Sexverträge. Im PP235, 30. September 2014: Dienstag.

[7.04 Uhr, Arbeitswohnung.
Henze, Erstes Streichquartett.]

>>>> Das ‘s nu‘ interessant; den Link schickte mir noch nach halb zwei Uhr Broßmann. – Und wie wird das im Zweifelsfall bewiesen, daß ja- oder neingesagt worden ist? fragte ich soeben. Nun, ganz klar, es wird Sexverträge geben. Darin wird in einer folgenden Weiterung auch festgehalten werden, welche, sagen wir, Leistungen dieses Ja, sofern ausgesprochen, umfaßt. Am besten Normverträge nach dem multiple-choice-Verfahren Darin können die entsprechenden Praktiken angekreuzt werden, zu denen man bereit ist. Deshalb wird man, als jedenfalls sexuell aktiver Mensch, stets ein paar Formulare bei sich haben. Ich empfehle der Umstandslosigkeit halber eine App für sowohl Android als auch Apple; für erotische Spezialisten gibt‘s die auch auf Linux. Wir von der demokratischen Gesetzgebungsfraktion sind jedenfalls überzeugt, daß wir Vergewaltigungen mit dieser Maßnahme auf vollkommener Linie einen Riegel vorgeschoben haben. Denn es kommt zu ihnen logischerweise nur, weil sich bislang Vergewaltiger im Zustand der vollkommenen Rechtsunsicherheit befunden haben. Dem ist nun abgeholfen worden. Endlich wissen Vergewaltiger und Vergewaltigte fortan immer, was sie tun, bzw. was ihnen angetan wird.
Selbstverständlich dürfen damit nun auch wir zumindest das Bewußtsein einer Vorfreude genießen: Wie alles aus den USA, werden wir auch dieses Gesetz schnellstens importieren; bald sogar im Wortlaut. Nur daß es leider die deutsche Sprache noch gibt.

Irgendwie kam ich erst gegen drei Uhr ins Bett; bis etwas nach Mitternacht war Broßmann hier. Guter Abend mit >>>> Rihm und Eötvös, schließlich Play Bach. Meine Begeisterung für Rihms Hornkonzert teilte er nicht; das Soloinstrument war ihm zu weich geführt. Dafür zitterte er auf der Couch vor Begeisterung, als er Eötvös hörte. Ich selbst war zuvor, beim Kochen, in die Gefilde meiner späten Jugend geschweift: Georges Brassens. Den quasi ganzen Tag über hatte ich übersetzt, erst die Nummer 20 der >>>> Chamber Music, dann Montale. Verzwickt, verzwickt; der Entwurf wird sich gleich automatisch >>>> eingestellt haben. Im Kommentar will ich noch ein bißchen was dazu notieren.

Ich warte nach wie vor auf Nachricht meiner Redakteurin. Bis dahin werde ich die Kammermusik schon mal „vorarbeiten“ und wohl auch noch einen nächsten Montale angehen. Dann eigene Gedichte vornehmen. Wie Sie lesen, begebe ich mich nun doch in den Lebensform-Modus. – Von der >>>> Staatsoper habe ich tatsächlich noch eine Pressekarte für Barenboims allerersten Puccini bekommen, womit ich, weil objektiv viel zu spät angefragt, überhaupt nicht gerechnet habe, zumal am Tag der deutschen Einheit. In Puccini würde ich normalerweise nicht mehr gehen, aber Barenboim & Puccini? M u ß ich hören. Aus bei einem so kleinen Haus wie dem Schillertheater verständlichen Gründen vergibt die Staatsoper bei Premieren keine Begleitkarten; also werde ich alleine gehen.

Gut, tun wir mal wieder was.

[Henze, Zweites Streichquartett.]

***

(10.52 Uhr.
Henze, Viertes Streichquartett.)

Das ging jetzt fix: Auch die Kammermusik No. 21 ist im Entwurf fertig; ist allerdings ein nur kurzes Gedicht und erlaubt vor allem eine nett antikisierende Travestie. Das hat Spaß gemacht. Eingestellt werden wird es Ihnen aber erst, nachdem sich >>>> Parallalie wegen der No. 20 gemeldet haben wird und eben dieses Dingerl in Der Dschungel steht.
Wahrscheinlich nehme ich mit als nächstes Montales Ossi di Seppia No. 2 vor. Will aber erst mal wieder in Eigenes hineinblicken. Und etwas sinnen. Auch etwas >>>> Pynchon weiterlesen. Und dabei die Streichquartette durchhören: ff.
***

10 thoughts on “Sexverträge. Im PP235, 30. September 2014: Dienstag.

  1. Es ist schon faszinierend, nicht? Wie da hybsch um das Problem ein weiter Bogen geschlagen wird, dass angesichts der schwer zu leugnenden unheiligen Allianz aus rape culture und slut shaming irgendein grundsätzliches Problem mit der Erziehung vorliegen könnte. Eines das mit zutiefst patriarchaler puritanischer Moral zusammenhängt. Die so natürlich weiter in Ehren gehalten wird. Wie es für hegemoniale Strukturen aber nunmal leider üblich ist (Gramsci und Bourdieu lassen grüßen).

    1. Vor allem sollen Feingriffe nicht länger möglich sein, Spielformen, in denen ein Nein immer auch ein Ja bedeuten konnte – konnte, wohlgemerkt, nicht etwa es notwendigerweise war -, und wo es darum ging, das Wollen hinter dem Sagen zu erspüren. Das gelingt freilich nicht jedem. Da kommt dann die puritanische Basis-“Demokratie” und sagt: Für alle Menschen, gleich welchen intellekuellen und/oder empathischen Ranges, hat dasselbe zu gelten. Kurz: Auch hier werden Unterschiede nivelliert und Menschen weiter auf die Äquivalenzform zugerichtet. Es geht tatsächlich darum, Replikanten aus ihnen zu machen, die ihrem Programm gehorchen. Module Menschen, die keine Amivalenzen mehr kennen, geschweige, mit ihnen umzugehen wissen.
      Daß, sich aus solcher Programmierung zu erheben, weiterhin denen gelingen wird, die das nötige Geld dafür haben, paßt in das Bild. Hergestellt, fast industriell, wird der Mensch als Befehlsempfänger-Fußvolk. Eine Frau zu verführen, oder einen Mann, die also Hohe Kunst des erotischen Umgangs miteinander, wird obsolet und Verführung zur Vergewaltigung-selbst. Es sei denn, die und/oder der Verführte legen schriftlich nieder, daß sie verführt werden möchten. Womit das ganze Geschlechterspiel an Ödnis nicht mehr zu überbieten ist. Es soll auch gar nicht mehr sein. (Natürlich, nebenbei bemerkt, darf weiter fröhlich gefoltert werden.)

    2. Verführung… … ist ja absolut wesentlich auch *konsensuelles* Spiel (bei dem der Konsens dem Spiel zuliebe aber eben manchmal auch die kulturelle Form der sog. «weißen Lüge» annehmen kann, was wiederum beidseitiges Bewusstsein darüber erfordert). Ganz im Gegensatz zu den weniger oder auch mehr gewaltsamen Formen von übergriffiger «Überredung», mit denen sie von entsprechend nicht differenzierungsfähigen Menschen in einen Topf geworfen wird.

      Absurderweise macht die Forderung nach – vertragstypischer! – Eineindeutigkeit gleichzeitig den *Warencharakter* von Sexualität und das diesbezügliche Tauschgeschäft sichtbar. Der umso stärker ist, je patriarchaler die gesellschaftlichen Moralvorstellungen (und damit die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechterrollen) geprägt sind.

    3. “Warencharakter von Sexualität”. Exakt. Aber eben einer, der ihr nicht ontologisch eingeschrieben ist, sondern erst gesellschaftlich-ökonomisch eingeschrieben wird: eben über die (totalitäre) Warengesellschaft. (Das Totalitäte wird, erkenntnistheoretisch spannenderweise, genau über die “demokratische” Grundverfassung perfektioniert. Das ist das im nicht-künstlerischen Sinn Perverse daran.)

    4. Das Tauschgeschäft… … – d. h. die Ökonomisierung der Sexualität – ist allerdings bereits ein präkapitalistisches (siehe alleine schon die Kulturgeschichte der Institution der Ehe). Nicht, dass das etwas am hegemonialen Ist-Zustand der Warenwelt und an der dementsprechend *internalisierten* Unterwerfung unter deren Strukturen änderte.

      Nebengedanke: *vielleicht* könnte in dieser Hinsicht die zunehmende Explizierung des Geschäfts doch auch zur Überwindung der totalitären Ökonomisierung menschlicher Verhältnisse beitragen. Ohne Sichtbarmachung keine – dafür notwendige – Erkenntnis.

    5. Sichtbarmachung. Das halte ich für eine Irrhoffnung. Zum einen, weil die meisten, meinem Eindruck nach, die Entwicklung unterdessen wollen, zum anderen, weil Einsicht in etwas noch nicht Veränderung bedeutet, nicht einmal den Willen zu ihr. Sondern völlig pragmatisch kann die Sichtbarmachung dazu führen, daß man sich bewußt einrichtet und auf die “Gegebenheiten” trainiert – als wären es Naturgesetzlichkeiten. Läßt sich das Regnen nicht abstellen, wird der Regenschirm genommen, was bei vielen Regenschirmen die Produktion noch mal anheizt. Da die Menschen ganz offenbar nicht intensiv leben wollen, sondern lieber auf Lust verzichten, als daß sie Schmerz inkauf nehmen würden, kommt den wahrscheinlich meisten diese Totalität ausgesprochen entgegen. Sie wollen Ware sein. Um so bigotter, wenn die “Schutzgesetze” sich moralisch verklausulieren. (Schon bei dem Wort “Schutzgesetz” erfaßt mich das Grausen).
      Das Problem ist, daß, ein freier Mensch zu sein, anstrengend ist und vor allem Verantwortung bedeutet. Die wird von Menschen nicht so geliebt. Standardsatz bei Kriegs- und anderen Menschenrechtsverbrechen: “Ich habe nur meinen Befehlen gehorcht.” Es müßte an unseren Schulen ein Pflichtfach geben, das lehrt, Befehle auf keinen Fall zu befolgen oder nur, wenn sie nachvollziehbar begründet werden. Mit diesem Vorschlag stehe ich allerdings relativ allein.

      Übrigens, in der Badischen Landesverfassung ist heute noch die persönliche Pflicht auch zum gewaltsamen Widerstand verankert, gegen Unrechtsregierungen.

    6. Wille Angesichts dessen, dass wir es hier mit Hegemonialstrukturen zu tun haben: wäre dabei nur die Frage, wie frei besagter häufiger Mensch in dem ist, was er/sie/es da will, d. h. inwiefern tatsächlich von einem Willen überhaupt gesprochen werden kann, zumindest von einem bewussten. Oberflächlich sicherlich ja. Aber mit der Einschränkung, dass der gesamte Akt der Willensbildung innerhalb der Grenzen der realitätskonstruierenden Matrix stattfindet – und diese damit reproduziert. (Illusorisch wäre übrigens auch, sich selbst davon weitgehend frei zu wähnen – alleine schon, weil gerade wir dafür erheblich zu privilegiert sind, in nahezu jeder Hinsicht: weiß, männlich, gebildet, in den Speckgürtel dieses Planeten geboren, …)

      Dass Sichtbarmachung nicht automatisch auch wünschenswerte Veränderungen (Aufklärung/Emanzipation/…) nach sich zieht, ist klar. Allerdings ist Sichtbarkeit wie gesagt deren Voraussetzung. Und damit trotz allem immer auch Chance.

    7. @brsma, “freier” Wille und Freiheit aus Kausalität. In Sachen Willensfreiheit sind wir wohl einer Meinung. Allerdings verändern sich, unabhängig von den sonst wirkenden Strukturen, Handlungen von Menschen, wenn sie sich frei fühlen. Von dort aus läßt sich, denke ich, rückwirken.

      Was die Chancen anbelangt, möglich. Sichtbarkeit kann aber auch zum Gegenteil führen. Aus familiengeschichtlichen Gründen argumentiere ich sehr oft mit dem Hitlerfaschismus. Es war dort schlichtweg alles sichtbar und vieles davon bereits, als es noch gar nicht eingetreten war. Genau die Sichtbarkeit schuf dann Anhänger um Anhänger, weil sich zu allem dieses verdammte menschliche Bedürfnis nach Konsens addierte. Anstelle, daß man eben in sein/ihr inneres Wertesystem verankert, frei sein zu wollen, also: sich unterscheiden zu wollen.

  2. A propos Rihm Es ist nicht nur, dass mir das Horn in dem Konzert zu weich war. Verhältnismäßig – das heißt: legt man die zerklüftete Schroffheit von Rihms früheren Streichquartetten als Maßstab an – weich, und zwar ganz wertneutral!, war schließlich auch das weitestgehend darunter/dahinter agierende Orchester. Nur dass das, was *dort* passierte, für mich ingesamt erheblich spannender und in jeder Hinsicht musikalisch reicher war, als die streckenweise ein bisschen wie Freejazz ohne Eier(-stöcke) vor sich hinziehenden langen Linien, die Rihm da in das Soloinstrument komponiert hat.

    Erst recht angesichts dieses fasziniernden Füllhorns, aus dem Eötvös einem dann ausgiebig in die Ohren goss…!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .