Des In den Abends zweiter auf den drittenTag: Indischer Ozean ff. In den Abend (6)/Traumschiff 14. PP139, 2. (ff) und 3. April 2014.



(Mittwoch,
18.32 Uhr.)

Die ersten vierundzwanzig Stunden reiner See. Ich habe imgrunde nichts anderes getan, als den Wellen zuzusehen und so, wie wahrscheinlich Maler die Farben, Bewegungen, Gestalten in sich aufzunehmen versuchen, dies mit den Klängen des Meeres getan: wuchtige, feine, sirrende, auch klatschende, gegen den Bug, zuweilen, oder, um genau zu sein, er in sie. Ab dem späten Vormittag konnte ich nur noch mit einer kurzen Hose bekleidet liegen, stand bisweilen auf, um etwas zu trinken zu holen, aber die Zeit floß schon zu ihren – oder meinen – unsren? – Seiten aus sich und uns heraus, den vielen halb bis ganz alten Menschen und mir. Nur die Besatzung hatte laufend zu tun, Kleinigkeiten, scheint‘s, die auf See indes Notwendigkeiten sind: Nachbesserung der Farben an Reling und Bordwand, um Rost zu verhüten; Kabelrollen am Vorderdeck, Wartung des Außernborders eines Beiboots, um davon noch nicht zu erzählen, was unter Deck nötig ist, und was das Servicepersonal anlangt, so hat es ohnedies alle Hände und Füße voll zu tun.
Indessen ich meditierte.

Dabei bin ich Herrn Lanmeister immer noch nicht begegnet, vielleicht, weil er sich abseits seine ganz eigenen Gedanken über das Meer gemacht hat, damit wiederum ich sie niederschreibe und jetzt für Sie – und für mich als einje Erinnerungsstütze – aus der Löwin schönem Notatbuch in diese Datei übertrage:

(Selbstverständlich, Tonaufnahmen habe ich ebenfalls gemacht, mehrmals des Meeres, um das Sirren der Gischt einzufangen und um dei Verscvhmelzung von Motor und Woge im Hörstück wiedererzählen zu können; schließlich fand ich – gemäßigte, ich sage einmal: „Zigan-Klassik“ im Captain‘s Club: vorgetragen von zwei jungen diamantenen Duo-Damen – sogar ein Stück Schubert, das auch dem Hörstück die Stimmung von Gregor Lanmeisters Roman geben könnte — also zur Gänze tatenlos war ich nicht. Dennoch so erfüllt von Herrn Lanmeisters, der dem Rauschen zuhört, Verspüren, wie sich Wogen und Motor vereinen, nur daß „vereinen“ noch ein „o“ haben müßte, um die Wirklichkeit wenigstens einigermaßen „treu“, alliterierend nämlich, wiederzugeben. Zumal sich, was ich eigentlich vorgehabt hatte – auf dem Achterdeck am iPad zu schreiben – , einfach nicht umsetzen ließ, weil der Bildschirm zu stark spiegelt; ich hätte mich für die Arbeit denn in meine Suite begeben müssen. Dort wollte ich aber nicht sein. Immerhin, die alte papierene Weise, etwas zu notieren, funktioniert ja nach wie vor: Essentialitäten (zu denen auch der freie Oberkörper gehört: „don‘t do it!“ riefen mir von ihren Liegestühlen drei alte Damen zu, als ich das Hemd übern Kopf zog – und amüsierten sich dabei).
So also Lanmeisters Platz eingenommen. Nein, denn wie andere ältere Leute hütet auch er sich vor der Sonne. Er sitzt mir also am Bootsdeck im Rücken, dort etwa, wo die drei alten Damen immer noch kichern:


Über der See hängen die Wolken wie eine Flotte dunkler, aneinandergerückter Zeppeline; sie lassen sie, die Sonne, nur manchmal zu uns herunterblicken und immer nur kurz: eine Seeblockade zur Luft. Und Gischtstaub.


In die Strukturen der Wogen versinken. Es gibt Rutschen, die gleich gestraffter Seide glatt sind, hochpolierte wie Metall. Dazu über Strecken sich erhebende Bergzüge, nicht eine einzige krisslige Unruh auf auf den Pässen. Dann wieder Wogen aus einem mit Silber bedampften Blei, über dem der Gischtschnee wirbelt. Auf Hunderte Seemeilen Krönchen dahinter. Und wenn wir uns, denkt Lanmeister, gehoben von einem Wogenpflug, wieder hinabsenken, schäumt es unweit vom Berg weg: dann hebt ein ungeheures Sirren an, wieder und wieder, das sich aufs Gleichmaß des Brandungsrauschens senkt – oder sich aus ihm erhebt, es ist nicht zu sagen -, das wiederum Ton in Ton geht mit dem Grollen des Motors.
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(Der Roman beginnt mit 42 und zählt dann rückwärts auf Null, setzt ein, als hätte es davor eine 43 und davor eine 44, eine 89, 356 gegeben – de facto nie geschriebene Kapitel, auf die sich aber Lanmeister bezieht. Als kennten wir sie alle: „Wer aber zählt?“ – dies wird als Motto vor dem Roman stehen.) (Wir müssen von 13.30 Uhr auf 7.30 Uhr zurück. Die Tage werden kürzer.)
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Schweigen, ständig
in schweigendem Deutsch.
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Wenn man dem Meer und dem Motor lange genug lauscht, dann fährt Georg Lanmeister mit einem gewaltigen Tosen in seinen stillen zufriedenen Tod.
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Ich liebe dieses sanfte hohe Wiegen; gewiegt, nicht gewogen werden, was, sic!, das Gegenteil wäre.
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Die ganze Meeresoberfläche, möge sie auch konvulsieren, ist eine Haut.
Wellenformen ff: manche sind Vulkane, andre Hügelketten, auf deren Rücken der flüssige Sand zurückrutscht. Genau dabei entstehen diese glasglatten Flächen.
Die Buggischt durchleuchtet mitunter ein helles Türkis. Und in der Ferne, so Lanmeisters Eindruck, begleitet uns ein andres, sehr viel kleinres Schiff, vielleicht nur ein Boot. Vielleicht stimmt das auch, nur nehmen es nicht alle wahr, die an Bord sind. Aber w i r sehen es, die dazugehören. (Das Wasser, in all seiner salzigen Ungenießbarkeit, ist ein Element des Lebens. In der Ferne scheint sich das Meer, genau von Nord nach Ost, wie eine Mauer zu erheben, die der englischen Südküste ähnelt, nur sehr viel länger ist. Andren Wellenbuckeln sieht man die Wale an, deren Rücken sie kopieren.
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(17.32 Uhr.)
Wir fahren in eine Haube aus Dunst, die die Sonne über das Meer warf… nein, sie zieht es seitlich grauschräg – und von hinter sich – aus ihm heraus und himmelan, mit einzelnen verwischten, weiter noch hinauflangenden Schlieren: leise drohendes Portal, durch das wir, derweil sich der Feuerall nicht entfernt, sondern flammend auflöst, in die Nacht gleiten werden. Noch liegt die sich sammelnde Ballung wie ein Kissen unter der Sonne, darauf sie ungefähr ruht, beginnt da, sich zu bedecken, und der Seewind frischt auf und kühlt aus.

Mich umkleiden. Rituale geben Struktur, sind Klammern aus Form. Wir begannen, die Welt uns gewogen zu machen, als wir sie teilten. Denkt Gregor Lanmeister, der jede Teilung davongibt. Wahrscheinlich findet er meine Krawatte ein bißchen, nein, nicht gleich lächerlich, aber doch banal. Dabei tu ich was, im Gegensatz zu ihm. Er findet wohl auch das banal.

*****

All die jungen Menschen, die das Entertainment der vielen vielen Alten besorgen. Diese schauen, wenn sie wach sind, zurück, jene aber, wenn sie sich trauen, voraus. Und das Meer ist die Zeit.

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(Donnerstag,
7.43 Uhr.
Alban Berg, Erstes Streichquartett.)

Gestern nacht endete das kleine Duo, in der Captain‘s Bar, mit Bachs Air. Die Haltung der jungen Musikerinnen ward plötzlich anders nach all den bis dahin Evergreenigkeiten, und sie mochten danach nicht mehr weiterspielen, bzw. hatten das Stück sowieso an das Ende ihres Teilzeit-Programmes gestellt. Wenn auch im Hintergrund ge„werkelt!“, also tresenjenseits die Espressomaschine bedient und aber auch diesseits der Theke von einigen Gästen weitergeplappert wurde, war es, als hörten andere mit einem Mal wirklich Musik. Sie erhob sich durch den Raum, mitten im Promenadendeck, erhob sich und, wie ein Air wohl soll, schwebte und stand dann wie Luft im, >>>> so schrieb neulich tom, „Standpunkt der Erlösung“.

Es ist dies der zweite „ganze“ Tag auf See, e r s t, stellen Sie sich vor! Wie soll ich erst am fünften sie, die Zeit, empfinden? Das ist gewiß das spannendste: was diese Reise mit mir macht. Es gibt nur das Dahingleiten, ein, quasi, täglich Wiedergleiches und Widrigkeiten keine, die Akzente setzen könnten. Das wird sich erst mit der Ankunft auf Mauritius ändern. Deswegen scheint mir dieser Reiseabschnitt jetzt, dieser achteinhalbtägig erste, vielleicht der wichtigste zu sein: für den Roman (also für mich, schließlich will man wachsen) und vielleicht auch für das Hörstück. Für dieses interessieren aber noch andere Belange, etwa, fragte ich mich vorhin beim ersten Rundgang zum ersten Kaffee und nachdem ich ein süßes Stückchen… „vom Blech“ hätt ich jetzt fast geschrieben, aber nein: … aus dem Korb genommen hatte: — etwa:: Hat solch ein Schiff auch eine Bäckerei? Wie halten sich die Dinge? Gibt es spezielle Techniken, Eingefrornes aufzutauen, ohne daß man den frühren Frost noch schmeckt? Es müßte, anders, doch sonst d u f t e n morgens um halb fünf. Oder um vier Ganz Dörfer duften dann in die Morgen, ganze Straßenzüge! (Oder: Nur die Teige sind gefroren? wie daheim ja auch? also fast nur noch: – „Bäck-Shops“ statt des süßen harten Handwerks. Uns die Geschmäcker zu normieren: modules Zungen/Geschmackswärzchenswerk —)
Darüber sann ich, als ich das Sonnendeck entlang zum Bug spazierte, um Richtung Kurs zu kieken: dem Süden Afrikas entgegen:


Ich werde heute, was ich gestern versäumt, mein Treffen mit dem Hotelchef terminieren, vielleicht für abends beim Whisky, wenn er mag.
Unsere Position: 160º östl. L/30º südl. B::
Wie wenig Strecke wir erst zurückgelegt haben! Dabei kommt es mir so vor, als wär ich bereits seit drei oder vier Tagen auf See; wie wird da erst Lanmeister fühlen, der vielleicht schon seit Jahren auf diesem Schiff lebt? Was ein Jahr sei, kann es denn davon dann überhaupt noch eine Vorstellung geben?
Das Zeitempfinden verschiebt sich aber auch deshalb, weil wir Zonen der Zeitnorm überfahren: Heute nacht war die Uhr um eine Stunde zurückzustellen, was bedeutet, daß sich meine Zeit der Ihren ruckartig angenähert hat. Dies ist nun n i c h t nur eine Folge der im weiten Sinn kulturellen Norm, bzw. zivilen Übereinkünfte, sondern entspricht natürlichen Vorgängen: Entwicklungen geschehen viel mehr in Sprüngen, als daß sie stetig sind. So auch altern wir, es ist kein ununterbrochen fließender Prozeß, sondern zehn Jahre lang sehen wir wie die muntersten Vierziger aus, dann klatscht wer in die Hände, erschrocken blicken wir hoch und sehen in den Spiegel. Schlagartig sind wir fünfzig geworden, sechzig, achtzig. Die aus unserm Empfinden von Ununterbrochenheit erstandene Idee-selbst, des Stetigen, ist kulturell; in Wahrheit gibt es zwischen den Sternen das Nichts wie zwischen den Atomen, und wie zwischen Gestern und Heute.
Vielleicht, daß Gregor Lanmeister eben dies beobachtet? Er ist dem näher?
*


(9.15 Uhr Ozeanzeit.)

Die ersten Gespräch haben begonnen, mit einigen der Crew, Bekanntschaften aber auch, gestern abend bereits, mit anderen Gästen. Ich teilte zum Dinner den Tisch mit einem schottisch/australischen Ehepaar, das die Hälfte des Jahres, jeweils die Sommer, im jeweils anderen Land verbringt; sie sind nun auf dem Weg in ihr schottisches Cottage. Beide haben Kinder je aus auch vorherigen Ehen, sie vier, er drei, das jüngste ist vierundzwanzig, das älteste wird schon sechzig werden… – Normalerweise flögen sie ja, aber diesmal habe sich die Seereise derart angeboten, da hätten sie nicht widerstehen können. Er spricht ein australisches Englisch, von dem ich fast kein Wort verstehe, muß mich erst einfuchsen auf diesen, tja, ist es das?, Dialekt? – sie hingegen ein distinguiertes fast schon „Oxford“, also seh ich dauernd sie an, auch wenn e r spricht, weil ich ihn dann tatsächlich ein bißchen verstehe; es ist, als übersetzten mir ihn ihre Augen: als spräche er durch die geliebte Frau hindurch – eine Wahrnehmung, die mich bis heute früh beschäftigt, ja, deren Character ich eigentlich jetzt erst begreife.
Sie erzählen mir von Australien, unterstreichen meine Absicht zurückzukehren mit „tun Sie das, tun Sie das unbedingt!“, um die Dschungel zu sehen, den Norden, der für Australien, was für Europa der Süden, und mehr sogar noch: weil eben tropisch. Man muß ja nur Krokodile erwähnen, und ich springe an. Es ließen sich die Flüsse des Nordens auf hausbootartigen Kleinschiffen durchkreuzen; sie, die beiden Eheleute, hätte das einmal gemacht: Kabinen von der Größe unseres Abendbrottischs. Sie lachen.
Später plaudr‘ ich mit Sugar in der Hansebar und mit seinem burmesischen Kollegen; es sei ruhig, s e h r ruhig auf dieser Rückfahrt; die vorherige Tour, um Australien herum, habe sie oft bis vier oder fünf in der Frühe arbeiten lassen; die älteren Herrschaften jetzt aber gäben bereits um halb zwölf auf. Milan, der serbische Keeper, vorhin in der kleinen Bar auf dem Achterdeck, langweilt das indes; überhaupt sei er lieber auf Flußfahren engagiert, da sei mehr los. Und er liebe die langen Joggingpfade längs der Wasserwege.
Ich sammle. Sammle für das Hörstück. Mit wem ich sprechen werde dann auch bei laufendem Rekorder. Erst einmal brauche ich das Vertrauen, nicht nur, nein: Zuneigung. Die wird einem nur gegeben, wenn man sie ebenfalls hat. Weder in dem Hörstück noch gar dem Roman werde ich David Foster Wallace‘s Abfälligkeiten wiederholen. Es ist leicht, sich zu erheben, und mir zu billig. Das betrifft sogar die schlechte Musik, die viele so lieben; sie lieben sie mit Gründen und aus diesen Gründen heraus. Das zu wissen und zu erfahren, macht sie, die Musik, nicht besser, aber es behandelt die Menschen fair, die ihre Anhänger sind. Schon Rührung ist arrogant, indem sie nämlich hierarchisiert: den, der gerührt ist, über die, die rühren, stellt.
*

Bedeckt heute morgen, aber ruhige See. Das Mittagessen werde ich ausfallen lassen; ich setze zu, merk es an der Gürtelschnalle. Statt dessen an das Rudergerät und an die Kraftmaschinen ein bißchen. Aber erst mal nun dieses für Sie
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4 thoughts on “Des In den Abends zweiter auf den drittenTag: Indischer Ozean ff. In den Abend (6)/Traumschiff 14. PP139, 2. (ff) und 3. April 2014.

  1. @Leserin & Leser. Die Bilder hochzuladen, will grad nicht funktionieren… sehr sehr sehr langsame Verbindung, also ein ziemlich teures Unternehmen. Ich hoffe dennoch, es hinzubekommen, aber haben Sie bitte Geduld und schauen immer mal wieder “herein”: vielleicht hat’s ja bei Ihrem nächsten Mal geklappt.
    ‘schuldigung, aber ich bin auf der anderen Seite der Welt inmitten, werden Sie sehen können, der See.
    ANH, 11.26/6.26 Uhr.

  2. Vermutlich … … haben Sie es längst mal irgendwo hier erklärt und ich habe es nicht mitbekommen.

    Ich zerbreche mir nämlich den Kopf, wo Sie den Namen Lanmeister herhaben und natürlich darüber, was er bedeuten soll.

    Wenn ich das richtig recherchiert habe, so gibt es den Namen im deutschen Telefonbuch nicht. Es gibt auch den alleinstehenden Begriff ‘Lan’ nicht, so man nicht das Computernetzwerk LAN dafür nimmt. Das werden Sie aber nicht meinen, denn dann hätten Sie einen Menschen, der ein Computernetzwerk betreut.

    Im Niederländischen gibt es die Lan, jedoch mit einem doppelten ‘aa’, also die Laan, das ist die Allee. Aber dann hätte man eine Art Straßenmeister, den Sie sicher auch nicht meinen werden.

    Und wenn wir im Deutschen bleiben, dann gibt es noch die ‘Lahnung’, damit meint man eine Art Damm oder Wellenbrecher, der ins Meer hinein gebaut ist. Scheint mir für ihren alten Herrn, der sich da so stille in seinen Tod hinein schippern lässt, auch nicht recht zu passen.

    Oder soll der Name gar nichts bedeuten? Soll er nur klingen? Verzeihen Sie mein neugieriges Fragen. Über solche Sachen mache ich mir immer viele Gedanken. Vielleicht haben Sie ja einfach den Link für mich, der zum Ort in der Dschungel führt, wo es steht.

    Wünsche Ihnen gutes Wetter ohne wilde Wellen
    PHG

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