III, 270 – Trägerabgleich

Nehmen wir an, jemand wird unterdrückt, kommt dann meinetwegen nach New York und macht Kunst. Singen zum Beispiel. Das klingt dann in der Trägersteuerungsmodulation so: “Brückenschlag zwischen Unterdrückungserfahrung und Kunstgenuss”. So in der SZ gestern ein Plattenbesprecher. Und meinte eine Frau aus Tunesien. Würde vielleicht in der Tragfähigkeitsberechnung heißen: hie Unterdrückung, da Kunst und beides schlägt zueinander eine Brücke, wogegen nichts einzuwenden ist: paßt, wackelt, hat Luft. Leid und Kunst. Kein Dogma, aber eine Erfahrung. Woher kommt der Genuss? Wahrscheinlich liegt der beim Plattenbesprecher: “geile Stimme!”. Wie die vom Leid singt! Echt! Und schon ‘schlägt’ er, ganz Trägerstromkanal, eine Brücke, die ihn nicht einmal erschlägt, sondern Unterdrückung und Genuss miteinander verbindet. Er wird über genügend Trägersteuerungserfahrung verfügen. Die komischen Worte bis auf das letzte stammen aus dem ‘Großen Wörterbuch der Technik. Deutsch-Italienisch. Italienisch-Deutsch’, erschienen bei Hoepli, Mailand, und Brandstetter, Wiesbaden, 2000. Ich glaube, das letzte Wörterbuch, das ich mir in Buchform zugelegt.
Aber das Blättern dauert mittlerweile länger als das Eingeben eines Wortes in die Suchmaske. Zuweilen aber hilft’s noch. Auch wenn ich mir mal den großen Zeh verknackst habe, als ich nach einem Ehestreit gegen einen anderen Wörterbuchwälzer trat, der grad auf dem Boden lag. Entwickelte sich dann zu einer schmerzhaften Angelegenheit und mußte tatsächlich im Krankenhaus von Narni behandelt werden, wobei ich mich weigerte, mich dorthin fahren zu lassen: den Schmerz beim Treten der Pedale wollte ich alleine aushalten.
Eine Berliner Göre wie die sechzehnjährige Hermine würde da mit den Achseln zucken (und erlaub’ mir ein längeres Zitat aus Gurks ‘Berlin’):
Hermine trat in den dunklen Treppenaufgang nahe an ihn heran und tuschelte: “Der Alte ist erschossen worden.”
“Aber” – sagte Eckenpenn entsetzt – “wie war denn das möglich?”
“Na – das ging ganz schnell. Er war im Schumm, und da hat er immer eine Wut. So kriegte er seine alte Knarre zu packen, ging aufs Dach und ballerte immer runter, mitten mangs Militär – nachher suchten sie alle Häuser ab. Da steckte ihn die Alte ins Spinde, und es wär’ vielleicht so ohne abgegangen, als ausgerechnet eine Patronenhülse – kullau – kullau… unters Spinde vortrudelt. Na… denn haben sie’n auf’n Hof gestellt, dicht neben die Plumpe – und da ist er auch bald alle geworden.” –
[…]
Er sagte schwer: “Es war doch Ihr Vater, Hermine!”
Sie lächelte leichtsinnig und sagte schnippisch: “Weiß man’s? – Und wenn schon! – Er soff; und mit zwölf Jahren hat er mir auch schon nicht mehr in Ruhe gelassen! – Die ‘Alte’ hat schon einen ‘Neuen’. Er sauft auch, aber mehr Nordhäuser mit Odör!” Sie zuckte die Achsel. “Vorläufig stinkt er nicht so sehr. Und die Alte hält’s ja doch nicht länger als’n paar Tage aus!”



Gestern noch ‘Vaterland’ gehört von Konstantin Wecker, dann ‘Daddy’ von Sylvia Plath. Aber im Grunde steckt der Daddy nicht in der deutschen Geschichte, sondern eher(n) im Nordhäuser oder was auch immer. Insofern verlink’ ich weder das eine noch das andere, es stimmte nicht für mich. Sondern nur für einen imaginären, aus der Geschichtsschreibung hervorgegangenen Vater. Daddy-Land.
Und heute schon wieder gemobbt von einem, der mich regelmäßig auf meine geographische Herkunft reduziert.
E intanto si avvicina un temporale…

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