Nebel in Halle. „Zur Buchmesse, auf!“ So riefen soeben, am Morgen des Mittwochs, den 10. Oktober 2018, des Schlummernden Blicke im wie ins Frankfurter Messejournal No.1 dieses Jahres.

[ICE 1638 Sprinter, Berlin-Frankfurt am Main. 7.19 Uhr]
Ungeheures Gedicht, das mich jetzt wirklich dazu brachte, auch meinerseits zu schreiben, anstelle weiterzu- …. nun –schlafen tatsächlich n i c h t; die Nacht ist hart gewesen, ein Bauchkrampfanfall, der Schmerz flaut hier im Zug erst ab. So wäre Gelegenheit, doch noch zu schlafen, wenigstens einzwei Stunden lang. Doch dann dieser Nebel. Aus Halle hinaus ist er im Wortsinn flächendeckend und gespenstisch weiß, weiter als bis zum Bahntrassenrand läßt sich nicht blicken. Der Nebel also. Und das Gedicht:

Melde mir die Nachtgeräusche, Muse,
Die ans Ohr des Schlummerlosen fluten!
Erst das traute Wachgebell der Hunde,
Dann der abgezählte Schlag der Stunde,
Dann ein Fischer-Zwiegespräch am Ufer.
Dann? Nichts weiter als der ungewisse
Geisterlaut der ungebrochnen Stille,
Wie das Atmen eines jungen Busens,
Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens,
Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders,
Dann der ungehörte Schritt des Schlummers

Conrad Ferdinand Meyer, Nachtgeräusche

der mich, dieser Schritt, an Südkreuz einholte; bis S Prenzlauer, dann auf Gesundbrunnens Bahnsteig 7 hatte ich mich noch etwas gekrümmt, des Bauches halber, hinbekommen. In Halle entdämmerte ich wieder, „jeden Tag mindestens ein Gedicht Meyers“ ist eh die Vorgabe, also in den Kindle geschaut, von ihm aufgeschaut – und den Nebel gesehen.

Ich weiß, Freundin, Sie haben recht, ich hatte schon gestern in Frankfurt sein wollen, war auch bis in den Nachmittag unentschieden gewesen, ob nicht eben noch auf einen Zug springen, der Rücksack war doch eh gepackt. Aber dann wär es mir zeitlich zu eng gewesen.
Ein Langzeit-EKG, tags zuvor, ist mir dazwischengekommen, also erstmal die Untersuchung bei der Kardiologin noch im Gefolge der Diagnose vom Frühjahr; jetzt warn fprs Echo die Koronararterien dran. Kein Befund, alles bestens; ganz so hat’s mir gestern im Studio auch Fitquest attestiert. Doch fand sich dann d o c h was. Eine Herzklappe schließt nicht richtig. Beschwerden deshalb hatte ich zwar nie, noch hab ich welche jetzt, aber die Ärztin wollte gründlich sein. Also bekam ich ein Gerätchen umgehängt, mit dem an meinem Körper Sensoren verkabelt, Langzeit bedeutet 18 bis 24 Stunden in jeder Situation, sei’s beim Lauftraining, beim Essen, Schlafen oder ob im Kabinettchen; nur duschen darf man nicht. Und nicht schwimmen, klar. Deshalb zog ich wider eigentliche Absicht das Lauftraining schon vor. Glücklich ist meine Ferse darüber nicht. Aber ich bin’s. (Darüber wäre auch einmal zu schreiben: welch ein Ich das eigentlich ist, außerhalb seines Körpers und also Seiens zu sprechen, gar zu rufen oder trotzig auf etwas mit Freud‘ zu beharren).

Wie auch immer, dieses EKG hielt mich auf, das Gerätchen war auch wieder zurückzubringen. Ich hatte Glück gehabt: Viele warten auf solch einen Termin nicht selten Monate. Für mich lag durch Zufall ein Gerätchen bereit. „Wenn Sie wollen…“ – An Zufälle glaube ich nicht, sie stehen für Unwissenheit über Zusammenhänge. Außerdem hasse ich lange Wartezeiten, will immer auch möglichst schnell Klarheit.
Der zärtlich-bedauernde Blick der Mitarbeiterin, als sie mir ein Stückchen Brust rasieren mußte, weil ein Sensor anders nicht hielt. „Das tut mit so, so leid!“ Und strich zärtlich die geschnittenen Haare beiseite. „Das Gute ist“, sagte ich, „es wächst wieder nach. Ich kann Sie beruhigen, habe Erfahrung damit.“ Wozu sie hinreißend lächelte. „Aber Sie müssen mir versprechen, das Gerät bis morgen allerspätestens neun wieder zurückzubringen. Der Patient dann wartet schon ein Vierteljahr.“ Es gibt auch in der Medizin Situationen der Bürgschaft von Schiller. „Selbstverständlich“, sagte ich drum und hab mein Wort gehalten. Sie selbst war es auch, die die Sensoren wieder entfernte, nun kannte meine Haut schon das zarte Streichen der Finger.
Ich weiß, welch >>>> béartgleiches Mißbehagen auch dieser kleine Abschnitt wieder hervorrufen könnte, sowohl daß ich ihn zu schreiben wage (mir erlaubte ..! ), als auch, solche Wahrnehmungen überhaupt zu machen. Sie sind der pure Sexismus, höre ich rufen, wobei das nicht mal im geringsten stimmt. Es ist vielmehr eine Seismographie des Erotischen, das um uns überall her; selbst solch ein doch eher nüchterner Arztbesuch kann da zur Liebkosung werden, und zwar ohne den geringsten Übergriff, alleine nur durchs Spüren. Das freilich geschlechtsneutral nicht sein kann; es wäre sonst nicht. Man muß sich als Frau und als Mann wahrnehmen dürfen und lassen dürfen. Was offenbar grad nicht gewünscht wird. Die Äquivalenzform will Identität: Tauschbarkeit. So viel Marx steckt selbst in einem Behandlungszimmer, darinnen wir zu zweit.

Weiß weiß weiß – der Nebel hört nicht auf. Hinter Erfurt nun; von hier aus fährt der ICE ohne Halt bis Frankfurt durch. Aber links steigt die Sonne, so daß wir also nach Süden fahren, für ein Stückchen. Um 9.56 Uhr werde ich ankommen, dann das Stückchen zur Messe rüber, ich schätz mal, um halb elf werde ich in den Hallen sein und als allererstes zu Arco gehen, praktischerweise direkt gegenüber Elfenbein. Habe eine Menge Gepäck dabei, das erst abgegeben werden muß; zu Do, bei der ich übernachten werde, geht es dann erst abends. – Übrigens gab es über Ingo Držečnik, Elfenbeins Verleger, gestern ein prima Portrait in der Berliner Zeitung. Darauf werden wir nachher ganz gewiß anstoßen. Und zu mare will ich rüber, ebenfalls in der gleichen Halle. Außerdem wird nachmittags meine Lektorin aus Wien angekommen sein. Zwischendurch noch Phyllis Kiehl, der ich das Plakat des Ungeheuers Muse mitgebracht habe und die es schon mal abholen will, weil ich’s ja an der Gepäckabgabe deponieren muß. Richtig treffen werden wir uns zu andrem Zeitpunkt dieser Woche.

À propos noch Béart: Gestern zwei Profilfotos und eine Kurzbio an diaphanes geschickt, der endgültigen Fahnen sollen mich am Donnerstag erreichen, müssen indes schon am Freitag in der Redaktion wieder zurück sein; da werde ich also auf der Messe mir etwas Korrekturzeit nehmen müssen, und w i l l’s auch.

So, noch anderthalb Stunden. Lesen Sie in ihnen Meyers Gedicht noch einmal und lassen Sie zu, von welcher Größe es ist! wie er nur einmal einen Reim anschlägt, sonst Reime aber wegläßt, doch sind sie, wie alles auf der Tonalität des u-Lautes gründet, dennoch für uns da:

Melde mir die Nachtgeräusche, Muse,
Die ans Ohr des Schlummerlosen fluten!
Erst das traute Wachgebell der Hunde,
Dann der abgezählte Schlag der Stunde,
Dann ein Fischer-Zwiegespräch am Ufer.
Dann? Nichts weiter als der ungewisse
Geisterlaut der ungebrochnen Stille,
Wie das Atmen eines jungen Busens,
Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens,
Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders,
Dann der ungehörte Schritt des Schlummers

Das ist meisterhaft, Freundin, ist ganz ganz ganz ganz groß!

Ihr ANH

[10.54 Uhr
Halle 4, Gang E, F 83 & 84:]

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