Was oder wer das denn sei, die “Vecia Madüra” (in der Lombardei wird nun mal das u zum ü). Und das mitten in der Ländlichkeit der Poebene irgendwo zwischen Mantua und Reggio Emilia. Unser Guide Antonio (einer, dem es auch in Berlin selbst hauptsächlich darum ging, Gemüsegärten zu besichtigen, und der in diesem Stück Poebene heimisch ist und dort als unser Mitfahrer abzuliefern war (hatte ihn schon in Berlin als Freund Tullias kennengelernt), nachdem ich ihn auf der Fahrt zum Kaiserstuhl am Rasthof Göttingen von seinem Berliner Gastgeber, der zum Bodensee unterwegs war, entgegengenommen) schickte die nunmehr am Steuer sitzende Tullia (bis dahin hatte ich auf den Autobahnen von Freiburg kommend kutschiert) in einem verwirrenden Jetzt-Rechts- und Jetzt-Links-Spiel auf Straßen, die für ein einziges Auto gemacht schienen: meinetwegen links als Alternative ein Graben, um auch nur einem Radfahrer auszuweichen. Der Wind aus dem offenen Fenster jetzt so stark, daß selbst das Bändchen “Dichter reisen zum Mond” dem nicht standhält und dauernd vom Stapel herab auf den Rücken fällt. Wo wir schließlich anlangten bei Noch-Tageslicht, zeigte sich schon ein Dreiviertelmond. Grillabend, Feuer brannte schon im Draußen, das Felder an zwei Seiten säumten. Feigenbäume mit reifen Feigen. Darum also ging’s. Begriffen hatte ich schon vorher nichts von den Spekulationen über die einzuschlagenden Wege. Ich, ein in die Poebene Verirrter. Mehr Gäste kamen und ich mir vor wie der prädestinierte Senior trotz des mit den Leuten freundschaftlich umgehenden und fast schon weißhaarigen Antonio. Auch ein Minihündchen war dabei, hieß Luna, leckte mir schließlich die Füße. Verirrt sich also ein Jüngelchen (man stellt sich gern so vor) in der Poebene, weil es sich irgendwie von seinem Elternhaus auf den Weg gemacht, ohne auf den Weg zu achten. Ein Sümpfchen hie, ein Graben dort. Findet zwar nicht zurück, aber einen Birnbaum. Dessen einzig übriggebliebene Birne ziemlich hoch hängt. Hunger dräut. Es klimmt hinauf. Da aber erscheint die Vecia Madüra mit einem großen Sack. “Ei, ei, so pflück mir doch das Birnchen. Es soll dir drob recht wohl ergehen.” Das Jüngelchen schien etwas zu ahnen, wie ich selber, als das Futtern vorbei war, und man anfing, des Nachbarn und der nunmehr gespielten Instrumente wegen in eine feldnahe und schallsichere, dem Himmel eher zugewandte Seite zu ziehen und ein neues Feuer zu entfachen. Aber das Jüngelchen fiel eben doch in den Sack der Vecia Madüra. Hatte mir auch eine Jacke übergezogen, obwohl das nahe Feuer, in dessen Licht und Wärme ich saß, während ich mich ab und zu gern umdrehte, um den Himmel und den Mond zu beschauen (möchte nicht doch eine Sternschnuppe mir zum Gefallen fallen?), einen anderen vielleicht zum Jackenverzicht verleitet hätte. Irgendwann aber kommt dem Jüngelchen ein Bauer zu Hilfe. Allerdings verliert sich bei mir der Faden, was den genauen Mittelteil der Geschichte betrifft. Jedenfalls kommt ein Hund dazwischen, der der Vecia Madüra die Nase abbeißt. Mir selbst war das stattfindende ewige Geklampfe mittlerweile auch zuwider. Irgendwann sogar Brecht und seine Proletensongs (Tullia hatte sich in einer Schweizer Raststätte (die letzte vorm Gotthard-Tunnel (Hand himmelwärts, als endlich wieder Tag war)) ein Klimperspiel gekauft, das die Melodie der Internationale wiedergibt, sobald man anfängt zu drehen (der Chor der Roten Armee kann’s aber immer noch am besten). Dreigroschenoper. Na klar. Und trotz Überdruß gab ich die erste Strophe vom Mackie Messer zum Besten. Wollte einfach nur ein Bett. Es war nach Mitternacht. Unerfüllte Fluchten fluchten (kurzes u, langes u). Willkommen der Einfall, auch mal “Da Da Da” von Trio anzustimmen. Stimmte gerne bei und dachte, ich geh’ gleich ins Auto zum Pennen. Also, die Vecia Madüra erhielt mithilfe eines Tischlers (!) eine neue Nase, die aber war so lang, daß sie zeitlebens nicht mehr aus ihrem Haus herauskam. Und so starb sie, wie ich dann endlich in irgendeinem Bett, zwar hundemüde nach einer weiteren Irrfahrt, diesmal im Dunkeln, aber dennoch ein Weilchen zeternd über die ‘italienische’ Organisation dieses Abends. Mich versöhnte der Umstand, als erster wach zu sein in einem Ort, der, wie ich später erst erfuhr, Guastalla heißt und wo eine Terrasse mich nach dem Verzehr von bereitstehendem Saft und zwei-drei Keksen zum Rauchen und Lesen einlud. Kühl war’s, aber erfrischend erträglich um sieben, die Füße unbeschuht und ohne Socken, die das Hündchen Luna vom Abend zuvor schließlich auch wieder beleckte. Soweit die Geschichte der Vecia Madüra, die der Bäcker (stellte sich so heraus: seiner nächtlichen Arbeitszeiten wegen) mir am Abend erzählte in allen ihren Einzelheiten. Das phallische Ende: der endlich ausgestreckte Körper. Tags darauf – Tullia fuhr wieder (wir teilten uns die Fahrt fifty-fifty) – sagte ich eigentlich gar nichts mehr, außer: “Amelia”. Als die Silhouette endlich sichtbar wurde. [Umschrift des Titels: La Vecchia Matura]