Gedenken an Peter Kurzeck.


Peter Kurzeck, 2005.
[Fotografie: >>>> Wikipedia.]


Soeben erreicht mich per elektronischer Post die Nachricht, daß Peter Kurzeck gestorben sei. Er hat seit Jahren zurückgeblickt, weit, immer weiter, und sich in seiner letzten Zeit sogar von der großen Form seines schriftlichen Ausdrucks zurück in das Sprechen, ein dauerndes Ein//Sprechen, begeben, um schließlich, nämlich gestern, den nächsten Schritt, den ins Verstummen, zu tun – als eine Folge, wird mir erzählt, mehrerer Schlaganfälle.
Ich kannte Peter, kannte ihn ein wenig, nicht gut, aber sein Weg hat einige Zeit lang den meinen leise begleitet. Das konnte anders nicht sein, wenn man gemeinsam in einer kleinen Stadt wie Frankfurt am Main gelebt hat und in demselben Metier zuhause war. Näher mit ihm befreundet als ich war der Dichter Paulus Böhmer, mit dem nun aber ich befreundet bin. Wir trafen uns alle bisweilen zu Veranstaltungen, wir sprachen, anerkannten uns. Ihm ward das Glück zuteil, zwar nicht schon früh, danach indes umfassend gewürdigt zu werden, und sehr zurecht. Ihm verdanke ich die Einsicht, daß unsere Dichtung „noch nicht einmal“, sagte er mir, „auf der formalen Höhe“, womit er nicht nur die Schnelligkeit, sondern literarästhetisch auch die qualitative Durchdringung unserer Wahrnehmungsformen meinte, „des Autofahrens ist“. Ich zog aus diesem Satz die Konsequenzen, zumindest einige, nein, sicher nicht alle, aber solches aus dem Mund eines Dichters vorgehalten zu spüren, der seinerseits den entsprechenden Schritt zu tun nicht bereit, wohl auch nicht fähig war, sondern dem Kindheit immer das Thema blieb, die Verlorene Zeit, verpflichtete mich auf eine, die zu gewinnen sei, zu entdecken und zu gestalten. So gabelten sich unsere Wege, wie es kaum weiter denkbar ist. Doch den Impuls dazu hat e r mir gegeben: hat meine spätere Arbeit geradezu paradigmatisch bestimmt. Ich bin voll Dankbarkeit dafür. Er hat mich, in der ihm eignen leisen Weise, auf meine eigene Klarheit verpflichtet: eine, die nach vorn schaut.
Peter verfügte über die eidetische Gabe. Sie hielt ihn im Vergangenen fest, umschlang ihn und durchdrang ihn. In ihm und seiner Literatur ist nicht nur die Geschichte einer bundesdeutschen Provinz bewahrt, sondern er hat sie auseinandergefächelt zu immer kleineren und deshalb weiteren Wahrnehmungseinheiten, hat auch diese jeweils mikroskopisch erfaßt bis in den kurzen Geruch, den der Wind momenthaft um eine Hausecke zieht, oder vorandrückt, ist den Baumstamm der Kindheit hinan auf die Äste geklettert, von ihnen auf die Zweige und hat noch – wie kann jemand derart leicht sein, daß er gar nie hinabfiel, sondern jedes Reis ihn noch hielt? – die Knospe, die kaum schon herausbrach, mit seinen Worte gehoben und in seinen Worten geehrt. Mit Peter Kurzecks Tod ist, so fühle ich, nicht nur er, sondern nun auch diese Welt, die er uns aufschlug, als wär sie eben grad erst geschehen, wirklich und für immer vorüber: eine temps perdu finale. Er, alleine er, war ihr Homer, ihr Atem noch und ihr Glanz, einer, der von dem Geheimnis des Staunens bewirkt ist, das er ihr, von seiner Sprachkunst und schließlich in Sprechkunst entdinglicht, unentwegt zurückgab.
Doch gestern ließ er los. Vielleicht hat er gewußt und hat es endlich sagen können, vielleicht allein für sich: daß es nun gut sei und, wie nur selten Menschen können, also es wissen und sprechen: vollendet.

ANH.
26. November 2013.
Berlin.


13 thoughts on “Gedenken an Peter Kurzeck.

  1. Ein sehr widerlicher Nachruf.

    Sentimental serviert – und dazu letzlich nur auf den eigenen Pathos projeziert.
    (“Das sollte ich dann doch mal sprachgewaltig inszenieren. Sowas kann ich ja.” )
    Ergebnis: Klassisch-rhetorisch-boulevardeskes Gewäsch über Verlorene (minus persönlicher Teilhabe)

    Dass Sie noch nicht mal einen ich-freien Epitaph für einen Freund formulieren können, das wäre mir persönlich etc. etc.

  2. Ein gelungener Nach-Ruf ist für mich einer, der erzählt, welche Spuren einer, oder eine, im Nachrufenden hinterlassen hat. Er soll ehren, soll behutsam sein, er darf manches überhöhen und anderes weglassen, auf keinen Fall sollte er neutral sein. Manchmal, so wie im obigen Text, entsteht mir beim Lesen ein Bild und der Gedanke: “Diesem Menschen wäre ich gerne einmal begegnet”.
    Lieber ANH, Sie haben Ihrem Schriftstellerkollegen Ehre erwiesen. Dass nun selbst dieser Nachruf dafür herhalten muss, Ihnen Egozentrik vorzuwerfen, empfinde ich als extrem geschmacklos.

    1. @Frau Phyllis. Danke.

      Es ist in der Tat keine Berührung ohne ein Ich, das berührt ist. Im Gegenteil: die geforderte Ichlosigkeit bedeutete eine Distanz, die den Betrauerten zu einem Ding macht.

      (Was die Geschmacklosigkeit anbelangt, die auch ich spüre, so bin ich auf ihre Hintergründe soeben >>>> in meinem heutigen PP eingegangen. Die Angelegenheit gehört nämlich nicht hierher, eben n i c h t eine “Diskussion”, die sich um mich dreht. Insofern ist sie, die Geschmacklosigkeit, gleich eine doppelte, insofern sie sowas überhaupt erst in Gang setzen will.)

  3. Einen ‘ich-freien’ … … Nachruf wünschen Sie? Dafür müssen Sie sich einen dieser armen Pensionäre mieten, die mit Grabreden ihre Rente aufbessern.

    Ein Autor hingegen gibt der Welt die Farbe seines Ichs. Immer. Täte er das nicht, so könnte er uns gestohlen bleiben. Dafür auch in diesem Fall meinen Dank an ANH.

    PS: Leute, die auf Beerdigungen kotzen, provozieren ansonsten bei mir nur die Frage, wer das besoffene Pack reingelassen hat. Man soll ihnen die Tür weisen.

    1. Schön, dass Sie Beerdigungsgefühlen freien Lauf lassen.

      Was genau Sie damit sagen wollen, bleibt leider verschlossen.
      Präzion minus Betroffenheit ist nicht Ihre Sache, – ?

      Aber natürlich: Jeder darf sich frei äußern
      Das ist ja das Prinzip unserer ‘Demokratie freier Meinungsäußerung’
      Also: Weiter so!

  4. Wer Peter Kurzeck gekannt hat, wird in Herbsts Nachruf schwerlich etwas finden, das zu Gegeifer Anlaß bietet. Lieber Herr Herbst, scheren Sie sich nicht um solche verbalen Ausfälle von Leutchen, die in Kommetarfunktionen ihr vorgeblich schriftstellerisches Mütchen kühlen. Peinlich genug für den Schreiber dessen, sich so pietätlos unter dem Gedenktext für einen großen und wortgewaltigen Autor zu entblößen. – Freilich, ein Ärgernis bleibt’s.

    1. Das alles überhaupt diskussieren zu müssen, ist natürlich ein niederer Impuls degenerierter Künstlergeister, die meinen, irgendeine zufällig ausgestoßene Meinung im Allgemeinen und – natürlich – Besonderen bewerten zu müssen.

      Viel Spaß damit! Wir wollten Sie tatsächlich nur unterhalten.

    2. @ Variationen desselben Idiotismus (…wohlbemerkt: nicht Idioten, da ich nicht ausschließen will, dass sich mehrere davon hier eingefunden haben.)

      Es gibt überhaupt keinen Grund sich existentiell von einem flüchtigen Ausspruch bedrängt zu fühlen, wenn man nicht wirklich bedrängt ist. Was bekümmert also Ihr improvisiertes Denken?

      Denn Sie wissen bestimmt – Sie lassen es ja an panischen Hinweisen auf Ihren sogenannten Witz nicht fehlen und ich spreche ihn Ihnen sogar nicht ab, bemängele nur seinen Gebrauch – Sie wissen also bestimmt, dass Sie Ihr Leben nicht nach einer Formulierung, die ein Autor im Lauf seines Lebens mal macht, ausrichten müssen, dass im Übrigen sogar eine ungeschickte Formulierung jedem unterlaufen kann, ohne dass man dafür gleich an den Pranger müsste. Sie werden ungeschickte Formulierungen noch bei den besten Autoren finden und kluge Aussprüche auch noch bei Menschen, die sonst für die Trägheit Ihres Geistes bekannt sind. Und “unsere” Aufgabe – wenn wir uns denn wirklich für Kunst begeistern und nicht einfach eine Eierpräsentation im Medium des Worts mit Endstation Macht darbieten wollen – unsere Aufgabe ist da doch wohl, das Beste herauszusuchen, nicht wahr?, und uns nicht an den unzähligen uninteressanten Formulierungen aufzuhängen, die uns davon abhalten. Also – wo Sie die Äußerungen dieses Menschen für uninteressant halten – hängen Sie sich nicht auf, es ist Ihre Entscheidung. Es ist Lebenszeitverschwendung von mindestens Ihrer Lebenszeit (und im Netz natürlich noch mehr – das, der einzige Grund für Ihr Rumgetue). Und tragen Sie an fremde Sätze nicht Ihre eigenen “An-Sprüche” heran – denn als hilfeschreienden Pseudophilosoph dürfen Sie sich von nun auch ansehen, den kriegen Sie mit auf den Weg. Zumindest habe ich sofort die Vorstelluńg eines kleinen Zarathustralüstlings, wenn ich Ihre Beiträge lese: mit der Lust zu zerstören, aber ohne die Kunst und das Ziel dazu. Ein aggressives Nichts eben, das nur ein halbes Werk verstanden hat. Einer, der, indem er einen Anderen niederzumachen versucht, als größerer Künstler wahrgenommen werden will. Klartext: Sie sind auch noch ein gescheiterter Künstler, der auch anderen nichts gönnen will.
      Wo Sie sich also für einen gescheiten und nicht gescheiterten Denker oder/und Künstler halten, mein Ratschlag an Sie:
      Richten Sie Ihren erleuchteten Gedankenstrahl – zu dem die Zurückgebliebenen und Unbelehrbaren, zu denen die hier Versammelten nach Ihrer Ansicht gehören, ja doch nicht taugen (wer Ohren hat der höre und so Sachen) – doch auf andere Gegenstände. Und wenn Sie immer nur alles anpisst: Pinkeln Sie woanders hin.
      Id est: Verpissen Sie sich.

    3. Ich find’s auch toll.
      Die Seite ist zwar manchmal ziemlich kompliziert ausgedrückt – aber egal
      Es geht ja um VERSTÄDIGUNG!

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