III, 264 – Erbsen zählen

Er telefonierte. Wahrscheinlich mit seinem Sohn, denn gelegentlich sitzt dort ein heranwachsender Mensch wie en famille. Man hörte auch des vermeintlichen Sohnes Stimme. In der Zwischenzeit legte ich mein Kleingeld für die zwei Schachteln rote YES auf den Tresen. “Che vuoi?” Aber da meinte er gar nicht mehr seinen vermeintlichen Sohn, sondern mein vermeintliches Ich.
Von Vermeintlichkeit kann gut die Rede sein, da sich die Unvermeintlichkeit und Unvermeidlichkeit dessen, was ich tatsächlich mache, in einer Welt der vermeintlichen Realitäten bewegt, die nicht wirklich einem “vermeidbar!” huldigen, sondern vielmehr einer Gleichsetzung von Denken und Tun.
Und so läuft alles seinen herkömmlichen Gang, in dieser Ausbalancierung von Wille und Unvorstellbarkeit, Unwillen und Vorstellbarkeit. Denn, wie Bernhard mich lehrt: es kann auch immer das Gegenteil dessen richtig sein, was gerade zuvor behauptet wurde. (Er ist so nahe dabei, weil, wenn ich denn hier schreibe, meist immer das Bernhard-Pensum hinter mir liegt, das, wie gesagt, eine finstere Höhle ist, in der Worte wachsen, die nur wegen ihrer Länge an gewisse ungarische oder walisische Bahnhofsnamen erinnern, denen man vergeblich versucht, mit der Zunge hinterherzurennen, und etwa so lauten: Selbstverletzungsstrategie. Katastrophalcephalökonomie. (Kalkwerk).
Er vernichtet in einer gewissen Weise das davor liegende Montaigne-Pensum, aus dem ich aber “naturgemäß” (ein Bernhard-Wort) wegen der Zeitspanne und seiner Situiertheit kein wirkliches Spiegelbild zu mir herzustellen weiß, sofern man Sympathie nicht mit einem Spiegel gleichsetzen will, denn Sympathie gilt dem, den man gern sich gegenüber im Spiegel sehen wollte.
Aber auch das ist nicht der Fall. Ginge es nach meinem Bart, ist bald Weihnachten. Oder Ostern. Egal. Auf jeden Fall kann ich den hundertjährigen Kirk Douglas verstehen, daß er nämlich mit seinem Alter hadert. Aber ich las nur die Überschrift. Und überhaupt nur Kurzabsätze jetzt beim Blättern, in denen einmal sogar ich vorkomme:
Einen Löffel für Bruno. Einen Löffel für Pepito. Na, noch einen, noch einen für Caco. Nein, ich mag meine Suppe nicht: das macht groß.
(René de Obaldia: Der Hundertjährige).
Auch bei den komplizierten Tabellen (meint jetzt das andere, das Arbeitspensum) muß ich immer den Schriftgrad herunterstellen, sonst paßt der ganze Quatsch nicht mehr hinein, den beispielsweise Spiegelreparaturkosten-Kalkulatoren berücksichtigen, um herauszufinden, wie viel Unglaube auf das Konto des Glaubenden als Entschädigung dafür zu überweisen ist, daß ihn beim Erbsenzählen immer wieder die eine Sekunde entrückt sein und vergessen läßt, wo er gerade beim Zählen war, und er wieder von vorne anfangen muß.

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