Ezequiel Morsella und das Schwarze Museum zu Frankfurt am Main. Im Arbeitsjournal des Sonntags, dem 5. Juli 2015.


[Arbeitswohnung, 7.40Uhr

Ob ich wisse, wo P. sei? – (ein Klassenkamerad meines Sohnes): Anruf einer besorgten Mutter nachts um nach zwei; ich beruhige sie. Eine halbe Stunde später SMS des ebenfalls besorgten Vaters: ob ich ihm bitte die Mobilnummer meines Sohnes senden könne. Klar konnte ich, nur daß ich suchen mußte, weil bei mir zwei Nummern abgespeichert sind, deren eine seltsamerweise falsch ist. Er möge beide ausprobieren. Nachts um halb drei: Entwarnung; P. habe sich gemeldet. Da war ich nun so wach, daß ich nicht mehr einschlafen konnte. Es geht einem bei sowas ja doch allerlei im Kopf herum, zumal im Zimmer die Hitze stand.
Ich habe Vertrauen in meinen Sohn, vertraue unserer Erziehung. Und P., so stellte sich heraus, hat sturmfreie Bude. Na ja, da mögen die Burschen alle dortgewesen sein. „Aber weshalb geht er dann nicht ans Telefon?“ Na weil er keine Lust hat. Die Jungs stecken bis zu den Ohren in der Pubertät. „Denkt daran, wie wir selbst früher waren“, SMSe ich zurück, „- und manche von uns auch immer noch sind.“ Auch mein Sohn geht ans Telefon nur, wenn er Lust dazu hat: So wehrt man das Handy als Kontrollmittel ab. Ist doch nicht schwer zu kapieren. Hätte diese Fähigkeit ich doch bloß auch!
Trotzdem ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Was ein Unfug, sich von einer Seite des Lakens auf die andre zu wälzen und immer wieder zurück und noch einmal hin – du hast ja ‘n Knall! steh auf! und setz dich an den Schreibtisch, um zu lesen.
Was ich tat, bis vier Uhr früh, egal ob ich um halber sieben den Backofen anheizen will, in den um zehn vor sieben der im Kühlschrank ruhende Teigling eines testhaft modifizierte Pane vallemaggia soll.
Die Wohnung duftet bereits.
Poetisches, anrührendes, auch wieder ärgerndes Buch, weil die Konjunktive II nicht stimmen. Ein Buch über Eifersucht, nahezu tragisch; dennoch kein Gefühl, das mir nah ist, sondern eines, das mich viel eher befremdet: Ich meine Eifersucht aus Wähnung, aus quasi zusammenbemerkten Indizien, von denen man nicht sicher ist und das auch nicht sein kann, ob man sie nicht herbei- erst –ahnt, also sie s c h a f f t. Verlustnot – wenn die Geliebte, der Geliebte tatsächlich gehen will – ist etwas anderes. Wir begehen allzu oft den Fehler, beides zu verwechseln und nehmen es fälschlicherweise für eins. Das hat einiges Lächerliche.
Dennoch, ich möchte dieses Buch besprechen, gerade weil es – neben >>>> Aragons Blanche – die tiefsten und sinnlichsten Liebeserklärungen enthält, die ich ihn dieser Schönheit je formuliert las. Nur „darf“ ich es noch nicht, weil das Buch offiziell erst Mitte Juli erscheint. Insofern: pazienza, cari lettori! Doch hat man den schmalen Roman einmal angefangen, möchte niemand mehr aufhörn.

Indessen ich selbst gestern tags mit der neuen Erzählung angefangen habe, Das Schwarze Museum; mein tatsächlicher Traum, der die Handlung fundiert, ist nun bereits in ein Aktuelles eingebettet, durch es einfgeführt, das der phantastischen Erzählung Realitätswert gibt, so daß sie sich, kulturpolitisch, sehr wohl auch als Polemik wird eines Tages lesen lassen. Dabei muß ich allerdings eine gewisse Diskretion wahren, die ich nun umspiele. Leider werde ich heute vormittag nicht weiterarbeiten können, weil ich zum öffentlichen Cellovorspiel meines Sohnes will und sollte, um elf am Haus am Kleistpark; gut eine halbe Stunde Radelei.

Ah ja, was ich ohnedies vertrat: „Consciousness has less control than believed“, Ezequiel Morsella – möglicherweise sogar gar keine. Interessant ist die Theorie über >>>> die Gründe der Entstehung des Bewußtseins, also über seine Funktion. Denn daß wir eines haben, steht nicht in Frage. Doch wie schaffen wir die, kantsch formuliert, Bedingungen der Möglichkeit, i h mgemäß Entscheidungen zu treffen? Das wird uns sehr beschäftigen müssen, wenn wir die politische Idee der Selbstbestimmung, des Freien Willens also, nicht aufgeben wollen. Ihn und sie nur zu beschwören, reicht nicht hin.

Guten Morgen. Unter die Dusche und ab.

*

(16.24 Uhr)
Er tritt auf, setzt an – und fängt sein Publikum. Meine Güte, dachte ich, wenn er jetzt noch ein bißchen mehr üben würde!


Sein tiefer, leidenschaftlicher Ton und der sinnlich-elegische, in den Höhen ungemein zarte des feingliedrigen Jinpei Tuchels rissen das Konzert – wobei fairerweise zu sagen ist, daß alle Schülerinnen und Schüler der Cellolehrerin auftraten, auch die, die gerade erst begonnen haben, auch ganz kleine von fünfsechs Jahren.
Die stolze Mama dabei, hier noch vor dem Auftritt des Burschen neben mir sitzend:


(Ich überlege, ob mein nach wie vor etwas krampfiges Getippe auf der Mini-Ersatztastatur nicht sogar der Konzentration auf das Wort förderlich ist.)

Ich sitze in Unterhose am Schreibtisch, in der Wohnung steht die schwammhafte Hitze – wie zuhause, denke ich und meine Süditalien, auch Rom zu Ferragosto. Dummerweise, auf dem Weg zum Konzert, kaschte mich die Polizei. Die Seitenstraße rechts war völlig autoleer gewesen,von rechts konnte nichts kommen, und ich war in Zeitverzug. Also fuhr ich bei Rot. Was ich übersehen hatte, war, daß auf der gegenüberliegenden Fahrbahn, mir entgegenkommend quasi, ein Polizeiauto gestanden hatte. Die beiden Jungs hatten nichts zu tun und wendeten also hinter mir. Sonntagsruhe, aber man kann einem was verpassen. Endlich mal wieder ein Machtgefühl. Der Bußgeldbescheid wird teuer werden, die Strafgebühren sind erst kürzlich angehoben worden. Es gehrt nicht darum zu denken und selbst zu entscheiden, sondern zu gehorchen, auch wenn die Sache selbst ein Unfug ist, den freilich Dumme brauchen. Die nehmen am Straßenverkehr ja auch teil.
Wobei ich finde, daß mir insofern recht geschieht, als ich tatsächlich nicht aufmerksam genug war. Sonst hätte ich die, sagt man das noch?, grüne Minna bemerkt. Ungerecht aber, tatsächlich, ist, daß das Strafmaß gleich verteilt wird, ob man nun 10.000 im Monat verdient oder 600 Euro. Für letztere ist solch ein Bußgeld katastrophal, für die anderen ein Grinsen, das ihnen sagt: Ihr habt genug, Euch muß es ja nicht treffen. Das tut es dann auch nicht. Wer wenig verdient, soll wenigstens mehr leiden.
Egal, ich lasse mir den Sommer nicht vermiesen, auch nicht, daß ich jetzt an der neuen Erzählung weiterschreiben will. Und das tun werde.

[Schönberg, Variationen für Orchester op. 31]


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