Prima mattina amerina: PP75, 4 gennaio 2014: Sabato. (Handke, Montale, Cummings. Und die Mauern und Notizen.)


Das Bild des Vaters, von der Mutter abgeschafft,
von dir lange gar nicht erfragt, war, so stellte sich
durch dein Heranwachsen heraus, dir eingeboren.
Wenn du dir je ein Heil erwartet hast, so von dem
Erscheinen deines Vaters. Bei dem kleinsten Vater-
Anzeichen wärst du bereit gewesen, dich auf seine
Suche zu machen.

Handke, Niemandsbucht 498.

Anfang Januar morgens in der Tür zum Cortile sitzen und lesen, beinah einhundert Seiten gelesen heute früh, mochte nicht aufhören, erst, als der Freund herauskam aus seinem Zimmer (nun imitiere ich bereits Handkes Niemandsbuchteston) und sagte, da säße ich ja tatsächlich dort, mochte ich zwar noch nicht wirklich sprechen, aber dachte bereits, daß an die skizzierten Gedichte heute zu gehen sei und daß ich meine Notate aus dem schwarzen Notizbücherl übertragen, vielleicht auch ausführen wolle, die vom Silvester >>>> unter Silvester, die von gestern unter gestern, je als Kommentar. Das will ich dann tun, aber vorher ein Wort zu den Mauern, Mauern Amelias, sagen: daß du, wenn du sie anschaust, gleichgültig, welche, das ganze Universum siehst – entgegen „der Fußgängerzone, die wie schon das ganze Wilhelmshaven wirkte“ (Niemandsbuch 492). So auch meine Frage gestern nacht an den Freund, als wir hinab zu Waldas >>>> Porcelli spazierten, um dort jeder zwei Grappe zu nehmen, was es denn sei, daß hier den Augen wohler täte, als es irgend etwas sonst in anderen Ländern vermöchte, etwas, das es nur in Italien gebe, nicht in Griechenland (wo ich freilich noch gar nie gewesen), in Spanien nicht, noch Portugal, noch in Arabien, geschweige in einer nördlichen Gegend – etwas, das uns jeden Blick, den wir an Bewohntem umherschweifen ließen, mit einem Streicheln entgelte. Und ich notierte heute früh >>>> dieses. Dazu abermals die Mauern Amelias, unter denen auch Wände verstanden sind, eine jede Materialbildern Schumachers gleich, von denen >>>> Fichte inspiriert war:

Also will ich heute spazierengehen und Mauern fotografieren, denen gegenüber ich nicht diese Fotografierscheu habe – bei mir fremden Menschen hingegen, sagte ich gestern zum Freund, ist mir immer, als betröge ich sie um ihre Seele, wenn ich die Kamera auf sie halten und abdrücken soll. Es hat etwas von Erschießen. Mauern dagegen und Wände, anders als Menschen, halten Schüsse aus, Menschen nur dann, wenn sie sie wollen. Dann aber inszenieren sie sich wie ich selbst mich, siehe oben, heute früh: Dann ist es Selbstbemächtigung (und zugleich, immer, eine Frage nach diesem Selbst, bzw. nach den Selbsten, ein tastender Erfassungsversuch unsres polymorphen Perversen).
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Dann will ich, wenn die Notate übertragen und eingestellt sind, an die skizzierten Gedichte gehen heute, noch vor dem Spaziergang (die Mauern werden naß sein, die Wände), und vielleicht den Béart-Zyklus endlich fortsetzen, indes es gegen Abend, wenn der Wein zugelassen sein wird und ich gekocht haben werde (Tintenfisch in eigener Tinte, Pasta dazu), zu einer Entscheidung kommen wird, welches Projekt wir, >>>> Parallalie und ich, denn nun angehen wollen; wir hatten uns gestern für Montales >>>> Finisterre fast schon entschieden; dann schlug >>>> Gogolin, über Facebook, E.E.Cummings vor, irrte aber im Vermeinen, es gebe nur Eva Hesses Übersetzungen aus dem Jahr 1958; tatsächlich hat – „natürlich“ muß ich fast schreiben – il editore Engeler im Jahr 2003 >>>> Übersetzungen von Mirko Bonné herausgebracht:

dive for dreams
or a slogan may topple you
(trees are their roots
and wind is wind)

Cummings

(10.40 Uhr.)
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(Aber jetzt erstmal hinab auf den Markt.)
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4 thoughts on “Prima mattina amerina: PP75, 4 gennaio 2014: Sabato. (Handke, Montale, Cummings. Und die Mauern und Notizen.)

  1. Ihre Haltung zum Fotografieren … … ließ mich diese Stelle aus meiner Erzählung “Letzte Liebe” heraussuchen:

    “Als er sich umdrehte und sein schweres Stativ absetzte, sah Bennati die Fremde ganz allein inmitten der Bankreihen sitzen, die auf der Promenade im bereits tief einfallenden Sonnenschein standen. Es waren genau sechs Reihen zu je drei Bänken, und sie saß ganz allein mitten darin. Bennati war für einen langen Augenblick von diesem Bild wie gebannt. Das Gesicht gegen die Sonne erhoben und mit der Linken etwas auf den Knien haltend, das ihm auf die Entfernung wie ein Buch vorkam, wirkte sie für ihn wie der Inbegriff der Eleganz. Er konnte nicht erkennen, ob sie die Augen geschlossen hielt oder gegen das Licht nach Södermalm hinüberblinzelte, aber er wußte sofort, daß sie ein großartiges Bild abgeben würde, eines seiner geheimen Bilder. Für einen Moment sah er sie vor seinem geistigen Auge genau so, wie er sie auf dem Foto haben wollte, und als er die Kamera hastig auf dem Stativschuh befestigte, bat er Gott in einem stummen Stoßgebet, das er allerdings mit nur wenig Vertrauen gegen den dünnen blauen schwedischen Himmel sandte, er möge unbedingt dafür sorgen, daß sie sitzenblieb. Auf keinen Fall durfte sie jetzt, da er sie entdeckt hatte und sich bereit machte, sie in die Schatz-kammern seiner geheimen Bilder zu überführen, plötzlich aufstehen und fortgehen.

    Bennatis Beruf war die Architekturfotografie, und er hatte mit seinen Arbeiten schon in den frühen siebziger Jahren internationale Anerkennung gefunden, doch zumindest ebenso sicher, wie er die räumliche Anordnung der Elemente eines Bauwerks hervorzuheben wußte, vermochte er die Linien eines Gesichtes nachzuzeichnen, um das sichtbar werden zu lassen, was ein Gesicht üblicherweise verbarg; seine Porträts standen deshalb, wie er mitunter mit Genugtuung dachte, der Kunst eines Yousuf Karsh in keiner Weise nach. Daß davon kaum jemand wußte, lag einfach daran, daß Bennati der Menschenfotografie, wie er es nannte, nur selten und ausschließlich privat nachging; ungesehen und gewissermaßen auf der Jagd nach den kostbaren Momenten der Wahrheit, die in den Gesichtern der Menschen, abgesehen von den Stunden des Schmerzes, die Bennati zu fotografieren sich verbot, gewöhnlich nur dann aufzuleuchten pflegen, wenn sie sich allein glauben. Fotos wie diese waren, wenn sie gelangen, die besten, und für ihn auch die einzigen, die zählten. Aber man mußte sie wie jetzt unbemerkt aufnehmen, weil nur dann der Ausdruck wirklich stimmte.
    Er spürte die typische Unruhe, die ihn stets überfiel, wenn er einen solchen unwiederbringlichen Moment einzufangen gedachte. Menschen, die sich fotografiert wußten, veränderten sich völlig, wurden andere, reduzierten sich auf nichts als eben fotografierte Menschen, auf Personen, die eine Oberfläche herzeigten, als hätten sie plötzlich eine andere Haut nach außen gekehrt. Und das verdarb alles.”

    Samstagsgruß, PHG

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