III, 412 – Alberi pizzuti

Decisamente abgesunken in einen dunklen Herbst und seit vorgestern mit Feuerchen im Ofen. Kommunikation über den Bildschirm ohne bestimmte Adressaten, nur um festzustellen: Es funzt. Direkte Kommunikationskampagnen, also die Suche nach einem Ansprechpartner, gibt es nicht. Es liegt mir auch nichts daran. Ich wüßte den Kommunikationsanspruch nicht zu begründen. Manchmal sogar die Zögerlichkeit, die Beträge für fällige Rechnungen abzuklären, um sie dann auszustellen (emettere, spegnere, esporre; ein Wort wie “aufheben”: raccogliere, sospendere, conservare). Und nicht mal lange Briefe schreiben. Das Außen außen vor, verbannt in Vorstellungen von einem “Jenseits der Ringautobahn”, die er sich als Heiligenschein aufsetzt, sobald er sich wachruft Gespräche, die mit ihren changierenden Wellen ins Immergleiche verwässern. Das Rauschen einer ans Ohr gehaltenen Muschel. Ohrmuschel, Mundmuschel (man warf mir zu nuscheln in der Jugendzeit oft vor), ohne daß sich etwas mauschelt. Mit der Posaune eines wollschlägerschen “Ich bin eine Insel” den falschen Ton treffen: ist gar nicht von ihm (immerhin gibt es “Die Insel” – sein Buch über Schmidt, Arno).
Sie, die ich eigentlich (nicht) anrufen mochte, war’s, die mal sagte, sie hoffe auf lauter Inseln. Sich anzuhören, man erleide ständig Unrecht in der Welt, ist zwar nicht unerheblich, erhebend aber auch nicht. Aber auch Geburtstagsfelsen sind eher öde Eilande, als daß man sich auf ihnen tatsächlich wohlfühlen könnte. Die Verve-Brandung der Worte, um dann abzusacken wie damals an der felsigen Küste bei Dubrovnik, wo dich fast schon das Gefühl ergriff, es ergreife dich das Wasser in seinem mächtigen Abwärtsdrang. Die Hände waren kräftig genug, jedennoch.
Schlichte Konstatationen das. Gelegentlich will Depression sich als Diagnose hervorwagen, was mich aber wieder negationslustig werden läßt. Und es geschieht ihm nicht umbsunst, daß er sich jetzt zum Untermalen der Notizen die Gruppe ‘Kraftwerk’ erwählt hat. Fahr’n, fahr’n auf der Ringautobahn. Reißzwecken spazierenfahren. Und wie absichtlich aussäen, so daß sich ein Reifenpouffe ergibt. Ich kann mich an ein Buch erinnern, das damit beginnt, daß Reifen aufgestochen werden. Vergebliches Suchen jetzt im Halbdunkel (die beleuchtete Schreibtischinsel) in der Ecke mit den O- und Q-Autoren (und Beiseiteschieben des Sofas), wo ich es vermutete, weder Obaldia noch Queneau noch O’Brien. Oder einfach mangelnde Sorgfalt und zu flüchtiges Überfliegen der jeweiligen Incipits.
Rilke hilft da mit seiner Negierung des Hausbaus nicht weiter, und Pizzuto stempelt mich indirekt zum Briefmarkensammler, denn, wie er im Interviewbuch sagt, wer Pizzuto verstehen wolle, müsse von seiner Philosophie ausgehen [der Mann hat etwa den gesamten Kant ins Italienische übersetzt; zentrale Figur auch sein Philosophieprofessor in Palermo, seiner Heimatstadt: ein gewisser Guastella]. Sonst habe es keinen Zweck weiterzumachen, denn man sage zwar, ok, “narrativer Indeterminismus”, aber wenn man nicht die Grundlagen sehe und diese logische Kohärenz, die zur Poesie des Seins führt, dann entgehe einem Alles, werde zu einer Caprice, zu einer Luxusästhetik. So wie es diejenigen gebe, die Briefmarken sammeln… Hab’ ich tatsächlich mal.
Autocoscienziosamente registrando, als könnte er mir in die geheimsten Falten meines Erinnerns folgen. Fast wie ertappt. Dennoch kantlos, philosophieverwaist die Schlittschuhe wieder angeschnallt, umspielt von einem “algido”, das so eisig wie ein Speiseeis im Kontakt mit der Zunge, Eisberg in der Waffel. Spitz ein iceberg [sic! in ital.] pizzuto, ein spitzer Eisberg, spitz wie die für Friedhöfe charakteristischen spitzen Bäume, die Zypressen, geht man zu ihnen, hat man eine der vielen Metaphern fürs Sterben: “andare agli alberi pizzuti”, Pizzuto:

Nach einem Logis in bescheidener Bucht zurückgekehrt zu den effusiven Farben wie weißer Jasmin für das Brackige, durchzogen von rhombischen Formationen, die immer in Bewegung sind. Baldige Heimkehr zu seinen Zipperleidenden. Was für Treppen, und Abscheider, nach endloser Reise ausrollend sich entknospen auf hellen Terrassen.

III, 411 – Cavolini di Bruxelles

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