Die Brüste der Béart, No XXIII: Hymnus. Erster Versuch, komplett. (Die Brüste der Béart 28).

[Arbeitsvornahme war:
Die strikt hexametrischen Verse gegen den Rhythmus zeilenbrechen, sowohl nach
Klang als auch nach Sinn. Dieses ist der erste Versuch, dem –nach anderen und/oder
zusätzlichen Kriterien –sicherlich weitere  folgen werden. — ANH, 25.11. mittags]

für Sascha

Füße liegen eben viel zu weit weg vom Kopf.
(Senmotic, Barfußschuhe1)

Pied sis donc l’ordre et triumphe du cors.
François Sagon, um 1530

Sinke, ach absinke niemals, Gewölb dieses Fußes!
Vielmehr laß meinen Blick
in seiner Schönheit sich ausruhn, Béart,
Aufwärts zur griechischen Zehe der Göttin gerichtet,
dabei rechts meine Wange der Faszie eingeschmiegt,
gehen dem, zart tastend, Voyeur
intensivste Stunden der Zugfahrt dahin,
den Du, wie da von Dir selbst, nicht bemerktest,
nur spürtest, nachdem Du hinter Spandau bereits |
die Espandrille Dir abstriffst

Wie sie da rührend, die Sohlen,
verschmutzt waren beide, am Ballen
und an den erdnahen Polstern der Fersen,
da wo Du sie, gehst Du, aufsetzt … |
Ach, wie ich sie unüber-, hoffe ich, -griffig erkunde!
Ahnst Du auch dies nicht und aber verspürst es,
mein streichelndes Tupfen,
gleitendes Lieb|kosen der Blicke?
Nicht einer, der lassen kann von der Knöchel
Herausstehn grazil porzellan‘ner Noblesse,
noch von der Fersen geriffelten Graten,
dem Absatzsamt weder, noch den
wie Kissen für Elfen geflachten,
zur Dämpfung des Tritts,
federnden doppelten Polstern der Ballen,
die länglich sind, jene, fast in der Form einer Niere
zum Fersenbein aus|gestreckt wie selbst eine Sehne,
ein aponeurosisches Bündel zum Außen|rist,
doch nur dämpfen, die Wölbe nicht spannen
von Kahnbein zu Keilbein –

Drin in der Fazie, Béart, sehe ich Dich unterm süßen
Schmutz reizend ruhen und mich ihn ihr ab|waschen,
der halb liegenden, halb in dem Sitz
dösenden Frau, die im Schoß | die Magazin-
seiten kaum aufmerksam umschlägt
im sie wie alle uns sinnenden Reisenden
um|schlagenden Zustand
stumm transitorischen Fernwehens:
Zeit wird dem Fahren Gelee,
da wir es unbewußt spürn,
wie sie uns langsamer ward,
wie wenn schon hier, im ICE, sie ganz stillstünd
und nicht | unfühlbar nur nach Nanosekunden
So teilen sie Götter | Vorhängen gleich,
durch die wir treten, als wär sie das Rotmeer,
testamentarisch, Homers,
und es führt uns verheißend ins drei|unddreißiggelenkige
Land meiner männlichen Huldigungssehnsucht,
die uns gleich Proton, dem Ersten, τὸ πρῶτον,
zwar nicht, aber wie acht|undzwanzigfach sie, die Protona,
ἡ πρῶτη, uns bindet:
kreisende Drohnen um Sternhaufenzentren,
die unendlich schweren Löcher aus Schwarz,
Origines du monde des orphischen Dunkels,
das uns empfängt und entläßt und entläßt uns,
die योनि, doch nie, die, die uns formte,
bis daß wir zu atmen bereit warn

– als शक्ति aufsah

„Die Fahrkarten bitte!“

und schon ihre Füße vom Sitz nahm,
leicht in der Taille gedreht |
Ihre Zeitschrift legt‘ sie zur Seite,
um nach dem Ausdruck des Tickets zu fingern
und als es gefunden auf|gefaltet
der Bahnkontrolleurin zu reichen,
die es, nach einem Blick auf die bahncard,
schon scannte und wieder zurückgab,
darauf zu mir sah, für einen Moment fast zu lang

– ob sie spürte, ehe auch meines gescannt ward,
sie habe Anteil, Béart, trotz ihres ungeschlecht-dumpfen,
so absichtsvoll genderneutralen Schuhwerks, an Dir
und dem weiblichen Recht auf die männlichen Pflüge?
Ach dieses un|orphischen Schwarzes frigider Kontrast!
Von dem erlösten mich erst | Deine zurück auf den Sitz
locker gestreckten, weiterhin unbekleideten Füße
Ferse erneut über Sprungbein,
kräuselt der spielenden Zehen Anschlag die Luft
gleich pianistischen Finger|kuppen, die in der Leere
sich üben und i n sie die F a r b e Schwarz tupfen,
die als kaum hörbarer Hintergrundklang
unter der Welt liegt, auf dem sie ruht,
wie ich träumend das, ungefähr, Tonintervall
unversehens der Falte des linken,
in Runzeln gekräuselt, Fußsohlenballens vernehm

– einen spielenden Spalt, der nicht spaltet,
Hautwurf, der schon
in die Faszie geglättet zurückschmilzt,
worin nachtrote Chakren vibrieren,
ein Lichtrot des Dunkels auch sie,
hauthell das fleischhelle Schwarzrot
der Schöpfung darübergespannt,
blaßrosenfarbig die Seiten,
da wo sie mit Ballen und Zehen
und mit dem Polster des Fersenbeins
ihmzugehörig das Land, von dem sie lang
kaum jemals lassen, sich erdend berühren,
sei’s denn für Schlaf und die Fahrt |
und für mein preisendes Schauen,
da diese Frau ja vielleicht |
doch mehr als ahnt, wer sie ward,
und sie genießt es, genoß die Erbetung, Béart,
nicht Ergebung, sondern das zarte
Bewundern-aus-Stolz ihrer Schönheit,
der Füße unfaßbar kunstvoll gestalteten,
sinnreichen, lichthaft erleuchtend,
bebend von Lebendsein, Eben|maßes

– da bremst‘ er, der Zug, plötzlich scharf ab,
jähe inmitten der ruhenden Felder
Alle schraken wir Reisenden auf,
ja es rutschte vom Tisch fast,
hätt ich ihn nicht noch, Béart, | gefaßt,
der Tetrapack Milch – unmüder Männer,
mußte ich hochschreckend denken und lachte
hell und recht hörbar | auf,
sah zur Seite und lachte noch einmal,
nun aber Dich an, die wirklich da hersah
und mich sah, nur kurz, lächelnd, doch wissend diskret |
flugs zurück ihren Blick arglos zur Zeitschrift,
jedoch Deine Füße ein z u kleines bißchen
noch mehr gereckt

Als verbäten sie sich die Massage beendet,
schloß sie die Augen sogar
und streckte die Zehen so fordernd,
daß sich das Neben|chakra des Herzens mir blößte,
des ihren, aufstrahlend zu den zehn Kronen,
ein Perlmutt die Nägel, auf jedem
einzelnen Zeh matt poliert  –

Ich gedachte, Béart, unsres Treffens,
zwanzig Jahr her oder mehr?
als ich Dich – nicht etwa bat,
sondern Dir ab|forderte, unter dem Tisch
im belebten Speise|lokal Deinen Fuß |
mir in die Höhlung der Hand

– „Habe Vertrauen“  –

zu legen

– Wie hießest Du damals?

– und hattest’s  –

– um uns das Stimmschwirrn, die seichte Musik,
das Klirrn der Bestecke auf den Gedecken

– und schlossest die Lider genauso wie jetzt,
als Dir der Leib insgesamt in die Ferse hineinfloß,
und m i r nicht sich Deine Seele | hingab,
sondern allein meiner Hand, wie einer mantelnden Haut,
die nicht mütterlich war wie die Delphys,
Mutter gewordener Vater vielmehr,
der er nichts als zu fühlen t a t und als d a|zusein
bloß als Dich haltende, bergende Höhlung,
kosend alleine vermittels des leichten,
doch unverwandt Drucks
der Finger|kuppen am Knöchel,
von Dir kaum gemerkt, nur empfunden

jenseits des Kellners, der da servierend als Weltlichkeit kam,

jenseits der Zugfenster hier,

hinter | denen die Welt,

anderer Zeit gleich vorbeiglitt, als wäre sie andere Welt,
was sie auch war, nicht mehr die unsere,
bis sie am Fahrtziel es wieder würd,
neu durch die Schleuse des Bahnhofs betreten,
die dann von uns | aller Entrückungen Hingabe wüsche,
Deiner wie meiner, dem mir in der Hand,
zu der mir die Augen während des Fahrens geworden,
allein noch Dein Fersendruck bliebe
und eine Spur Deines Hautduftes,
weil sich die Poren geöffnet hatten, vertraulich erregt,
als Dich mein Blick wie die Hand, | ihrerzeits in dem Lokal,
barg und Du abermals seufztest,
Seufzen von Atem nicht, nein epiderm:
fersenauf Wind, der bis zum Nacken die Haut,
eilend, wie zitternd, durchböt,
v e r s auf, Béart, parasympathikotones Erzucken,
spastisch beinahe, der Zehen | Beuger und Zieher,
momenthaft,
da meine Augen am höchsten, fast,
Punkte des Ristes verharrten, Widerrists schier,
ohne Sattel die Beine dem Leib des nervös
tänzelnden Fußtiers

– arabisches Vollblut, ich spür Deine Flanken,
o Metatarsen!   –

angeschmiegt,

hauchdünn darüber ein Beben,
kraftvoll bereit für den Lauf,
der mich abwürf in meiner Versenkung,
fordernd wie Stürme: So beuge dich vor,
bis dir der Mähne flatterndes Peitschen
durch das Gesicht fährt! ̶

„Möchte hier jemand einen Kaffee?“

Das Wägelchen stoppt‘, da Du lächelnd

– und hobst

„Gerne, ja ich“,

Deine Hand –

um ihn batest, die Füße vorüber-
nein!: eben n i c h t – gehend entspannend,
flog neu her von Dir | zu mir ein Blick,
der mir, Béart, w a s wollte sagen?
Gönn mir ein Ausruhn? Und:
Laß die Distanz mir und bleibe diskret?

„Zucker?“

„Nein danke, nein auch keine Milch.“

Vorsichtig nippt sie, schaut in die
Zeitschrift zurück, | ich in mein Buch

Es vergehen lange, sehr lange Minuten,
bevor ihr die Augen sich neu | schließen,
so daß sie empfänglich erneut für mich war,
ihren Fuß, nunmehr den rechten,
von ihr fast gelöst ein Geschöpf für sich selbst,
anlockend wölbte,
getrennt von dem Schläfchen der,
meiner darin | uneingedenk, beinahe liegenden Frau,
doch verknüpft | mit ihrem Zwilling, dem,
ruhend wie diese, zuvor | so liebkosten Schwester|fuß,
dessen Zehen davon | vielleicht noch erschöpft warn
oder er wünscht‘ sich des andren Vergnügen,
dessen Vollendung gar nicht erstrebt ist

Das wissen wir beide, die schlummernde Frau
wie ich auch selbst,
sondern der Reize Verzögern | – Behagen
mehr drum als tatsächlich Wollust:
wie Kätzinnen schnurrend sich dehnen,
wenn wir ihnen den Bauch | streicheln,
und windend sich rollen,
dann aber urplötzlich zu|schlagen,
bevor das Behagen brünstige Hingabe wird,
Überwältigstein also, das zu | lüstern die Fluchtgrenze aufhöb
und unklug Verletzung risikierte, Schä|digungen, Libuse –

So also, Mann, bleibe beim Blicken: Piropo der Augen,
einhundertsiebenfach wortlos ihr πύρ
über der Sohle Tastrezeptoren
nur leicht | hintupfend, Luftküssen gleich,
zärtlichen, tausendfach un|metaphorisch gefühlten Metaphern,
die du danach | auf ihr verteilst | und ins Gewebe,
sanft ihn, den Fuß, salbend, erst des Gewölbes, darauf,
ballen|aufwärts massierend, verreibst,
beidseits die Flanken | nun hoch zum Spann,
der er bläulich von Adern als pulsende Grate
lockend durchzogen ist:

Wie ich dem nachfuhr, ihnen voraussann!
Luftwesenartig vernahm ich Dein Seufzen,
darinnen der Herzschlag anstieg,
ein leichtes, fast helles Zerfließen,
in dem Du ertränkest, wenn ich nicht achthätt,
Dich auflösen würdst | in meiner Daumen
Kuppenliebkosung der Chakren,
wo Geist | wieder ein Fleisch wird,
flüsternde Körperberührung der Seele
und zwischen den Zehen | bebendes Atmen, Béart,
das ich erlausche, indem | ich es verspüre,
minutenlang Trance –

“Ist hier noch frei?”

Das ließ mich auf|blicken.
Die Frau nebenan war, und lächelnd,
ein|genickt, | wie wenn mein nichts
als schauendes Spüren sie in den Schlaf
wirklich gewiegt | hätte.

“Ja sicher.”

Daß wir erneut | standen,
das hatte ich gar nicht bemerkt,
räumte ein wenig den Tisch von mir frei,
schon in Kassel, ahà, | warn wir.

Von draußen herein
drängten sich Reisende weiter,
bis sich die Türen verschlossen,
ihr warnendes Fiepen die Fortfahrt
signalisierte,
so daß aus den Gängen allmählich
die Koffer | hoch auf die Ablagen kamen
Im Sitz längst der Mitpassagier,
der er mir fortan den Blick | stören würd,
abschätzig musternd den, der sich traut,
mutlos entwerten: aus Feigheit korrekt

Aber Du schliefst ja, entgehn würd Dir nichts,
auch nicht dem Traum, der Dir vielleicht
anders intime Genüsse entbot,
deren nicht ich | länger Kurier war,
Béart, noch Vermittler ˗
Doch, dacht ich, schliefen denn s i e auch,
die weiterhin für sich

– und mir durch die Fiktion
der Liebkosungen näheren beinah als Dir –

ruhenden Füße?
erwarteten nicht | weiteres Anrührn?
das uns der Zughalt gestört,
uns die Versenkung entriegelnd, die
unsrer Innigkeit nahezu autoerotischer Grund war?
eines | Wesens, zusammengetan
Liebenden gleich, | wenn sie zu zweit
selbst in der ravenden Menge nur sie sind?  –

In meinem Seitenblick aber,
dem Winkel des Auges, das kurz nur,
um nicht dem Mann gegenüber
bemerkbar zu werden, fast ziellos
hinsah, geradezu fliehend,
gab nicht mal ein Zucken der Zehen,
nicht die sich auf|spannende
Wölbung der Sohle mir Zeichen,
und so entglitt gleichfalls ich |
fast bis zur Ankunft in Frankfurt
aus meinen s e l b s t mich vergeßnen Imagines
in einen Schlaf, der s i c h selbst vergaß
bis bald w e i t über Fulda hinaus,
wo Hanau bereits als ein Schemen
am Fenster vorbeizog,

–  als wirr

inneres Schellen mich auf|schreckte,
und Offenbach nahte | Du warst in Fulda,
begriff ich, Béart, da schon hinaus,
mit Dir der Schritt Deiner Füße,
die sehnige Streckung des Gangs
und wie sie abrollen, federnd
das espandrillene Preßstroh.
Wär ich doch, ach, ihre Stoffhaut gewesen,
hätt ich doch da | P u m p s Deinen Füßen
̶  ein jeder ihr Dom  ̶  anpassen dürfen,
stiletten die Absätze je Minarett, und ich Muezzin
preise, Béart, Dich von oben:

الإلهة أكبر!

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___________________________________________________________

[Achtung!
Es irrt, wer meint, der das Gedicht beschließende Ausruf
sei islamisch, gar islamistisch. Tatsächlich ruft er die Frau an,
vermutlich in Erscheinung der αῖα oder als शक्ति. Eigentlich ist er
deshalb – blasphemisch, weil zutiefst pantheistisch. Folgen Sie
einfach unterm Arabisch dem hier wiederholten Link.]

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Béart 27 <<<<

7 thoughts on “Die Brüste der Béart, No XXIII: Hymnus. Erster Versuch, komplett. (Die Brüste der Béart 28).

  1. sie haben einen bereits vergüteten auftrag nicht erfüllt, um solchen quatsch rauszuhauen? dann haben sie geheult, weil sie kein geld haben?

  2. @Schrei Bert:
    Inwiefern Quatsch? Sie müssen das Gedicht nicht mögen, gar keine Frage. Aber wenn Sie es werten, sollten Sie argumentieren: inwiefern Quatsch? Welche Kriterien legen Sie an, inhaltliche (was ich annehmen), formale oder welche auch immer sonstigen. Ohne Argumentation ist Ihr “Beitrag”, im Netz, pures Getrolle oder halt eine persönliche Geschmacksäußerung. Als Quatsch wurde in der Kunstgeschichte schon vieles bezeichnet, das Quatsch nicht war. – Aber wer weiß – vielleicht wird Ihr Kommentar Anlaß für dann d o c h ein Gespräch.

  3. Ich glaube kaum, daß sich daraus ein Gespräch entspinnen kann: am Tresen trinken alle immer nur ihr Bier und sagen ständig: “Das ist mein Bier!” Immerhin das Auge im Spiegel hinter dem Tresen als Fragezeichen wahrnehmen, nicht selbstgerichtet (was immer schwierig ist), sonders fremdgerichtet.

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