Matthias Hermanns DIE LUFT HIER: SCHARFGESCHLIFFEN in der Werkstatt der Berliner Staatsoper im Schillertheater. (INFEKTION! 2016, 1).




Der Raum ist weiß, wir sitzen auf weißen Bänken; es gibt eine dunkle Empore, auch auf der, wie unten, zwei einander diagonal gegenüber, ein Perkussionsaufbau mit je großer Marimba, mit scharf zu schlagender Trommel, mit Pauke und Glocken; unten, symmetrisch, einander Klarinette und Cello gegenüber, dazu eine Trompete sowie Lautsprecher, die die Klänge syntheziserverändert, bisweilen unortbar, wiedergeben. Auf einer glasartigen Platte, die sie erst am Schluß verläßt, kauert vor den wenigen Bankreihen des Mittelpublikums >>>> Ulrike Meinhof; andere von uns sitzen an den Wänden oder auf erhöhten seitlichen Bänken oder mit oben auf der Empore. Neben mir, wie sich bald ergibt, sitzt Thomas Wittmann als >>>> Ossip Mandelstam, im Stück Der Dichter genannt. Sein Platz ist mit einem roten Kreuz reserviert, aber als ich kam, saß er da schon drauf. Er ähnelt ein wenig, auch in Haltung und Gesten später, >>>> Leander Sukov.
Wir Zuschauer:innen sind fortan wie Beobachter, jenen ähnlich vielleicht, die von 1971 bis 1974 im Hamburg-Eppenheimer Sonderforschungsbereich 115, >>>> Isolation und Aggression, ihre Aufzeichnungen über die (freiwilligen) Probanden machten, die einem nach außen schallisolierten, nach innen schallschluckenden Raum ausgesetzt wurden. Das Programm-Faltheft der Staatsoper zitiert den seinerzeiten Leiter, Jan Gross: „… eine positive Rolle in der Pönologie (Bestrafungskunde) (…), und zwar dort, wo es um die Umerziehung des einzelnen oder einer Gruppe“ sic! „geht (…)“ Ab 1972 saß Meinhof im sogenannten Toten Trakt der Haftanstalt Köln-Ossendorfs ein.
Von dort sind Briefe überliefert, die sie, ihre eigenen Isolationswahrnehmungen protokollierend, an ihren Anwalt schrieb. Auszüge dieser Briefe sind ein tragender Teil des Librettos – neben Aufzeichnungen und Gedichten eben Ossip Mandelstams, der 1938 wegen „kontrarevolutionärer Aktivitäten“ in ein sibirisches Arbeitslager verbracht wurde, in dem er am Ende desselben Jahrs umkam. Außerdem gibt es einen „Dschinn“, der in Hans-Werner Kroesingers Inszenierung leider weniger ein, wie >>>> das Programmheft meint, „fantastisches Wesen, das nie faßbar wird“, ist, sondern als grobkomödiantischer Harlekin daherkommt, zumal mit bisweilen (künstlich verhallten) Geisterbahn-“Uaaahh!“-Rufen und was dergleichen Faxen mehr sind. Obendrein ist er wie ein Geck der Zwanziger gekleidet; weshalb er für, so in dem Programmheft >>>> der Komponist selbst, „Kreativität, Erfindungs- und Manipulationslust“ stehe, bleibt völlig unerfindlich. Anstelle also auf etwas der beklemmenden Szenerie Jenseitiges zu verweisen, nimmt diese Figur der Oper den Ernst, bei welchem Unternehmen ihm drei hier als gemütlos typisierte Laborhelferinnen kostümierte Frauen auch noch assistieren.
Mithin verliert sich das Stück mehr und mehr in einer Groteske – möglicherweise, weil man eben die Zuschauer:innen zu Laborbeobachtern machen wollte, die dann für das Phänomen eines Geistwesens ebenso wenig mehr empfänglich sein können wie für die (als flirrende Erinnerung an Kinderlieder imaginierten) selbst schon depersonalisierten Flashbacks der Meinhof. Zuviel brechtsches Theater also, als daß die Möglichkeit wäre, sich auf die Angst einzulassen: sprich:: auf die Depersonalisierung, der Meinhofs Briefe in möglichst analytischer Distanz den beschreibenden Ausdruck zu geben versuchten. Als sich diese Distanz nicht mehr halten ließ, 1976, nahm sie den Strick –
Olivia Stahn gestaltet Meinhofs vergeblichen Versuch ausgesprochen intensiv – aber gerade darum wäre es geraten gewesen, das Publikum die Distanz verlieren zu lassen – es also empathisch mitempfinden zu lassen. Dann wäre vielleicht auch zu begreifen gewesen, weshalb es gegen Ende des Stückes zu dieser Nähe Mandelstams zu dem Dschinn kommt, der er, Mandelstam, allezeit verloren, wie in sich selbst emigriert, durch die Szene schlurft, imgrunde im Gespräch nur mit sich selbst oder dem, was er einmal gewesen:Genommen habt ihr mir: die Meere, Lauf und Flug,
Und gebt den Schritten Zwang der Erde, ihrer Lehme

(Ossip Mandelstam, Kama, 1935)

Ihn, anders als Meinhof, erreichen die Klänge nicht; statt dessen schreibt er in sich Gedichte – und eine Art Gedicht an die Wand:



Dies, in der Tat, mag ihn mit dem das Kreative, wenn der‘s denn täte, verkörpernden Dschinn verbinden, dessen Erscheinung der um Distanz bemühten Meinhof fremd bleiben muß. Deshalb kann e r auch, Mandelstam und nicht die Meinhof, sagen:Und was habt ihr erreicht? Erfolg und Glanz genug:
Die Lippen rühren sich, ihr könnt sie mir nicht nehmen.

Auch die Schwestern, übrigens, bekritzeln die Wände, erst mit (wohl Versuchsschritte bezeichnenden) Numerierungsstrichen, dann, als Strichmännchen, eine Ge/Erhängte: In diesen Momenten kippt die Inszenierung aus dem Behaupteten sogar ins unwillentlich Peinliche. Hätte man sich auf die Musik verlassen, zu der auch die Geräusche gehören (wirklich beklemmend war, daß einmal, von der Bismarckstraße draußen, ein Martinshorn durch die Aufführung dopplerjaulte), – hätte man ihr getraut, es wäre dergleichen nicht unterlaufen.
Tatsächlich ist die Musik selbst wie depersonalisiert; ein wenig Halt, aber oft schockgleich, gibt das Schlagwerk; die Marimbas schürzen eine Vertraulichkeit vor, auf die doch die Trommel scharf immer wieder einschlägt. Nur in der kurzen Ouverture und den Zwischenmusiken der sieben Szenen läßt sich so etwas wie ein kompositorischer Fortgang – eine Entwicklung – verfolgen; die Klänge erscheinen, nicht selten quasi unverbunden, und oft dann nimmt Meinhof sie auf oder versucht es: Sie antwortet auf die wenigen Außenreize, die außen aber gar nicht sind, sondern offenbar aus ihr selbst kommen:[D]ie ganze Widerstandsenergie [hat] in der absoluten, absolut nicht wahrnehmbare[n) Stille schließlich kein anderes Objekt, als einen Selbst.So zitiert das Programmheft einen der Briefe aus dem „Toten Trakt“. – Die Inszenierung indessen mißachtet‘s. Wahrscheinlich wird die Oper aber schon von der szenischen Konkretisierung-an-sich, der Schwestern und des Dschinns, konterkariert. Es gibt kein Bild des Bildlosen; eines herzustellen, verfälscht es. Statt dessen wären die Innenfiguren ins Innen der Zuhörer:innen zu heben gewesen, anstelle sie also leiblich-wirklich vor sie hinzustellen mit zumal ihren bizarren und/oder typisierenden Faxen. Doch insgesamt vergleichen Sie bitte mit Janáčeks Dostojewski-Vertonung >>>> Z mrtvého domu (Aus einem Totenhaus) oder, zeitnäher, Dallapiccolas >>>> Il prigioniero.
Insofern liegt, bei jedenfalls dieser Inszenierung, das eigentlich Spannende der Oper Matthias Hermanns im – im Wortsinn: – Nachdenken über sie. Freilich dieses | lohnt sich allemal. Und im so wagewilligen wie präzisen Engagement der Musiker – den, neben Olivia Stahn und Thomas Wittmann, eigentlichen Akteuren.



DIE LUFT HIER: SCHARFGESCHLIFFEN
Musiktheater von
>>>> Matthias Hermann

Inszenierung Hans-Werner Kroesinger Bühne Stefan Britze Kostüme Julia Hartung Live-Elektronik/Tontechnik Sébastien Alazet Licht Sebastian Alphons Dramaturgie Regine Dura

Olivia Stahn, Martin Gerke, Stelina Apostolopoulou, Jelena Banković, Ivi Karnezi, Thomas Wittmann
Klarinette: Matthias Glander, Sylvia Schmückle-Wagner Violoncello: Alexander Kovalev Trompete: Peter Schubert Schlagzeug: Matthias Marckardt, Martin Barth, Johannes Graner
Musikalische Leitung Max Renne

Die nächsten Vorstellungen:
8. Juli 2016 20 Uhr | 10. Juli 2016 19 Uhr
>>>> Karten


WERKSTATT



3 thoughts on “Matthias Hermanns DIE LUFT HIER: SCHARFGESCHLIFFEN in der Werkstatt der Berliner Staatsoper im Schillertheater. (INFEKTION! 2016, 1).

  1. Die Groteske versperrt Identifikation ebenso wie Abstraktion.
    Schwierig, mit dieser Form die Verhärtung zu lösen, in der sich das Thema/Trauma befindet.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .