadel nah an die Augen: „Guck mal..: Daß man so kleine Spiralen herstellen kann!“
Zweieinhalb Zentimeter, ungefähr, lang. Aufschuß von Hoffnung: zweieinhalb Zentimeter rin innen Kiefer… na, sagen wir: einen, weil anderthalb auf Zahn und Zahnhals gehen. Ich bin absolut begeistert von gutem Handwerk. Das Ding dient aber nur dazu, sorgfältig das Medikament zu verteilen, also im Wurzelkanal. Jeder Zahnarztbesuch füllt mich mit Wissen.

Er: „Und jetzt lassen wir uns zwei Wochen Zeit.“
Ich: „Aber meinetwegen können wir sofort weitermachen.“
Er: „Nein, das muß erst wirken. Ist ganz gut, wenn wir das nicht beeilen.“
Wiederum Handwerk, jetzt mit prognostischem Wissen verschmolzen. Ebenfalls faszinierend. Manchmal denk ich, ich habe den falschen Beruf.

An der Wand hängt das:

Er: „Das wirst du in keinem Lehrbuch finden.“ Mit einem Zahnarzt ist man wahrhaft intim. Deshalb wird geduzt. Ich bin ja sonst mehr der Sie-Typ.

Es war nicht mal Zeit, meinen elektronischen Cigarillo zu rauchen, was in einer Arztpraxis sonst ziemlich gut kommt. Außerdem: keine Spritze, also kann ich unbedenklich laufen um zwölf oder eins und schaff dann auch noch den Autographen für Elfenbein. – Dritte Morgenpfeife.

(Ich liebe es, daß Berlin eine sich unentwegt wandelnde Baustelle ist: Nahezu alles in dieser Stadt ist von bedingter Dauer, auch wenn, leider, schon lange nicht mehr die Straßennamen geändert werden. Es käme meiner Poetik überaus entgegen, müßte man, sagen wir, allzweiwöchentlich eine neue Postadresse angeben.)

*******

Ich mach jetzt mal die Küche.

: 11.24 Uhr.
17.03 Uhr:
Manchmal kapier ich meinen Körper nicht. Nachdem ich gestern vorm Schlafengehen erschröckliche 75 kg hinunterschlucken mußte (seit Wochen brachte ich das nicht mehr zustande, aber 1 Steak, einmal 2 Schnitzel und dann noch 1s und dazu Kartoffeln zeitigt offenbar Wirkung), waren es vorhin – nach knapp vierzehn gelaufenen Kilometern und ein bißchen Bauchmuskeltraining – nur noch 70, obwohl ich vor dem Wieden tüchtig getrunken hatte. Fünf Kilo Differenz von einer Nacht auf den nächsten Nachmittag kommen mir schon komisch vor. Also einen Ratschlag der Löwin beherzigt und eine Körperanalyse-Waage bestellt, damit ich das vielleicht mal begreife, was mein Leiberl so tut. Ich kann überhaupt nicht mehr entscheiden, ob ich nun aufgrund des Krafttrainings an Muskelmasse zunehme, was eigentlich logisch wäre, aber dann die fünf verlorenen Kilo nicht erklärt, oder ob’s schwuppdiwupp wieder ein Bäuchlein gibt, wenn man sich bürgerlich ernährt.

Fein dafür, wie das >>>> Literaturtelefon Kiel gewirkt hat; kaum kann man Argo anrufen, meldet sich das Literaturhaus dort und möchte eine Lesung machen. Da wird sich >>>> Ögyr http://www.schwungkunst.de/wordpress freuen, welchen ganz offensichtlichen Einfluß das von ihm betreute Projekt hat. Na gut, ich hatte den Leiter des Hauses auch angeschrieben, aber das liegt knapp vier Monate zurück.

Und dann, noch durchgeschwitzt und etwas fertig, öffne ich meinen Briefkasten und finde >>>> das:

Diese und die andere Post geöffnet (Mahnung, man faßt es nicht) und gleich zu lesen angefangen:eigentlich eine gut erträumte charybdis
zu besichtigen von innen & zu zweit.
meine antagonistin – es mußte immer
eine sein – mit herzlosem porzellan –
gesichtchen funkenloser blick

als ich

sie schluderig ertränkte auf dem strudel
rudernd sie geschickt den kopf zu drehen
wußte daß der fischmund oben oben o
schließlich meine alte eingeübte kiemen-
atmung imitierte die die ich verlernt –

ein monstrum an evolution – gespult.
eine dauernde these – gnadenlos. entkam
ich stakte den schneebedeckten hang ab
fand zuflucht. sie in der tür verwundet
heimchen – / – / – /–.

(…)
aus: Schultens, ein zahmer begriff: pool

Wo immer ich aufschlage, sind die Verse gut.

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