III, 298 – Blowin’ in the Wind

Angenehm der Wind draußen, und obwohl er manchmal recht launisch weht, sind die Nachbarschaften dabei, das Straßenpflaster für die Fronleichnams-Prozession zu schmücken. Sie sprühen Wasser drauf, damit die bunten Gebilde liegen bleiben: Sägespäne, Blütenblätter. Blümchen, Herzchen, IHS. Normalerweise geschah das am Vormittag, aber es soll einen Konflikt mit einer Radrennveranstaltung gegeben haben, von der ich aber nichts mitbekommen, weil ich erst gegen zehn wach geworden.
Denn gestern Nachmittag hatte ich Lust bekommen, eine kleinere Veranstaltung zu besuchen, bei der Jemandin von ihrer Theatervergangenheit zu sprechen verhieß. Die Jemandin war mir erstrmals begegnet, als ich am selben Ort vor Jahr und Tag mal Eigenes und Übersetztes (Hölderlin, Stramm) vorlas: Sie saß am Ende der Sitzreihen, ihr feurig weißes Haar fiel mir sofort auf. Man stellte sie mir vor, sie schien sichtlich angetan davon, plötzlich eine Gelegenheit gehabt zu haben, Gedichte zu hören an einem ganz banalen Nachmittag.
Es folgte auch bald eine Freundschaftsanfrage bei FB und zum Beschnuppern ein Austausch von Nachrichten. Der bestand fast ausschließlich aus Quasimodo-Zitaten. Später entdeckte ich, sie sei die Tochter einer zumindest in Italien berühmten Schauspielerin belgischen Ursprungs.
Nun lebt sie hier irgendwo, hält sich eine Menge Hunde und therapiert die Leute mit Bach-Blüten und Ähnlichem. Was sie sonst schreibt, geht auf Harmonie und Energie und positives Denken hinaus. Unselige Kombination: Hunde, Bach-Blüten und positives Denken.
Gestern hatte sie keine weißen Haare mehr, sondern das zu einem Schwanz geschürzte blonde Haar ihrer Mutter. Und es lag nicht wenig Energie in ihrem Erzählen von Regisseuren und Schauspielern und Masken-/Kostümbildnern. Ausschlaggebend für den Abend war dann das häufige Erwähnen von Luca Ronconi.
Also, alles sehr hübsch. Ein Eintauchen in unbekannte Welten. Willwoll-Ziel erreicht. Noch ein paar Worte – allerdings mit Anderen – gewechselt, darunter sogar eine neue Bekanntschaft: einer, den es aus der Romagna ins Amelia-Exil verschlagen. Hatte neulich mit mir sympathisiert, als ich gegen ein Mussolini-Zitat wetterte (die Italiener seien schwer zu regieren (eine M5S-Sympathisantin schrieb’s, die tags darauf einem Schäuble-Zitat ein “Heil!” voranstellte, worauf ich abermals böse reagierte: die Banalisierung des Schreckens (grüßte mich dann nur noch recht scheu))).
Was also blieb, war Ronconi. Von ihr, der >>>> Vortragenden, fand ich nur eine sehr winzige Probe (ansonsten: sie beendete ihre Theaterlaufbahn mit knapp Mitte dreißig, die sie als zwanzigjährige begonnen, war aber noch in der Aufführung von “Quer pasticcaccio brutto de via Merulana” dabei (ein Unfall, ein Koma, ein Trauma)).
Da von ihr nicht weiter zu finden war, klickte ich mich bis gegen halb zwei durch Ronconi-Youtubes. Vollständig gibt es, erhältlich als DVD, den >>>> “Orlando Furioso (5 Std.) mit der tollen und nunmehr seligen Mariangela Melato (für den August besorgen, den ich mir als frei von Arbeit zu erkämpfen beabsichtige (zumal ich auch beschlossen habe, doch endlich mal den Ariosto-Text zu lesen (im Original)).
Spannender war dann noch die >>>> zweistündige TV-Version von Gaddas Werk, die im Original auch seine 5 Stunden dauerte (bin leider kein Theatergänger, die Aufführung zu meiner Zeit in Rom am Teatro Argentina). Und so ward es spät.
Denn im Gibbon weiterzulesen, wäre eine Zumutung gewesen, gerade jetzt, wo er die ganze Sektierei im frühen Christentum zum Gegenstand hat und ihre Beweggründe. Homousie und Homöusie.
Infiorata und Infuriata:
Die Prozession bzw. “ppriscissione” (Belli), der es windeshalber an Präzision fehlte, ist vorüber. Es roch nach Weihrauch. Stand dicht dabei. Unter einem Baldachin ein in sich geduckter Priester, umgeben von Bodyguards, einer davon trug eine Sonnenbrille, comme il faut. Davor und dahinter jeweils zwei Lampenträger. Kurz davor versuchten die Nachbarsleut’ immer wieder vergeblich, mit Besen ihre Kreationen zu retten. Jetzt, wo’s vorbei, hört man schon die Kehrmaschine der Stadtverwaltung. Wär’s nicht von Dylan, könnte man sagen: Blowin’ in the Wind.

das licht
im gebläu
fleckt wind

es trübt
den blicken
das weiß

ob es das
wisse
verschwieg
das tau

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .