Von Strömen und von Wasserfällen. PP236, 2. Oktober 2014: Donnerstag.

[7.15 Uhr, Arbeitswohnung.
Noch Stille; durchs Oberlicht das Halterauschen der nahen SBahn.]

Es gibt Tage, an denen ich nichts, aber auch gar nichts zuwegebringe, außer, daß ich reichlich, sagen wir, pikant durchs Netz surfe. Gestern war so einer. Zurückbleibt, am nächsten Morgen, eine Art Kater, der von seelischem Alkoholmißbrauch rührt; nicht ein einziges Glas muß man dafür getrunken haben.
Heute wieder um fünf vor fünf auf.
Auf meine Widmann-Kritik hat Schaakej >>>> eine Entgegnung geschrieben, in der es auch eine Richtigstellung gibt, die ich sofort übernommen habe. Dieses beiseite, habe ich auch sonst sofort >>>> reagiert. Dies also war das erste, was ich heute tat, von der Zubereitung des Latte macchiatos abgesehen.

Ich sitze ein bißchen hilflos vor den immerhin langen Fragmenten der >>>> Brüste der Béart, finde aber in den Ton nicht, die Haltung nicht. Was will ich eigentlich sagen? Wie behandle ich Form, wissend, daß sie maßgeblich an dem EtwasUndWasSagenWollen beteiligt ist? Zwei Zeilen, in Zahlen 2, hab ich gestern hinbekommen, bzw. auch sie nur skizziert. Plötzlich ist der Aeropag da – Anschauung der unmittelbaren Sinnlichkeit gegenüber dem abstrakten Recht. Aber dann wieder aufgelöst durch Anschauung: zu viele Pornos machen aus zu vielen „Löchern“ ihrerseits Abstraktionen. Die suchen dann, eben in der Anschauung, nach ihrem „Ideal“.
Nachts schließlich >>>> „13 Sinns“ gesehen. Eine alte Vorstellung: daß hinter vielem ein Konsortium ausgewählter Privilegierter steht, die ein sehr altes Spiel spielen. Es läßt sich dagegen so schlecht argumentieren wie gegen Gott; man kann es einen Unsinn nennen, wird sich aber nie sicher sein können. In Ansehung der Milliarden gottgläubiger Menschen, die es gibt, hat die Vorstellung ziemlich demokratisch sogar die Mehrheit auf ihrer Seite, oder doch eine beeindruckend wirkende Nichtganz-Mehrheit. Wenn man sich das vor Augen hält, wird man im Urteil vorsichtig und wähnt es eine Abwehr.

Mein >>>> Hörstück über Christian Filips wird vom WDR im November wiederholt werden; damit „gleichen“ wir die Lücke „aus“, die durch die Verzögerung des Kreuzfahrt-Hörstücks entstanden ist. Problematisch daran ist, daß gerade bei einem so jungen Dichter fünfeinhalb Jahre enorme Entwicklungsschritte bedeuten; von einem gegenwärtig noch angemessenen „Portrait“ läßt es sich deshalb schwer sprechen. Insofern mußte ich den Pressetext gestern modifizieren. Ich habe aber nicht eigentlich eine gute Alternative gefunden. Ohnedies wäre es mir lieber gewesen, hätte sich der Sender für eine Wiederholung meines >>>> Ricarda-Junge-Stücks entschieden. Daran war auch gedacht worden, aber das Ding ist zu experimentell, hieß es, um mit der gegenwärtig bei dem Sender in der Hör-Ästhetik durchschlagenden Modulisierung konform zu gehen, ebenfalls >>>> das Krausser-Stück. Junge hätte sich vor allem wegen >>>> ihres soeben neu erschienenen Romanes angeboten; das sah die Redakteurin auch. Ich denke, daß die für das Kreuzfahrt-Hörstück eingetretene Verzögerung genau mit diesem „Experimentellen“ zu tun hat, das von der Senderleitung nicht mehr gewünscht ist, sondern die Sendungen sollen quasi-industriell genormt sein. Sollte meine Vermutung stimmen, geht es auch hier um Totalität: radikale Normung der Lebensformen, um Hegemonie und Macht: Zerstörung von Freiheit zugunsten eines allgemeinen, eben totalen Konsenses. Wir werden damit in den kommenden Jahrzehnten bis zur Vernichtung von Existenzen zu tun haben. Nicht freilich, daß es „früher besser“ gewesen wäre, bewahre! Die Gefahren – und Unheile – sind nur andere gewesen; jede Zeit kennt die ihren. Und diese hier sind unsre. Momentan kann man nur versuchen, so viele Ausnahmen wie möglich durchzukämpfen, und muß dazu jeglichem „Was für einen gilt, gilt auch für die anderen“ die Absage erteilen – auch und gerade auf die Gefahr hin, daß man isoliert wird. Wenn man es wird, ist das nicht schön; ich weiß sehr gut, wovon ich spreche. (Lustigerweise hat ausgerechnet die Männer Vogue, in den Neunzigern nach Erscheinen des >>>> Wolpertingers, folgenden Satz über mich geschrieben; er tat, ich gebe es zu, meiner Eitelkeit gut: „Dieser Mann schwimmt nicht gegen den Strom. Er läuft senkrecht Wasserfälle hinauf.“ – Auch Sie haben eben lächeln müssen, nicht wahr? Jedenfalls, von dergleichen ernähren sich die, die wir sind. Auch wenn wir schließlich ermagern.)

2 thoughts on “Von Strömen und von Wasserfällen. PP236, 2. Oktober 2014: Donnerstag.

  1. Der Kernsatz des irisch-gälischen Dichters Tomás Ó Criomhthain lautet “Mar ná beidh ár leithéidí arís ann”, “… denn unseresgleichen wird es nie wieder geben” – daran mußte ich grad denken, als ich Ihren Text las und die Passage über die Gefahren und Unheile der je eigenen Zeit, denen zu begegnen ist.

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