Ärzte nerven. PP177, 1. Juli 2014: Dienstag.

(8.56 Uhr, Arbeitswohnung.
Schostakowitsch, Siebte, Göteborg, Segerstam 2012.)

Ärzte nerven, wiederhole ich. Bin in den, wie gestern meine Sportärztin sagte, Rattenschwanz geraten: aus einem Befund, der an sich leicht zu beheben wäre, folgen Untersuchungen auf Untersuchungen, für die man als normaler Kassenpatient kaum Termine kriegt, jedenfalls keine zeitnahen. Also muß permanent geschwindelt werden, oder ich zahle einfach privat in bar, dann geht’s. Mit den Ärzten selbst komm ich schnell klar, aber dazu muß man immer erst an den Vorzimmerdamen vorbei, die nicht selten Drachen sind und sich nicht vorstellen wollen, daß „Ausnahmen“ möglich sind, wenn man jedenfalls Künstler ist und sich im Zweifel mit einem Autographen revanchiert. Egal. Wenn das so weitergeht, werde ich wegen des Leistenbruchs simulieren müssen: nachts den Notdienst anrufen, über furchtbare Schmerzen klagen usw., woraufhin man dann mit Tatütata ins Krankenhaus gefahren und in aller Regel auch sofort operiert wird, wenn ein Tisch frei ist. Den Tip gab mir sogar eine Ärztin direkt.
Aber mir liegt das nicht. Ich beiße selbst bei wirklichen Schmerzen lieber die Zähne zusammen und sag mir, is’ ja nur Schmerz, anstelle Aufhebens drum zu machen. Mach ich jetzt aber keines, kann sich die Angelegenheit noch Ewigkeiten hinziehen. Was mich vor allem Konzentration kostet. Ich bin immer noch nicht in meinen Routinen zurück, arbeite lustlos, jedenfalls uninspiriert, von genauen Arbeitsaufträgen abgesehen. Der kleine Reisetext, den Sie jetzt >>>> dort als Podcast hören können, ist, glaube ich, sehr schön geworden; der längere Text für >>>> die Horen, aus dem er herausgedanpft wurde, ist allerdings schöner. Den bekommen Sie aber nicht vor dem, soviel ich weiß, Spätherbst zu lesen. Und M. war vorgestern regelrecht begeistert von meinem Vortrag, den ich >>>> für den kommenden Stuttgarter Freitagabend geschrieben habe; ich denke, er bringt einiges auf den Punkt und wird in Zeiten allgemeiner Fußballseligkeit vielleicht besonders, aber auch sonst in angemessener Weise provozieren. Ich habe überlegt, immer wieder überlege ich dran rum, ob ich Die Dschungel einschlafen lassen und eine neue Webpräsenz eröffnen soll, die „Ihr Unhold“ heißt. Das „Ihr“ in dem Namen wäre eine ausgestreckte Hand, immerhin. Ein Kollege äußerte neulich im Gespräch mit einem gemeinsamen Freund, „so verfemt wie der Herbst“ sei er n i c h t. Als mir das erzählt wurde, konnte ich geradezu auf der Haut die Erleichterung spüren.
Mir macht das, verfemt zu sein, derzeit immer noch sehr zu schaffen; ich finde nicht in meinen alten guten Trotz zurück, der aus dem schlimmen Umstand ein Gütezeichen werden ließ, quasi als Selbstbestätigung diente, sogar Mut machte. Daß mir das derzeit nicht gelingt, mag eben auch an den permanenten Arztterminen liegen, Sonografie, CT, dazu die immer noch nicht heile Achillessehne, die mir nicht erlaubt, mir die Kraft wieder zu erlaufen. Für sich sind das alles lächerliche Befunde, aber aufeinandergestapelt mürben sie mich langsam aus. Geduld hatte ich noch nie, vor allem, wenn ich etwas nicht selbst in der Hand habe, sondern auf andere angewiesen bin. Ich will ja auch keine Verantwortung abgeben, sondern will eben frei sein, ob moralisch, ob lebenspraktisch. Die parallel laufende Zahnarztbehandlung ist insofern – abgesehen davon, daß auch sie Zeit kostet – geradezu erholsam. Jetzt ist die zweite Brücke drin und die dritte als Provisorium. „Wie angenehm, daß mal ein Patient nicht zappelt“, sagte mein Zahnarzt. „Wenn Sie wollen, können wir auch Nr. 3 angehen.“ „Klar“, sagte ich mit halbvollem Mund, „was erledigt ist, ist erledigt.“ So saß ich abermals zwei Stunden und sann darüber nach, daß Schmerzen a u c h ein Zeichen dafür sind, daß man lebendig ist.
Ich komme und komme mit dem >>>> Kreuzfahrt-Hörstück nicht weiter; allerdings beruhigt es mich, daß meine Redakteurin die Ausstrahlung nun erst für den Oktober angesetzt hat. Das gibt mir Zeit, dachte ich, bis mir einfiel, daß ja auch noch der Sterberoman zu schreiben ist. Ich hoffe, daß ich dessen Abgabe auf den Dezember verschieben kann; für sein Erscheinen im Herbst 2015 wäre dann immer noch gut Zeit. Wie es jetzt aussieht, werde ich ihn überhaupt erst Mitte August >>>> in Amelia beginnen, jedenfalls als durchlaufenden Text. Das ist nun in der Tat etwas, das mich reizt: ein ganzes Buch mal wieder innerhalb von zwei Monaten zu schreiben. Wenn etwas „leistungssportlich“ wird, wache ich auf. In der Hinsicht bin ich ausgesprochen zuversichtlich.

Höre mich gerade durch sämtliche Schostakowitsch-Sinfonien. Die frühen gehen mir auf den Senkel: ihr Pathos ist mir zu martialisch; die späteren werden inniger, auch gebrochener. Mein Verhältnis zu Schostakowitsch, unterm Strich, b l e i b t ambivalent. Er s t a m p f t mir einfach zu viel. Stampfendes Marschieren von Musik, inszenierter Show-Jubel. Die Kammermusik, allerdings, ist anders. Wunderbar, nach wie vor, Jarretts Einspielung der Preludien und Fugen: zwei Stunden unentwegt konzentrierter und träumender Arbeit.

Wie auch immer, bin abermals im Aufbruch: nach langer Zeit wieder einmal >>>> Serengeti. Von dort dann am Freitag nach Stuttgart. Wo wir, Sie und ich, uns vielleicht sehen werden.

Es gefällt mir überhaupt nicht, im Schreibton derart nüchtern zu sein. Aber heute abend geht mein Ramadan vorüber, da kann ich’s physisch ausgleichen und werde zur Begrüßung, mit der Löwin, wieder einen Sundowner trinken. Das, immerhin & übrigens, hat die Untersuchung ergeben: meine Organwerte sind sämtlichst perfekt; vor allem keine Spur von Alkoholabusus. Ich gebe zu, daß mich das, vor allem nach den zweiundvierzig deftigen Trinktagen Kreuzfahrt, doch sehr erleichtert hat. Jetzt will ich wirklich nur endlich diese Leistenbruchgeschichte vom Tisch haben. Ich soll ja vorher auch keinen Kraftsport treiben, weil der Riß sonst weiterreißen könnte. Nervnervnerv.

So, packen.


Zwischenmeldungen:
>>>> 21. – 26. Juni 2014
>>>> 28. Juni 2014

3 thoughts on “Ärzte nerven. PP177, 1. Juli 2014: Dienstag.

    1. In meinem Fall die Anamnese.(Der vierte Arzt in direkter Folge, der sie erheben wollte, und ich wiederhole mich so ungern, auch dann, wenn er über Wiederholungen abrechnen kann.)

      Die Diagnose war immer schon klar.

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