Die Ewigkeit hat keine Konjunktur. Freitags, im Arbeitsjournal des 4. Septembers 2015.


[Arbeitswohnung,
8.45 Uhr]

Nein, es geht mir nicht um Kitsch oder den banalen geläufigen Ausdruck, den, sozusagen, möglichst weich abstrakten.
Ich stand an der Pavoni, als er, dieser Gedanke, durch mich hindurchzog.
Sondern die – gleichsam – ewigen Themen meine ich, Liebe, Tod & Sterben, Geburt & Gebären, insoweit sie Wiederholungen von Strukturen sind, nicht ihre jeweilige Realisierung, bei der wir das Reale vor dem SichWiederholenden wahrnehmen – wohl wahrnehmen nur mögen, da uns dies den Eindruck verschafft, eingreifen und etwas ändern zu können, und nicht, letztlich aufs Zusehen verwiesen zu sein und darauf, wie Hofmannsthals Marschallin sagt, „daß man‘s ertragt“. Wir möchten die ewigen Strukturen („ewig“ meint: so lange es Geschöpfe mit Bewußtsein gibt) handhabbar wissen.
Ich fürchte, daß sie es nicht sind. So wenig, wie wir autonom.
Um so mehr suchen wir den Vorschein der Handhabbarkeit.
Auch Leser:innen. Das erklärt ihr Bedürfnis nach (sogenanntem) Realismus und daß man lieber von etwas liest, das man kennt, egal, ob sich darin Retardierung ausdrückt, letztlich Stillstand.
Hiergegen buk ich gestern mein erstes, wieder, Berliner Brot an:


Zum ersten Mal, sehen Sie‘s?, sind mir die wirklich großen Poren gelungen; es gab Anschnitte gestern, in denen sie n o c h größer waren. Dabei habe ich den Teig gar nicht sehr lange geführt. (Die leicht graue Färbung kommt von der Roggenzugabe; außerdem nahm ich zu einem Achtel eine sehr gelbe italienische Semola rimacinata).

Und dieses hier


soll der erste Teil einer Vierer- oder auch Fünferserie sein, in der ich von den ersten Notaten über eine Figur aus >>>> Argo erzähle und dann, auszugsweise, vorlese, was aus ihr wurde. Ich bin noch nicht sicher, ob ich‘s direkt hintereinander „drehe“ oder von andrem unterbrochen.

[>>>> Der Sanfte 2]

Eine Freundin SMSte aus der Ferne, ihr liefen die Tränen, nachdem sie >>>> Die Nichtgeborenen angehört. Und jemand andres schrieb, der >>>> Traumschiffroman sei „fantastisch“. – Peinlich vielleicht, es zuzugeben, aber ich brauche sowas derzeit sehr. Wieder ein ewiges Thema, nie die konkrete Realität. (Was nicht stimmt, aber die „konkrete“ Realität wird gleichsam übersetzt; das Einzelne nur abzuschreiben, ist mir ungenügend; vor der Aufladung schrecken die Leute indessen zurück: is‘ mir bewußt, doch unverständlich. Ich habe den Pragmatismus immer gescheut, mehr noch, rannte und renne gegen ihn an, will nicht moderat leben. Übrigens, fällt mir ein, ist auch der Kitsch ein Element des Moderaten, auch wenn es anders aussieht: Seine regressive Banalität gibt den großen Gefühlen einen Rahmen, aus dem sie nicht herauskönnen; exakt das macht ihn so gut vermarktbar; sozusagen werden die großen Gefühle zur Veranstaltung und auf diese Weise hinwegkonsumiert, und man bleibt alltagsbefähigt.)

Sitze an einem Textchen für mare, >>>> die Zeitschrift, in dem ich Hintergründe meines Romanes erzählen soll, etwas, das Leser:innen sonst kaum erfahren. Nun gibt es zu dem Buch viele Anekdoten, viele Geschichten, aber nur wenig Platz im Heft. So kondensiere ich Satz für Satz. „Etwas sollte noch zum Plot erzählt werden“, schreibt mir meine Lektorin, die Programmchefin stimmt zu, und abermals nehm ich das Dingerl vor.
Jetzt ist es fast fertig.

Ich muß sehr sparen diesen Monat, andernfalls krieg ich für den nächsten die Miete nicht zusammen. Soeben fiel weiteres schon eingeplantes Geld weg. Diese Enge nagt wohl am heftigsten an mir, mehr fast noch als die Ignoranz. Es gibt Menschen, die mich unterstützen würden im neuerlichen Notfall, das ist keine Frage, aber drum bitten zu müssen, mit Sechzig, geht an die Würde. Enge macht auf Dauer klein. Übrigens macht sie auch unattraktiv.
Zudem habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich immer noch mit der free version >>>> dieses NCH-Programms arbeite, das ich längst hätte kaufen wollen, schon aus Fairneß, aber kaufen eben nicht kann. Andere Menschen haben Lebenszeit hineingesteckt, an der ich jetzt schmarotze. Auch das geht an die Würde. Aber ich kann andererseits auf den künstlerischen Ausdruck nicht verzichten, nicht mehr, nachdem ich ein P r o j e k t begonnen habe, egal, wie niedrig die Zugriffszahlen sind. Wären sie höher, ich schriebe das Unternehmen an, ob ich einen Werbebutton in Die Dschungel plazieren soll, als Gegenleistung…. – (Vielleicht tu ich‘s nachher einfach so – um zumindest meinen Willen zu zeigen, auch etwas zu geben.)

Es geht nun auf die „Premiere“ des Traumschiffes zu: >>>> nächsten Dienstag im Literarischen Colloquium. Ich habe persönliche Einladungen, wenn auch als Gruppenmails, hinausgeschickt; erste Absagen kamen.
In Der Dschungel annonciere ich die Veranstaltung nachher. Oder morgen.
Und gar keine Lust auf Musik. Für einen wie mich kein gutes Zeichen.
Nervosität.

(Alter Vorwurf: Man macht mit sich, was man durchmacht, allein aus.
Die selbe Seite des Kitschs:
Conditio civilis. État bourgeois.)

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