Dear Joseph (XVIIII), …

vom Ende der Welt zum Plus Ultra. Weil einer kurz zur Säule wurde, dem dafür zu danken ist.

Habe dir lange nicht mehr geschrieben. Und versuche hier wieder in den Fluss zu kommen. Briefe ins Totenreich. Briefe an dich, Joseph. Diesen, der anschließt an meinen letzten.

Ich habe da etwas verknüpft. Und dann einen Mythos gefunden von dem ich nicht loskam und komme. Atlas und Herakles. Der Atlantik und ein Apfel.

Nun frage ich mich: Was denkst du darüber? Über diesen Mythos.

Ich jedenfalls habe seit gestern weiter über ihn nachgedacht. Und du weißt, ich liebe Mythen. Hätte ein Mythologiestudium absolvieren sollen. Aber das hätte mich vielleicht versaut, weil ich sie eben lese, wie ich sie begreife und wahrnehme. 360°. Möglichkeiten. Einmal rund herum. Je nachdem, wo man selbst steht.

Auf einer Hauswand in meiner Straße z.B. ist ein Haltungsverwandter von Atlas zu sehen. Denn direkt verwandt sind die beiden ja nicht. Atlas ist ein Titan. Und der, der das Jesuskindlein auf seinem Schultern trägt, ist ein Mensch und heißt Hl. Christophorus.

Glaube ist die Suche nach einer Haltung. So, oder so ähnlich hat das hier mal Einer im Netz formuliert. Finde ich immer noch gut den Satz.

Haltungen. Darum geht es. Immer. Um die eigene, die anderer, die angenommene, die innere, körperliche. Gehalten werden. Das kann zärtlich gemeint sein oder ganz anders. Bis hin zu Unräumen, in denen deine / meine / ihre / seine Hände nicht mehr existieren, oder nur noch als Phantomschmerz. Allenfalls. Gilt für Jeden und Jede. Und was dann mit dem Körper ist, ist noch einmal eine ganz andere Sache.

Atlas oder Herakles?

Ist eigentlich nicht wichtig, oder? Denn irgendwie gehören die beiden ja auch zusammen. Dennoch finde ich den mit der Kugel auf dem Rücken tendenziell reizvoller. Fühle mich von ihm mehr angezogen. Körperlich. Der Haltung wegen. Besonders aber weil ich mich frage, was denkt er eigentlich, bei dem, was er tut. Und was nimmt er dabei an, während er es tun muss. War ja nicht seine, aus sich allein heraus getroffene, Ent:scheidung. Vereinfacht gedacht ist er ein Schraubstockgewinde, das etwas spreizt. Nämlich auf. An dem gedreht wurde und wird. Die Verkörperung der Distanz. Ein Dis:Tanz. Oder eben ein Kind zwischen Mutter und Vater. Dazwischen gegangen in einer Situation stemmt er ihn von ihr weg. Dabei kann er auf sie schauen, auf ihn nicht. Herakles sehe ich da, wenn ich mir diesen Mythos vorstelle und ihn versuche einfach nur auf mich wirken zu lassen, nur entfernt, irgendwo hinter mir, im Hesperidengarten herumspringen. Zwischen diesen, wie ich sie jetzt seit Berlin nenne, Eichelborntöchtermädchen (Tolles Wort, oder?! Eichelborn ist eine Ortschaft, die auf dem Weg liegt.), die gerade sämig herabgetropft sind und sich noch im Fall zu Körpern gewandelt haben, die da nun, eher wie hingegossen, auf Gaia, in Hebammensprache ausgedrückt: känguruhen (Ist son Bindungsding. Immerhin das! Sonst wären die verloren. Zumindest in diesem Phall.). Auf die er auch schaut. Zumal die, ganz nebenbei bemerkt, alle gleich jung aussehen. Und gleich.

Was denkt er, wenn er auf sie schaut?

Dennoch: Müsste ich mich entscheiden, wie beim Handball z.B., würde ich Atlas auf mein Feld holen. Vom Gefühl her, von der Aufstellung her, wissend, dass das ganz ohne Vorstellungsaufwärmspiel passt. Auch weil sich mein oberster Halswirbel immer mal wieder meldet. Und ich genau weiß warum. Denn ich denke mir das bereits als Frau mit einer riesigen Kugel im Nacken. Ich würde mit ihm spielen wollen. Was reißen. Was denn sonst! Nicht weil’s mir generell ums Gewinnen geht. Das war einmal. In diesem aber Fall schon. Lange her bei mir. Bin nur dann ein guter Teamplayer, wenn es drauf ankommt. Ansonsten nicht. Deswegen habe ich meinen Handballverein damals auch verlassen, weil die sich nicht auf mich verlassen konnten. Ob ich komme oder nicht. War halt Schwimmerin.

Einmal Joseph,

kurz,

Schulter an Schulter. Sich abklatschen.

Dann

Seite an Seite stehen,

sehen wie der Ball… Anpfiff:

Zeit.

Aber so kommt man nicht zur Welt. Kein Mensch. In keinerlei Hinsicht. Und doch einmal. Kurz. Und ich frage mich, wieso ich das so verknüpft habe, nachdem ich das Gemälde Atlas und die Hesperiden von John Singer Sargent sah. Denn eigentlich es sind ja seine Töchter, nicht die des Vaters. Und irgendwie doch. Aber an sich ist es genau das, was ich an diesem Mythos und dessen Abbildungen nachvollziehe. Arg interessant. Für mich jedenfalls …

Auf jeden Fall muss ich jetzt immer, wenn Einer auf Eine ejakuliert, an kleine Hesperiden denken.

Die meisten Menschen reagieren auf Entzug. Daraus kann sich auch eine Autoerotik entwickeln. Atlas als Eros? Nur anders gefasst als bei Platon. Anders als der, der entstand als es trennte. Weltlicher. Umfassender. Geprägter. Vom Kampf. Die Kugel im Nacken.

Von wegen Himmelsgewölbe, Joseph.

Deine Häsin.

9 thoughts on “Dear Joseph (XVIIII), …

  1. Ein “Mythologiestudium” kann einen überhaupt nicht versauen (sage ich mal als anderes, sich hier einmischendes Du – mit einem solchen Studium), weil eben Mythen vom aktuellen Angewendet-, Durchdacht-, Durchlittenwerden leben. Eher ist es so, daß eine intensive Beschäftigung mit ihnen eine selbsteigene Struktur in der Mythologie auszubilden hilft, was unter anderem vor Beliebigkeit schützt, die sich meiner Ansicht nach hier in den Text bereits eingeschlichen hat und die den Text eher für Leser verschließt, als ihn zu öffnen.

    1. Insgesamt, ja.

      Aber erklären Sie mir das mit der Beliebigkeit. Denn wenn sich etwas einschleicht, toll, so wie Schlangen, und das auch darf, dann war ich nicht beliebig im Sinne von: Wie es ihr gerade beliebt. Oder gar gefällt.

      Ich lese meine Texte selbst als Leser. Und denke oft: Ah! In viele Richtungen. Denn eindeutig sind Mythen sicher nicht.

      Sich verschiedenen Strukturen bewusst werden. Mit Mythen erfassen wir sie, wenn wir sie erfasst haben. Denn ganz sicher erfasst diese Struktur zuvorderst mich. Sonst würde mir die jeweilige Mythe nicht viel sagen oder näher bringen können. Wirklich nicht viel. Denn ich trag´ ja nichts an die Mythe heran. Ich gehe in sie, dann, wenn sie passiert. Und erzähle sie dann auf ganz persönliche Weise. Nur so wird sie, wenn auch nur annähernd, vollständig. Lebendig! Und das ist auch das, was ihre Struktur, von der sie erzählt, weiterhin herausbildet und festigt.

      Studium schadet nicht. Kann ja sein. Ich würde auch sagen, ist immer gut da schulisch was parat zu haben. Aber dass sie aufleuchtet, das passiert bei mir immer erst auf andere Weise. Lebensweise.

      Eigentlich kann man diesen Text so lesen: Wie Eine sich diesen Mythos erschließt. Über sich. Mit Hilfe des fiktiven bzw. angenomennen DUs. Erschließt. Paradoxes Wort!

      Versuchen Sie doch mal zu formulieren an welcher Stelle der Text für Sie verschlossen ist. Denn es interessiert mich.

    2. Der Text ist mir insgesamt verschlossen, ich kann mir aber sehr gut vorstellen, wie ich Ihnen folgen könnte, wenn Sie mir das mündlich darbieten würden, mit Gestik, Mimik, an einem echten Ort. Aber ich will nicht den Text als solchen beurteilen, nur weil ich nicht reinkomme, denn eben das halte ich für verfehlt – ich fühle mich einfach nicht angesprochen, es entsteht nichts Gemeinsames, was aber Voraussetzung wäre für ein Textgespräch. (Wenn ich bedenke, wie viele Ihrer jüngsten Texte mir sehr gefallen haben, so ist die Nichtgefallenquote eher sehr gering.) Mein Gefühl sagt mir außerdem, unter diesem Text gärt noch ein anderer, konkreterer Text, von dem alles Beliebige (dem ich nun wirklich, Schlangen hin oder her, nichts abgewinnen kann) dann abgefallen sein wird.

    3. Ist insgesamt ja auch ein versachlichter Text. Kopftext. In der Schreibe. Keiner eine Poesie hervorhebender. Mag vielleicht daran liegen. Obwohl das für mich überhaupt nicht stimmt im Innern.

      Ja, ich weiß, dass Sie das anders annehmen würden, säßen Sie mir gegenüber, wir haben uns ja auch über Texte als solches unterhalten. Und wie das mit den eigenen so ist und dem Leser.

  2. Quelle Wenn man den Text unter den Lasten des Mythos, des plötzlich zustoßenden Schicksals, dem vollkommenen Unsinn des blinden Verhängnisses sich biegen und krümmen sieht, dann wird er selber zum armen Atlas. Und das will er ja auch sein.

    1. @tom Will er das?

      Ich will es nicht!

      Wie meinen Sie das genau? Wäre irgendwie schön, wenn auch konkret gemacht wird wieso. Zumal Sie ein Mann sind, davon gehe ich, aufgrund Ihres Pseudonyms, mal aus, und ihn allein daher anders lesen als ich.

      Ich bin nämlich schon die ganze Zeit davor ihn wieder herauszunehmen. Weil ich ihn selbst heikel finde. Vielleicht noch liegen lassen muss. Aus sicherlich ganz anderen Gründen. Geht mir seitdem er da ist so. Ist ein schwieriges Thema, wobei mich die Last nicht abschreckt. Sich drantrauen. Versuchen nachzuvollziehen. Sich biegen. Wenn es sein muss.

      Und rein nur arm ist er ganz sicher auch nicht. Ich glaube in so einem wie Atlas geht mehr vor. Um einiges mehr sogar. Weil er Atlas ist. Ist der Versuch einen bzw. den Menschen an sich zu verstehen, der oft titanisches leistet.

    2. @ Ihre Antwort kam schnell. Sie haben meinen kurzen Kommentar genau an seinen zwei (paradoxen) Griffen erfasst.
      Nein armselig ist so einer nicht. Es sind Qualen auch Quellen, mehr oder weniger bewusst.
      Kann ein Text etwas wollen, unabhängig von dem, der ihn macht? Es kann kommen, dass ein noch zu verfertigendes Gebilde wie mit einem Schlage, ein Blitz, in der Vor:stellung schon vollendet erscheint. Dann bedarf es der Ausführung, der Anstrengung des Schreibens usw. Am Ende, nachdem die Regeln und Gesetze mühsam gebogen und gekrümmt worden, mag das Ergebnis dem imaginierten Bilde entsprechen. Es gibt Regeln und Gesetze des Textes, möge es auch einen Willen geben.
      Der antike Mythus kannte noch keinen Willen, keinen mathematisch zu erschließenden Raum. Er ist ohne unser eingebildetes Koordinatensystem in einem eingebildeten Seelenraum. Die heutigen Psychologen würden sich an ihm die Zähne ausbeißen.

    3. Der sich biegende Text. Vielleicht auch das?! Der Atlastext. Vielleicht nimmt er ja einfach mich auf seinen Textnacken. Gerade wegen dieser / meiner Heikelkeitsempfindung. Nein, es wäre nicht richtig diesen Text verloren gehen zu lassen. Genau deswegen. Aber es dennoch nicht durch Korrektur vernichten will. Wegbügeln. Die Wogen glätten. Ein Psychologe würde mir dazu etwas klar machen wollen, indem er versucht mich an den Punkt zu bringen, an dem ich es mir selbst klar mache.

      Ganz sicher würden die sich die Zähne ausbeißen. Ich auch. Bin doch nicht lädz. Dazu fehlt mir die Distanz. Und vollständig erfassen kann das natürlich niemand. Außer Atlas. Ich sitze ja auch auf einem Hocker, eine Couch wäre in diesem Fall doch zu bequem, und thematisiere diesen Mythos vor mir her, mit Griff in meinen Nacken, währenddessen, immer wieder. Vor mir Atlas. Den ich mir dann aber doch unwillkürlich als Menschen vorstelle. Körperlich. Nicht steinern. Aber doch mit einem steinernen Schimmern. Subkutan. Mit der Kugel im Nacken, in der Hocke. Nur ich spreche. Er nicht. Nimmt das nur wahr. Nicht etwa weil ich das so will. Sondern weil es so ist. Eigentlich erfasst er, fällt mir auf. Oder der Text. Einen Menschen. Ohne Urteil darüber. Was kein Psychologe durchgängig schafft, im Übrigen. Und sei er noch so gut. Sollte das aber durchkommen, würde er ihn, weiterhin ruhig in seiner Haltung bleibend, mit einer Armbewegung wegschieben. Vielleicht ist das, ruhig in dieser Haltung verbleibend, die höchste Stufe von Aktivität, die es geben kann. Nicht dazwischen zu funken mit sich. Komme darauf weil Sie da etwas Wesentliches angesprochen haben.

      Insofern trage ich an einen Mythos doch etwas heran.

      Vielleicht ist es auch das, was Herr Schlinkert als Beliebiges empfindet. Persönliches. Das wiederum auch nur durchschimmert, durch ihre Sichtweise auf diesen Mythos. Aber aus welcher Perspektive sollte ich / sie es sonst tun?

      Ein Bsp.: Herakles ist als Figur sicher nicht weniger interessant. Aber sie nimmt ihn gerade nur peripher wahr. Er springt entfernt herum. Liegt nicht an ihm. Es ist ihr Unvermögen (zu der Zeit) für ihn gerade Augen zu haben. Für das, was ihn umtreibt. Beschrieben und in Text festgehalten.

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