K e i n Sturm, nur etwas Regen. Des In den Abends dritter auf den vierten Tag. In den Abend (8)/Traumschiff 15. PP140, 3. (ff) und 4. April 2014.


sub>(Freitag,
8.50 Uhr.)
Die Abläufe sind immer gleich, das läßt die Zeit n o c h mehr verschwimmen. Wir genießen dies oder setzen etwas dagegen, das strukturiert. Zum Beispiel „den“ Kalender („an sich“), indes die Sicherheit der Uhrzeiten bereits abermals torpediert wird: erneutes Zurückstellen heute nacht, um die nächste Stunde. So daß meine Zeit zu der Ihren ab morgen nur noch vier Stunden differieren wird.
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Nach >>>> der kleinen Sturmmeldung gestern abend, die sich zu den meisten Passagieren aber gar nicht, sinnvollerweise, herumsprach, empfing uns heute früh nur Regen – ein leichtes, warmes Nieseln bei sehr verhangenem Himmel, aber ausgesprochen ruhiger See. Nicht mal die Dünung muß man erwähnen. Auch nachts, als ich dann lag, war kein Seegang zu spüren, abgesehen selbstverständlich von dem durchgehenden leichten Schaukeln, das uns täglich wiegt. Sie ist kein Abenteuer, diese Fahrt, und so auch nicht gedacht. Was aber auch bedeutet, daß ich schon deshalb die für unsere Häfen angebotenen Exkursionen, in Südafrika darunter zweidrei Safaris, nicht mitmachen werde; sie sind für die älteren Menschen ausgelegt, also komplett abgefedert. Für mich selbst würd ich mich da ärgern. Was nicht sein muß. Ich werd dann auf eigenen Füßen und mit dem mir eigenen Trotzkopf alleine losziehn.
Noch aber haben wir sechs volle Seetage vor uns, nicht ein Drittel der Überfahrt liegt hinter uns.
Schön auf dieser Fahrt die sehr persönlichen Gespräche , die auch ganz „einfache“ Besatzungsmitglieder mit den Passagieren führen, nicht nur Servicemitarbeiter, sondern auch Matrosen, ja die Schiffsarbeiter, quer durch die Ethnien, stehen bisweilen mit Gästen beisammen. Und allerweil und -wo ist auf solch einem Schiff jemand am Werkeln, sei‘s, daß gewischt, sei‘s, daß neu gestrichen wird; hier und dort, und da drüben auch, steht jemand mit Farbeimer und an langer Stange dem Pinsel; anderwärts wird das Holz der breiten Handläufe an den Außentreppen nachlasiert; es wird ständig ausgebessert, zumindest gewartet, oft verschönert – und ich spüre bei fast allen einen tiefen Stolz; das Schiff gehört zu einem und man selbst zu dem Schiff: gegenseitig Teil sein: über „pur“ entfremdetes Arbeiten geht das hinaus. Auch wenn, wie mir gestern eine Ukrainerin sagte, nach zwei Jahren unentwegter Fahrt sie sich denn auch nach Zuhause sehne, „auf dem Land sein“, sagte sie; eine andere hat ihr fünfjähriges Kind seit fast einem Jahr nicht gesehen, aber „man muß leben, so ist die Welt“. Johan wiederum, aus Rumänien, hat seit Kindheit vom Reisen geträumt, und nun reist er, „ich habe alles gesehen, Arktis, Antarktis, Australien, Afrika, Canada, alles. Warum auch nicht? Ich habe keine Frau und zur Zeit nicht einmal eine Freundin, niemanden, dem ich verpflichtet bin. Nur meinen Eltern. Sie leben bei Stuttgart, Böblingen, kennen Sie das? Aber mein Deutsch habe ich trotzdem vergessen“, so daß er in einer an Bord nicht ungewöhnlichen Mischsprache spricht, mit englischem Akzent – „Akzent“ in beiderlei Wortsinn.

Momentan ist mein Eindruck, es sei die Crew letztlich interessanter, als es die Passagiere sind. Aber das kann täuschen, jedenfalls in dieser Aussage-Generalität. Denn da ist Patrick, z.B., der Ire, der eine Zeit lang ebenfalls in Deutschland gearbeitet hat, als Holzfäller, im Schwarzwald, „ich habe vieles gemacht in meinem Leben“. Er sieht, mir dem eleganten Sporthut, verwegen aus, ist um die Fünfzig, kantiges Gesicht, schmal, fast hager; Abenteuerlust und Spott in den Augen gehört er zu den bei weitem jüngsten Passagieren. Das gehört hier ebenfalls dazu: Man findet sich. Ja, auch auf der Astor sei er selbst einmal beschäftigt gewesen, vor Jahren, wirklich, als Krankenpfleger drunten im Schiffsbauchshospital. Und nun habe er Verwandte in Australien besucht, habe dort einen Job finden wollen, but all doors are locked, like, ergänzt er, all over the world: mit Argusaugen werden die Arbeitsplätze bewacht, und man begreift, weshalb es sinnvoll ist, nicht staatenlos zu sein (- was ich selbst immer gern gewesen wäre: ein Traum von der Weltbürgerschaft).
Jedenfalls.
Schon gehen die Blicke hinüber und her, es wird morgens ohnedies immer gegrüßt, fremde Mitgäste wie Personal, aber manche schauen sich eine Spur länger an; die Ganglien entscheiden bereits. Und dann steht man „plötzlich“ nebeneinander und fängt an zu erzählen –


Der Stolz von dem ich sprach, kann aber auch mißverstanden werden. Es hätten sich, erzählte das schottisch/australische Ehepaar, von dem ich gestern schon sprach, nach der vorigen Kreuzfahrt einige Passagiere beschwert, daß die Besatzung so arrogant sei. Dies eben ist eine Verwechslung: namentlich dann den Stolz für Arroganz zu halten, wenn jemand ihn hat, der vermeintlich unter einem steht, in der gesellschaftlichen wie der Hierarchie an Bord. Es sind aber Menschen nicht minder als die Gäste; sie haben, mögen sie auch über sehr viel weniger Geld verfügen, dasselbe Anerkennungsrecht. Zu bedienen bedeutet eben nicht: unter den Bedienten zu stehen; vielleicht steht man sogar ein bißchen darüber. Wer sich diesem Gedanken öffnet, wird eine Schönheit der menschlichen Gleichberechtigungen spüren – durchaus eine auch ästhetische, nicht „nur“ moralische Kategorie. Aber hiervon abgesehen, dreht sich das hierarchische Feld spätestens in Notfällen herum: Wem dann, nämlich, wären wir alle hier auf See anempfohlen?

(Ich spüre, wie ich zum Philosophieren neige; gestern, fast scharf, bereits einmal, als ich nur ins Wasser starrte; das ist Lanmeister, der mir Gedanken schickt, die seinen, damit sie sich in einem Organismus, der nicht fiktiv ist, realisieren. Er ist mir, Herr Lanmeister, nach wie vor nicht begegnet. Statt dessen fielen mir bereits mehrfach dreivier Männer auf, die wie Patrick Geschichte verbürgen, und eine kraftvolle Eigenwilligkeit. Einer erinnert an deutlich an Melville, ein anderer an Hemingway, den späten, einer sogar an Tolstoj, des weißen riesigen Bartes wegen; der übrigens, Tolstoj, hängt als nicht sehr gutes Ölgemälde, doch immerhin, steuerbords am Promenadendeck, Puschkin ihm im Rücken. Und eine Druckgrafik, deren Signatur ich nicht entziffern konnte, stellt mehr und gleichzeitig minder abstrakt einen „Poet(en) auf Reisen“ vor. Ich hab mich aber nicht wiedererkannt. Außerdem müsse er, Patrick, nun wieder hinein zu seinen Freundin; die habe er nur dieser Zigarette wegen verlassen, aber „wir sehn uns“.
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Es gibt auch Absurditäten. Zu denen gehört, nicht seiner selbst wegen, sondern des Procederes halber, die Captain‘s Welcome Reception. Die sieht so aus:
Man trifft sich in Abendgarderobe in der Captain‘s Bar. Ich erwartete, daß auch er kommen würde, quasi logischerweise. Smoking, geschweige Frack wäre selbst mir overdressed vorgekommen; also den Leinenanzug und zum hellen Hemd die allerdings hochedle, trotz ihres Rotes dezente Krawatte, die mir die Löwin einmal geschenkt hat, das war in Paris. Dennoch: Einige der „Overdressten“ machten plötzlich Figur, wurden scharfer Vertreter einer bestimmten, neugierig machenden Typologie; es war auch ein bißchen, wie überhaupt schon oft auf dieser Fahrt, als wär ich um ein Jahrhundert zurückversetzt worden. So war denn einiges zu erwarten.
Aber der Captain kam nicht. Sondern das, tja, „Ritual“ (?) begann damit, daß die Leute die Bar wieder verließen und sich in eine lange Schlange stellten, die bei einem Fotografen endete. Dort ließ man sich fotografieren, Paar für Paar. Ich beobachtete und konnte eine gewisse Rührung nicht wirklich wegschlucken, auch wenn ich weiß, daß auch sie schon arrogant ist und also ohne Gerechtigkeit. Immerhin kam ich mit einer der hübschen Hostessen ins Gespräch, oder sagt man Stewardess?, die dem Vorgang allein durch Dasein assistierte.
Nun müssen Sie mal rechnen, daß bei 313 Passagieren, wenn sich von denen nur die Hälfte ablichten läßt, in Abendgarderobe wohlgemerkt vor der großen Astor Lounge, die dem allabendlichen Schowbusiness die Heimstatt, das immerhin 151 1/2 Fotos ergibt, die aber noch nicht genug sind, denn nach der draußigen Ablichtung folgt drinnen, in der Lounge, eine zweite, und zwar zusammen mit dem Kapitän. Die Prozedur dauert lange. Ist sie vorüber, bittet er zum Abendessen und nimmt am großen runden hinteren Tisch in Begleitung einiger Honoratioren Platz; ihm schräg gegenüber, dennoch zur Seite, der Hotelchef, Christian, mit dem ich mich gleich um elf Uhr treffen werde:

(Normalerweise müßten, bevor sie selbst einen Bissen nehmen, wir anderen Gäste darauf warten, denke ich mir, daß als erster er das Glas erhebt; aber so förmlich ging es nicht zu, vielmehr von nun an zwanglos.)
Nun aber dieses hier einstellen, bevor ich zu meinem Termin gehen werde.
Guten Morgen.
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