Wo Rettung zu sein scheint. Das Arbeitsjournal des Sonntags, den 18. Februar 2018.

[Arbeitswohnung, 6.15
Rai Radio Classica, Susato Suite]

Echt süß, die italienische Ansagerin deutsche Satzbezeichnungen aussprechen zu hören. So hab ich mich gestern ein bißchen in Rai Classica verliebt und höre den Sender heute morgen wieder, während ich des Dilettanten Text zur KunstvonderWandnehmDebatte kommentiere. Leider „moderiert“ er Kommentare, das heißt, ich kann nicht nachträglich korrigieren. Auch dieses – „moderieren“ ist ein, ich sag mal, euphemistisches Wort – also: auch dieses gefällt mir nicht, weil nur so zugelassene Kommentare immer einen Hautgoût haben, zu Deutsch ein Geschmäckle. Aber das führt auf eine alte Auseinandersetzung zurück, die ich grad nicht neu eröffnen will, auch wenn ich’s hiermit tue; sie hat mich einen seinerzeit wichtigen Mitdiskutanten gekostet, bei dem sich auch jüngst wieder eine kluge Positionierung mit sich ihr anschließender ebenfalls kluger Diskussion findet; zumal ist der Ausdruck „Düsseldorfer Verklärung“ eine Findung mit fast heinescher Spitze.

Erster Latte macchiato, Morgencigarillo.

Ganz geschafft mit dem Frühaufstehen hab ich’s heute nicht; Viertel vor sechs ist indessen okay. Auch wurde ich gestern mit dem >>>> Mammuttext fast fertig. Es fehlen allenfalls noch paar Ergänzungen, und durchgesehen werden muß er noch einmal. Jedenfalls kann er heute raus, so daß ich mich den dringend anstehenden Thetisfahnen widmen kann.

Abends kam Nachricht von meinem Verleger: Sein Vertreter habe berichtet, die Buchhändler bestellten meine Bücher nur sehr zögerlich, eher gar nicht. Man könne den Eindruck haben, sie fürchteten sich vor ihnen.
Solche Bemerkungen setzen mir mehr zu, als sie sollten; jedenfalls war ich hernach ziemlich down, kam dann erst wieder beim Waldorfschulkonzert meines Sohnes zu mir. Dort, also in dieser Schule, mag man mich ja auch nicht, also die Schüler:innen mögen mich schon, aber die Lehrer nicht. Dabei geht es, wie immer, um „Autoritäten“, die ich als Funktion nie anerkenne, tatsächliche Autoritäten indessen sehr wohl. – Wo der, fragen Sie, Unterschied liege? Im Persönlichen. Eine Autorität braucht keine Position, sie i s t. Sie stützt sich niemals auf ein Machtkonstrukt, sondern steht für sich alleine ein – mit allen Risiken – und strahlt dies aus. Sie umgibt die Aura der Freiheit, nicht ein Gitternetz von Regularien – weshalb übrigens die in den #meToo-Böen decouvrierten Männer Autorität nicht gehabt haben, jedenfalls, soweit ich’s überblicken kann, die meisten unter ihnen nicht.
Stimmt, ich sollte auch mal etwas für diese, nun jà, „Bewegung“ schreiben. Meine Verachtung gegenüber diesen Männern ist groß, eigentlich möchte ich schon das „Männer“, und tat es hiermit, in Anführungszeichen schreiben. Denn sie haben eben nicht, was ich lebendig fände, verführt, sondern ihre Machtposition benutzt. Wer, dann, hat die Betroffenen also gevögelt? Sie selbst? Nein, ihre Macht hat gevögelt. Die Frauen sind nicht mit ihnen, sondern mit ihr ins Bett gegangen – um etwas zu bekommen. Das wird jetzt „natürlich“ kaum je gesagt. Aber die sexuelle Benutzung – und Beschmutzung – ist, bzw. war insofern gegenseitig. Ich selbst, für sowas,  wäre als Mann zu stolz und würd auch, wenn ich’s denn wäre, als Machtmann zu stolz dafür sein.
Das heißt nun eben aber nicht, daß ich nicht eine Schülerin, Studentin, Schauspielerin zu verführen versuchen würde, vorausgesetzt sie ist erotisch volljährig und (ver)lockt mich. So habe ich’s bisweilen auch getan, wurde erhört oder abgewiesen oder wurde erst abgewiesen und dann erhört, der „Spiel“arten warn’s viele; egal aber, wie es jeweils ausging, hatte dies keinen Einfluß auf das Verhältnis innerhalb des Lehr- oder sonstigen Auftrags. Eher hatten es diejenigen, die mich nicht abwiesen, etwas schwerer nachher, weil ich an Liebespartnerinnen höhere Ansprüche stelle als an solche, die es nicht sind, oder sagen wir besser: höhere Erwartungen ihnen gegenüber entwickle. – Übrigens habe ich mich auch nie daran gehalten, innerhalb meiner verschiedenen Jobs, keine Verhältnisse mit Kolleginnen anzufangen. Ich erinnere mich großartiger Vögeleien im Büro, zu Börsen- und nachher (für kurzes) Maschmeyerzeiten; welche Spannung da entstand, wenn nebenan noch gearbeitet wurde, die Tür nur angelehnt werden konnte, „man“ nicht gehört werden durfte – welchen Reiz das V e r b o t hatte! Wären wir aufgeflogen, wir hätten aber sof o r t unsre Jobs verloren. Grandios! Also diese Erleben will ich auf gar keinen Fall nicht gehabt haben, ganz abgesehen davon, daß sie mir himmlische Szenen für Thetis, Buenos Aires und Argo geschenkt haben; auch der Wolpertinger ist nicht von ihnen „frei“. – Ob die Buchhändler:innen wohl deshalb Angst vor meinen Büchern haben? Oh, spricht der HErr, fürchtet Euch nicht! selbst m e i n e Kapazitäten sind begrenzt… (Jetzt soll wahrscheinlich i c h mich fürchten: weil ich sowas zu schreiben wage, damit ich’s also nicht abermals tue .)

Und zu den „Pädophilen“. Es wird immer so getan, als wären sie ihrer Neigung wegen schlechte Menschen und haben nicht eben nur diese Neigung. Die Frage ist doch, wie sie mit ihr umgehen. Meine Achtung vor Louis Carroll, Hans Christian Andersen und auch Balthus ist groß. Anstelle den Kindern Schaden zuzufügen, haben diese Künstler eine Form für ihr Begehren, großartige Formen gefunden. Also müßten wir ihren Bildern und Büchern einen ganz besonders herausgehobenen Platz geben, anstelle sie wegzustellen, wegzuhängen. Sehnsucht darf nicht justiziabel sein. Und ab wann ist jemand noch Kind, ab wann nicht mehr? Nicht einmal das ist anders als über ihren jeweiligen Zeit- und mithin Moralvorstellungen verpflichtete Regularien bestimmt, kurz: über Glauben. Wirklich gesichert ist hier nichts und schon von einem zum andren kulturellen Code verschieden. Welcher Code hat recht?
Ich fände es höchst reizvoll, einen Roman aus der Perspektive eines Pädophilen zu schreiben, einen, der seine Nöte und Lockungen erzählt und wie er mit ihnen kämpft und schließlich umzugehen lernt. Nur teile ich diese Neigung leider nicht – „leider“ in Hinsicht auf ein solches Buch -, teile sie  nicht im entferntesten, und wäre deshalb nicht in der Lage, es zu gestalten, oder es würde papieren werden, aus nichts bestehen denn aus Absicht. Wer sie aber teilt, dürfte es derzeit nicht veröffentlichen, es würde sich nicht mal ein Verlag finden, es sei denn einer, dessen Bücher sich allein unter der Ladentheke verkaufen. Die eigentliche Gefahr liegt hier, nicht im Buch. Und n o c h „eigentlicher“ liegt die Gefahr in unter kriminellen, furchtbaren Settings gedrehten Filmen, nämlich solchen, die nur übers Darknet verbreitet werden, der zeitgenössischen Version der untren Ladentheke. Die Tabuisierungswelle, die wir derzeit erleben, stärkt es. Wo Rettung zu sein scheint, wächst die Gefahr.

Aber, Freundin, ich will jetzt an meine Arbeit.

Ihr Unhold

2 thoughts on “Wo Rettung zu sein scheint. Das Arbeitsjournal des Sonntags, den 18. Februar 2018.

  1. Es ist für mich ein Unterschied, ob Kommentare „moderiert“ werden oder ggf. nachträglich gelöscht. Ich mag es auch nicht auf Webseiten zu kommentieren, die mir nach Absetzung des Kommentars mitteilen, dass dieser auf „Freischaltung“ wartet. Das hat es bei mir übrigens so gut wie nie gegeben (einzelne Kommentaren hatte ich kurzzeitig einmal derart zurückgesetzt).

    Inzwischen hat sich für mich die Gelegenheit weitgehend erledigt. Kommentare gibt es bei mir nur noch sehr selten. Bei Ihnen lese ich von Fall zu Fall – und habe da kaum ein Kommentarbedürfnis. So sind mir Ihre Anmerkungen zu Männern und Macht (versus Autorität) sehr einleuchtend. Ich wüsste nicht, was es da zu kommentieren gäbe.

    Nur kurz und off topic: Das Erscheinungsbild des neuen Die Dschungel ist sehr gut. Gratuliere dazu.

    1. Aber bei Ihnen läuft doch grad eine ziemliche Diskussion…. Also von „wenigen Kommentaren“ läßt sich da nicht wirklich sprechen. Übrigens war mein Verleger von Ihrer „Düsseldorfer Erklärung“, zu der ich ihm den Link geschickt hatte, nicht wirklich entzückt, sogar über sie verärgert; ich verstehe seine Position, auch wenn die meine gegenüber der Subventionskultur durchaus gespalten ist, einfach, weil in den Vergabejuries (fast) immer die gleichen Nasen sitzen wie in den „großen“ Preisen und entweder inzestuös oder unter Quotengesichtspunkten gefördert wird, ich sag mal: sozialdemokratisch/anti“elitär“. Letztlich ist das Problem, daß es sich über Qualität nicht abstimmen läßt; eher ist es so, daß, je mehr abstimmen, desto mittelmäßiger das Ergebnis sein wird, halt das arithmetische Mittel. Dabei kommt es dann zwar zu recht wenig Schrecklichem, aber das sich Erhebende wird gleichfalls gekappt. Was ich ich in Hinsicht auf eine gemainstreamte Konsenzgesellschaft sehe, schaut hier schlichtweg in den Spiegel. Eigentlich logisch.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .