Leszek Możdżer & Friends: Sangbarkeit und Rasanz. Jazz in der Berliner Philharmonie Nr. 3.


[Geschrieben für die Frankfurter Allgemeine Zeitung,
dort erschienen am 30. November 2015]


… und wie das schon losgeht!


Ein rasend-rasantes Klaviersolo leitet Możdżers gleich danach sehr lyrisch werdende CD ein – keines des Jazz, sondern fest notiert von Witold Lutoslawski, einem der berühmtesten Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts. So läßt sich gerade dieser Beginn als eine Hommage verstehen, die über die Sparten hinwegweist, in die wir Musiken einzuteilen gewohnt sind.
Genau darauf hat sich das Label >>>> ACT spezialisiert. Schon mit Wesseltofts und Kraggeruds „Last Spring“ legte es eine höchst ungewöhnliche CD vor, deren synkretistischer Ansatz Leszek Możdżers durchaus verwandt ist, wenn auch weniger in der Melodik.


Entstand aber deren, Wesseltofts und Kraggeruds, Scheibe im Studio, so ist Możdżers aus dem Live-Mitschnitt eines Konzertes zusammengestellt, das er am Klavier, und am Baß der Schwede Lars Danielsson, mit dem israelischen Schlagzeuger Zohar Fresco im vergangenen Mai in der Berliner Philharmonie gegeben hat, nämlich im Rahmen der längst umjubelten „Jazz at Berlin Philharmonic“ genannten Aufführungsreihe.
Auch Możdżer geht es um Sangbarkeit. Es sollte nur, so scheint es, mit dem furiosen Lutoslawski die virtuose Rhythmik erst einmal abgehakt und das Publikum aufgeheizt werden. Schon gerät die Nummer zwei, „Praying“, zu einem improvisierten, doch eigentlich Variationensatz über ein Lied, dessen Hauptstimme der ungeheuer elegische Baß gibt. Er spielt geradezu als Melodieinstrument, wiewohl alle Zeit gezupft. Dennoch streichelt er am Herzen – unaufdringlich dabei, doch in höchster und dabei samtener Präsenz. Danielssons Instrument hat einen ganz eigenen, einen geradezu singenden Ton, um den es manchmal schade ist, wenn das hinzukommende Streichquartett allzu standardisierte Klangfiguren unter die Improvisation legt oder allein als harmonischer Teppich fungiert. Da wird‘s schon mal ein wenig kitschig. Doch ließ mich Możdżer perlendes, den Baßklang sehr jazzig durchrennendes Klavier darüber gerne hinweghören, zumal die Musik Stück für Stück komplexer wird. Außerdem leiten die ein wenig zu dauerseufzenden Streicher durchaus organisch in den folgenden Gypsi ein, der sich ja ebenfalls, als quasi Gattung des Folks, aus sich wiederholenden Sentenzen aufbaut. Und Możdżers rhythmische Auflösungs- und Verwandlungszaubereien kühlen die kleinen Süßlichkeiten mit rhythmischem Drive, kühlen sie beinahe aus. Wenn dann abermals der Baß meditiert, als sänge Danielsson in sich hinein, und wenn darauf, vom Schlagzeugbesen unterrauscht, das freitonale Klavier aus dem Geschehen deutlich das Thema herausschält, ist dies ein mindestens ebenso sinnliches wie intellektuelles Vergnügen.
Tatsächlich, bei aller auch spontanen Hörfreude, erschließt sich diese CD erst nach mehrmaligem Hören vollkommen. Dann allerdings macht sie süchtig. Denn nun werden sogar komplexeste Vorgänge zu Ohrwürmern. Auch dies scheint mir eine Eigenart des von ACT vertretenen Jazz zu sein, eines, der trotz seines harmonisierenden Ansatzes nicht als wie auch immer „esoterischer“ Weltmusikkitsch hinauf- und davonschwebt. Statt dessen werden die Improvisationen ständig geerdet, sei es ins schlichte Volkslied, sei es in „Winter Song“, dem letzten Stück auf der CD, in die Arabesken einer unvermittelt orientalischen Harmonik – und sei es eben auch in die moderne „Klassik“ etwa Lutoslawskis, mit der die CD ja anhub. Doch genauso erweisen Możdżer ‘n friends dem Jazzstandard Referenz, z.B. in „Gsharim“, der siebten Nummer dieses Mitschnitts. Ohnedies enden die Stücke insgesamt fast immer vortaktig im Nebenbei, als wollten die Musiker ihre Ideen eben nicht feiernd zu Tode reiten, sondern sie spielversunken einfach nur im Wortsinn durchmusizieren – ohne daß da eine Botschaft wäre, die aus dem Jenseits stammt oder in eines verweist.
Das ist ausgesprochen – nämlich weltlich – erlösend. Ist improvisierend gesagt, was zu sagen war, hört man halt auf und widmet sich dem nächsten Stück. So endet die Scheibe denn auch, geradezu hingeworfen, was allerdings dazu führt, daß man sie sich gleich noch einmal anhören will. Oder man greift, weil ein Zusammenhang lockt, zu Henning Kraggeruds und Bugge Wesseltofts melancholischem „Last Spring“, wonach aber dann schon wieder Leszek Możdżer gehört werden muß. Und so weiter bis zum Abend. Tagelang. Und jeweils bis weiter hinein in die Nacht.

Leszek Możdżer & Friends
Jazz at Berlin Philharmonic III
ACT 9578-2 (2015)
15,99


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        Bugge & Henning
Last Spring
ACT 9526-2 (2012)
29,84 EUR


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