Contessin, Löwin und Fiktionen. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 7. September 2016. Kein ilb am Abend.


[Arbeitswohnung, 6.08 Uhr
Ein Flugzeug durch die Stille, nach/von Tegel.
Noch bedeckt.]

Die spinnen, die von >>>> wetter.de. Sie titeln „Geht der Sommer gar nicht weg?“ Ich meine, Göttinseid a n k tut er’s nicht. Noch nicht, jedenfalls nicht in den nächsten zehn Tagen, wie‘s aussieht; nicht in Berlin. Dennoch habe ich Kohlen bestellt, vorgestern bereits, die am kommenden Dienstag geliefert werden. Nein, diesen Winter nicht kühl im Raum, meine Männlichkeit hin, meine Trotzigkeit her.

…. haben wir jedenfalls beschlossen, die Handlung, soweit sie in Deutschland spielt, nach München zu verlegen. Spuren verwischen. Zu wenig Adel in Düsseldorf. ‘s war aber nicht leicht, meine Vorurteile gegen München durchzusetzen („viel zu schick und gewollt-schick“, „würde j e d e r nehmen“ – Die Contessa: „Ja, eben drum! Soll doch ein Bestseller werden!“).
Der Chaffeur trug in der Tat eine Mütze.
Sie habe mir ihn und nicht eine Chauffeuse geschickt, weil sie >>>> mein Arbeitsjournal gelesen habe. „Zuviel Machismo, mein Lieber!“ Tatsächlich sagte sie das, mein Lieber, mit diesem spöttischen Ton, der die Nasenlöcher nutzt.
Nun stapelt sich hier Material, stapeln sich Zeitschriften und Magazine der Regenbogenpresse; einen halben Tag werde ich brauchen, um alles zu kopieren, einzwei weitere Tage, um es dann auch zu lesen. Die BUNTE ist nun Pflichtlektüre, zum Beispiel. Dazwischen aber auch DER SPIEGEL, Ausgaben der siebziger bis neunziger Jahre, einer aus der frühen Nachkriegszeit sogar, ich mein‘ den Weltkrieg II (alle Zeiten sind Nachkriegszeiten, leider, Korea, Vietnam, der Iran…). Familiensaga, Buddenbrooks & Kennedy.
Wir saßen fast allezeit in dem Park zusammen; von einem „Garten“ zu sprechen, wäre ein grober Euphemismus. Die Aufgabe wird sein, für München einen ähnlichen Ort zu finden. Ich werde >>>> Benjamin Stein fragen, vielleicht hat er Ideen und Kontakte. Er hat mir ja schon mehrfach geholfen. Der 17. und 18. wären nach Lage meines Terminkalenders zwei gute Tage für die kleine Recherchereise, weil ich sie gerne noch vor Sardinien unternähme.
Und abermals schnob die Contessa durch ihre hübsche freche Nase, ließ mich mittags (Tempura-Garnelen und Flanken eines Loup de mers) nicht bezahlen („Ich bezahle Sie!“)… Wir waren mit der Vespa hingefahren („Der Helm macht Sie perfekt!“ – Ebenfalls Spott?); sie erinnerte an Svenja, als ich hinter ihr auf ihrem Mofa saß: So brauste sie dahin. Nur war Svenja damals fünfzehn, anfangs der Siebzigerjahre.

Rückschau… Rückschau-oh!
Wie alles bereits Rückschau wird…

„Das geht aber gegen den Dominanten in mir“, sagte ich (sie wählte ihr Dessert), worauf sofort sie: „Dann muß der sich halt was einfallen lassen.“ Flinkes Mundwerk, keine Frage.
Von der griechischen Insel nach Cagliari mit dem Privatjet. Sie hat keine Lust auf vier Stunden Anschlußwarten in Athen. Unterdessen ist selbst mir klar, daß ich ihr keine arabischen Absteigen anbieten kann, auch wenn ich mich drin wohler fühle.
Gut, also München. Und sämtliche Namen haben wir nun beisammen und haben viel, sehr viel gelacht. Auch das Grundthema hat nun schon Gestalt, obwohl die Löwin nörgelte, als ich nachts zurückfuhr und ich sie anrief. „Präziser“, mahnte sie. „Was ihr da habt, ist ein Motto, kein Thema.“ Das wurmte in mir so sehr, daß ich sie, als ich in der Arbeitswohnung zurückkam, da war es gegen eins, noch einmal anrief. Womit sie freilich gerechnet hatte. Wir werden heut abend weitersprechen; sie wird herkommen, hat eine Besprechung im >>>> Humboldtforum.
Um 5.50 Uhr auf, nach viereinhalb Stunden Schlafs mal wieder. Laufen gegen zehn.
Vorher die >>>> Kjaerstad-Kritik, die ich eigentlich im Zug schreiben wollte; aber ich bereitete erstmal den Tag nach, übertrug dann die Kjaerstad-Anstreichungen und -Notate in eine Entwurfsdatei. Außerdem saß mir eine unfaßbar schöne Frau schräg gegenüber, um die Dreißig, die ihre Espandrille abgestreift und auf den Nebensitz gelegt hatte, die schnmalen, sehr langen Fußsohlen zu mir. Sie waren reizvoll-leicht verschmutzt, die Zehen konnten sich wie Finger ineinander verschränken. Nein, an einen Footjob dachte ich nicht. Sie verkennen mich, liebste Freundin! Es war das Phänomen-an-sich, eine durchweg ästhetische Faszination. Aber wenn ich jetzt zurückdenk… sanft mit der Zungenspitze den Spann entlang… – Seien Sie seriös, Herr Herbst! Sie sind jetzt auf dem Parkett. (Und sowieso war durch keinen Blick der ihre von ihrem Handy zu lösen. Na gut, ich tat auch so, als würde ich tippen.)
Sie stieg am Hauptbahnhof aus, mit mir. Bloß ging ich voran. Tat restlos ohne Interesse. Dabei holte sie niemand ab. Egal.

Schon klart der Himmel a u f. Laufen (des steht an dieser Stelle wegen der Alliteration) will ich um zehn. Morgen dann wieder Krafttraining. Mein Sohn, der ja ebenfalls trainiert und mittlerweile, mit sechzehn!, drei Zentimeter über mich hinwegschaut, soll nicht bereits auch in den Schultern mithalten können. Man verliert ja jegliche Autorität… ich meine, die Contessa ist schon völlig genug.
Worüber wir, sie und ich, noch gar nicht gesprochen haben, ist das Pseudonym, unter dem unser Buch erscheinen soll. Ich plädiere für einen US-amerikanischen Namen. Wenn man den Markt schon so bedient, will ich auch da vor nichts zurückschrecken, schon gar nicht vor mir selbst. Doch habe ich noch nicht gewagt, es ihr vorzuschlagen, denn keine Frage, sie wird sagen: „Das sind ja alles Bürgerliche!“ Ich seh schon den Abscheu in ihren Augen glitzern. Die können das übrigens wirklich, ich meine glitzern. Nein, Freundin, nicht bloß funkeln. Sondern glitzern wie zwei Facetten eines … Brillanten zu sagen, wäre Kitsch (der gehört in den Roman, nicht in ein Arbeitsjournal)… sagen wir deshalb: „geschliffenen Glassteins“. Kann man eigentlich unterdessen Glassteine synthetisch herstellen, die härter sind als Diamanten? Dennoch ist‘s desselbe Blau. „Aquamarin mit Diamant vermischt“ steht auf der Seite 40 bei Kjaerstad. Und Alf I. Veber ergänzt: „Königinnenblau“. (An anderer Stelle spricht er von Tuaregblau – eine Zuschreibung, die mich sofort beeindruckt hat).

So wird der Tag mit meiner Rezension fortgesetzt werden; dazwischen wird sich sicherlich die Contessa wieder melden, aus der noch nachts, als ich noch im Zug saß, die nächsten Ideen herauswhatsappschnuppten, schnuppten von Stern. „Morgen“, tippte ich zurück und nahm einen der schmalen Füße meiner Schräggegenübrin in die Linke und umschloß die ganze Ferse (Verse!) „Mohorgen, Contessa… Mohohorgen…“

Also erst mal das DTs. Dann Kjaerstad, dann laufen, dann wieder der Contessaroman. Zwischendurch ein Amtsbrief. Und ein Brot backen, der Teigling fermentiert schon im Kühlschrank. Das hab ich nachts nämlich auch noch gemacht, nachdem mein Lievito madre wieder wunderbar aufging: den Teigling geknetet. Also muß es halb drei gewesen sein, als ich zu Bett ging. Die viereinhalb Stunden Schlaf sind übertrieben. Doch ich habe ein Projekt, bin mitten darin. Ich sollte, rein aus Vernunft, einen Mittagsschlaf halten. Um halb sechs kommt die Löwin an, ich mag sie abholen fahren. >>>> Zum ilb, lieber >>>> Ulli Schreiber, schaff ich es heute wirklich nicht. Dabei schätze ich César Aira sehr, habe seine Bücher >>>> schon früh besprochen, bereits, als ihn hierzulande noch gar keiner kannte.

Freundin, bin in Schaffenseile!
Ihr ANH, dem der Unhold ein wenig verlorengeht; doch jetzt wohl sehn ihn die andren besonders.

*

(14.24 Uhr)

Nach dem Laufen 070916


Na bitte, alles >>>> fast schon wieder runter. Knapp vierzehn Kilometer, die Knie ruhig, Körper von Null auf Hundert in drei Tagen. So der Geist. Da muß es keinen wundern, wenn sich auch >>>> die Buher zu Worte wieder melden. Ich weiß ja nun von einigen anderen, auch hochberühmten Kollegen, daß sie ihren Wein (und manchen Joint zudem) mit Ghostwriting verdienen; nur sagen sie‘s nicht offen (und ich bin keiner, der schnell plaudert; eigentlich plaudere ich gar nicht). Doch für mich selbst, da geb ich‘s zu – und arg mit Lust. Ach, meine Freundin, ich war des Klagens über.
Und dennoch, wer von denen da unten findet sich wohl >>>> in einem Lexikon oder in den >>>> Literaturgeschichten, noch wird da einmal hineinkommen? Ich habe ja nun genügend getan, siehe die Liste der Bücher ganz oben, um einmal wieder – wie meinerzeit an der Börse – andere als hochliterarische Wege zu gehen. Die da unten schreien, haben, bevor man sie anhören mag, da einiges noch aufzuholen. (Und daß ich „nebenbei“ an den Gedichten weiterschreibe, übersehen meine Halsschrei‘chen freilich).

Nun aber an den Mittagsschlaf, dann eine Idee umsetzen, die ich beim Laufen hatte, das Brot ins Terracotta und dies in den Backofen tun, noch ein paar Besorgungen machen und dann die Löwin abholen. Doch vorher noch das DTs skizzieren.

*



12 thoughts on “Contessin, Löwin und Fiktionen. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 7. September 2016. Kein ilb am Abend.

  1. Wie ausserordentlich wunderbar … es entsteht der Eindruck, dass Sie jetzt endlich auf dem Ihnen gemäßen Niveau angelangt sind. Und wie toll, dass es mit dem fremden Text gelingt, der ja ausdrücklich ein nicht künstlerischer sondern ein massenwirksamer Quatschtext sein soll.

    So lange Sie über Ihre eigene große Kunst schrieben, diese verkannte, da waren Sie so depressiv, dass ich Ihnen schon einen Platz in meinem Keller einräumen wollte. Jetzt, da Sie diesen Contessa-Blödsinn absondern dürfen, da scheinen Sie vor Lebensfreude und Schaffenseile geradezu zu HÜPFEN.

    So ist die Welt also jetzt doch noch in Ordnung gekommen. Und wie schön, dass die Lösung so simpel war.

    Möge der Hochadel mit Ihnen sein
    Es küsst Sie
    Ihre Adriane

    1. Es ist wie ein Wunder Vielleicht hören wir in den Klatschspalten noch von einer Prinzenhochzeit. Endlich ist hier jemand bei seiner Berufung angelangt, spät, aber nicht zu spät.
      Da kann ja wieder der wahre Namen eingesetzt werden. Herbst, wer kennt schon Herbst?
      Eine alte Diva aus Hollywood könnte sich ja den Namen kaufen samt Mann, das ist da so üblich.
      Bravo.

  2. Überlegenswertes Sehr geehrter Herr Herbst,

    warum sollmuss dieser Adelsroman an der Isar spielen?
    Ich halte das m.V. für sehr gewagt,
    denn…

    1. der rheinische Adel ist von anderem Schlage als der bayerische Adel (insbesondere wenn es sich um ein Münchner bzw. bayerisches Adelsgeschlecht handeln würde)! Dafür ist anderes Insiderwissen erforderlich.
    Wobei ich die Verschleierungstaktik nur zu gut nachvollziehen vermag (schon wegen der Schutzsphäre Nahestehender und des Umfelds der rheinischen Gräfin).
    2. wenn die Handlung rückwärtsgewandt ist und sich stark auf die Nachkriegsjahrzehnte (also 1950er bis 1970er Jahre) bezieht, kommen Sie beim Handlungsort München an der Darstellung der damaligen Münchner Bussi-Bussi-Gesellschaft (in der teilweise auch Adelige eine schillernde Rolle spielten), ihrer Riten und Auswüchse nicht vorbei…
    3. ist ein amerikanisches Pseudonym tatsächlich so passend? Wenn schon Pseudonym, wäre ein osteuropäisches Pseudonym nicht treffender, wie wohl die Story auch davon beeinflusst sein könnte (zB durch Prager Frühling und Kalter Krieg)
    was mich zu der Überlegung bringt:
    4. warum nicht die Romangräfin aus „altem“ Landadel stammend oder aus Osteuropa vor den Kommunisten geflohen auf ländlichen (bayerischen) Besitztümern ausharrend lassen wollend (bis bessere Zeiten kommen, war damals gang und gäbe) – das ist evt. glaubwürdiger und weniger klischeehaft als die Tausendste Münchner Adelsstory, die u.U. wegen der rheinischen Einsprengsel nicht stimmig ist…
    Bei rückwärtsgewandtem Erzählstrang wären mit Verlaub die alten Ausgaben von BUNTE, Goldenem Blatt usw. informativer.

    Dies bitte ich lediglich als Anregung zu verstehen….

    Mit freundlichen Grüßen
    eine Ihnen und Ihrem Werk gewogene Leserin

  3. Die von Spee, ja mei, des is schee! Düsseldorf, Garten, Park gar, Hochadel, ja sollte ER tatsächlich über die Familie von Spee schreiben? Das würde uns gefallen. Und wie eifrig er ist, das gefällt uns ebenso.

    1. Ähnlichkeit zu dem Prinzen Frédéric von Anhalt ist nicht zu leugnen, quasi wie aus dem Gesicht geschnitten der Mann.
      Da taucht eine untergegangene Welt noch einmal auf, hatte der Großonkel nicht auch Verbindungen zum englischen Hochadel? Äußerst delikate Angelegenheit datt Janze.
      Die Zeit scheint reif dafür.

    1. Stammen eigentlich auch die wunderschönen Arztromane, die man unter dem Pseudonym Vandenberg lesen kann, aus Ihrer goldenen Feder?

      „Die großartige Schriftstellerin Patricia Vandenberg, die schon den berühmten Dr. Norden verfasste, hat mit den 200 Romanen um Dr. Laurin ihr Meisterstück geschaffen.
      In der Prof.-Kayser-Klinik hatte sich viel Prominenz eingefunden. Auf der Gynäkologischen Station hatte die Contessa Falcone Zwillinge zur Welt gebracht, und die Schwestern stöhnten über die vielen Blumen, die schon am ersten Tag abgegeben wurden.“

      Das ist doch endlich mal eine Handlung, gelle. Was wird da wohl am zweiten Tag passieren?

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