Aus Singen und von Hohentwiel. Das Arbeitsjournal des Freitags, den 13. April 2018. Weiter geht es nach Rheinau, zuvor indes zu den Fällen.

[Holiday Inn Singen, 414]

 

Ich habe etwas ausprobiert. Der Raum war – obwohl gestern in dem doch recht kleinen Ort Singen vierzehn Lesungen parallel stattgefunden haben sollen – sehr gut gefüllt. In den freilich ebenfalls nicht großen Saal des hübsche Museums setzte sich ein ausgesprochen aufmerksames Publikum.
Schon tagsüber, als ich mit Oliver Gassner – dem ich 2004 die Möglichkeit verdanke, was ich für Literarische Weblogs dachte, auch realisieren zu können: Er brachte mich damals zu twoday – durch die Bodenseegegend spazierte, war ich darauf verfallen, meine Lesung aus Meere mit einer aus Traumschiff zu kombinieren. Tatsächlich hängen beide Bücher poetologisch zusammen, allerdings aus der Perspektive ganz verschiedener Menschen in sehr verschiedenen Abschnitten ihres Lebens. Fichte steht mitten darin, inmitten aller Kämpfe und Lüste, indessen Lanmeister von ihnen Abschied nimmt. Bei Fichte geht es, wie auch immer, weiter, in Lanmeister endet es. Dem entspricht jeweils der Stil der Bücher.
Würde dies deutlich werden? Werde man/frau die Verschiedenheit der Stimmen hören, vernehmen?
Ich spürte es im Vortrag selbst. Wie ruhig ward mit Wechsel der Bücher meine Diktion! Sogar, sagte später Gassner beim Wein, die Erzählstruktur selbst werde klarer. (Ja, “beim Wein”: Ich habe, Freundin, meine Askese für die Lesungstage unterbrochen).
Was Wunder, daß sie klarer wird! Das neu Hinzukommende langt ins Versiegen, während Fichte noch Auszulebendes neu geschehn wird, etwas, das Meere nicht mehr erzählt, erzählen aber auch nicht muß. Es versteht sich von selbst. Er ist zum Zeitpunkt der Erzählung noch nicht einmal fünfzig, welches für mich, seinen Autor, der Anlaß gewesen, poetisch zum allerersten Mal zu bilanzieren:

Später gab es einige gute Fragen. Die junge Buchhändlerin, die tatsächlich auch das Traumschiff mitgebracht hatte, ging allerdings leer aus – auch für mich ist sowas immer schmerzlich. Woran ermessen wir den “Erfolg” einer Lesung? Täuschte ich mich, und war trotz völlig anderen Eindrucks die Lesung dann doch keiner? Oder ist es so, daß sich Hörer:innen zwar an dem Abend-selbst den Intensitäten aussetzen wollen, zuhause aber nicht mehr? Ich weiß es einfach nicht, schrieb meiner Lektorin vorhin, daß es vielleicht besser wäre, wäre mein Vortrag schlechter: dann vielleicht läse man nach, und frau.
Sie hatten doch alle die Zeit über wirklich still und konzentriert zugehört; es wurde auch hinterher keine Ablehnung, nicht einmal “Kritik”, eher besondere Neugier laut. Ist Intensität also wirklich ein Hinderungsgrund? Freundin, ich bin da wirklich hilflos.

Und dennoch: Welch ein schöner Tag! Nicht nur des Wetters wegen, eines derart klaren, daß ich die nahen Alpen hätte mit Händen greifen können; derart geradezu plastisch erhoben sich sich vor meinen den Horizont bestaunenden Augen:

Wir waren – was Christofero Arco mir dringend hatte angelegen sein lassen – auf den Hohentwiel gestiegen, gleich, nachdem Gassner mich aus dem Hotel abgeholt hatte – ein sehr steiler Hinaufweg; die Feste selbst wurde nie erobert:

Bonaparte ließ ihre Mauern schleifen, nachdem man ihm kampflos den Schlüssel übergab;  wobei ich später erfuhr, nämlich abends vom Direktor des Museums, in dem die Lesung stattfand, daß es ihm um die Mauern selbst gar nicht gegangen war, sondern um die hinter ihnen lagernden Vorräte, die er konfiszierte. Das eigentliche Schleifen übernahm die zu Füßen des Berges lebende Bevölkerung, die über Jahrhunderte unter dem in der Feste hausenden Raubrittertum gelitten hatte. Nun diente die vordem uneinnehmbare Festung als Steinbruch für den Bau ihrer weltlichen Häuser im Tal. Dies lasse sich noch heute an vielen alten zeigen.
Nicht anders bediente sich die römische Bevölkerung nach dem Niedergang der cäsarischen Imperien an Colosseo und Palatin (indessen sich die Neaopolitaner in die verbliebenen Bauwerke quasi hineinbohrten; deshalb ist in Neapel quasi nichts museal).

Wieder auf dem Weg hinab ein Meer aus Bärlauch, ich faßte es kaum: 

Klar, daß ich mich “eingedeckt” habe und nun hoffe, daß sich das Kraut bis morgen auch hält: für abends den mageren Quark.

Von Hohentwiel ging’s dann in Gassners Dorf, Steißlingen, mit privater Führung durch die Gassen und rund um den See, sogar das Wasserschlößchen durften wir beschauen, das in Privatbesitz: ein verwunschenes kleines frühbarockes Gebäude, dessen strenger Wachhund Bonzo mich mit jaulenden Streichelwünschen empfing. Dies erweichte sofort der Bewohnerin Herz.

Danach Beisammensitzen auf der Terrasse, Sabine, Oliver, ich, ein für meine Verhältnisse sehr frühes Abendessen, dann ins Auto und nach Singen zurück. Die Sonne schien so stark, daß meine Glatze Farbe bekam.

Toller Tag jedenfalls. – Nun duschen, zusammenpacken und weiter nach Schaffhausen, wo ich nach 18 Uhr für das Kloster abgeholt werden werde. Nach meiner Ankunft in dem nächste Hotel möchte ich aber erst einmal zum Rheinfall fahren, den ich im Zug vom Zürcher Flughafen nach Singen nur kurz – und zum ersten Mal überhaupt – sah. Gassner empfahl mir eine Bootstour.
Um mich mit weiterem Leben zu füllen:

Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,
Ihn schau’ ich an mit wachsendem Entzücken.
Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend,
Dann abertausend Strömen sich ergießend,
Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.
Allein wie herrlich, diesem Sturm ersprießend,
Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer,
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,
Umher verbreitend duftig kühle Schauer.
Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.
Ihm sinne nach, und du begreifst genauer:
Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.

Goethe, Faust II

Ihr ANH, 9.24 Uhr

1 thought on “Aus Singen und von Hohentwiel. Das Arbeitsjournal des Freitags, den 13. April 2018. Weiter geht es nach Rheinau, zuvor indes zu den Fällen.

  1. Hallo Alban,

    sehr schöner Tag gestern (ich hätte mich heute früh wiegen sollen, bei so viel Bewegung…) und danke für das Fastenberechen 😉

    Bin gespannt auf deinen Reinfall-Eindruck. (Er ist je nach Wassermenge/Schneeschmelze SEHR verschieden). DAS ist Natur.

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