[Arbeitswohnung,10.15 Uhr]
Seit halb sechs auf – nicht disziplin-, sondern schmerzeshalber.
Es ist wirklich ärgerlich. — Gestern vormittag, Schönhauser Allee-Arkaden, ich auf der Rolltreppe, will überholen, bleibe an einer Stufe mit der Schuhspitze hängen und stürze. Klar, ich fing mich schnell wieder, kam schnell wieder hoch. Aber es brannte bös am linken Knöchel.
„Um Gotteswillen, ist Ihnen was passiert?“ fragt die Dame vor mir.
„Nein nein, schon gut, alles okay“, antworte ich, steige wirklich an ihr vorbei, wende mich Richtung Ausgang. Einige, tatsächlich einige weitere Leute schauen mich besorgt an. Der Sturz scheint heftig ausgesehen zu haben, heftiger, als ich ihn selbst für voll nahm.
„Ihnen ist auch wirklich nichts passiert?“ fragt noch jemand, eine ältere Dame. Ungerechterweise ist es mir fast lästig.
„Machen Sie sich keine Sorgen“ – und trotz des Schmerzes aufrecht und zügig weiter, hinaus zum Rad, aufsteigen, heimfahren.
Wie kann man, denke ich, solch eines kleinen Stolperns wegen solche Besorgnis haben? Die Leute halten nichts mehr aus. Ich bin doch nicht aus Zucker! (: ohnedies einer meiner Standardsätze).
Aber dann.
Ich habe mich zum Mittagsschlaf gelegt, da schon geht das Pochen los. So richtig einschlafen kann ich nicht, schaff es aber irgendwie doch. Noch denke ich, später den mir lieben Abendlauf unternehmen zu können, freue mich drauf, und zwar sehr.
Will mich wieder erheben, tu es, will den ersten Schritt machen — ach du Scheiße! der Schmerz sticht vom Knöchel bis ins Knie hoch. Aufzutreten fast nicht möglich, hinken ist das richtige Wort. So zum Schreibtisch, hinkend, Zähne zusammenbeißend, setzen, angucken. – Nee, außer paar Schürfpünktchen ist nichts zu erkennen.
Aber am Abend ist der Schmerz immer noch da. Noch spiele ich mit dem Gedanken, trotzdem zu joggen, gegen ihn an. Dann wird mir klar, daß ich den Mallorcaflug riskierte, gäbe ich diesen Impulsen nach. Bis zum Donnerstag ist’s nicht mehr lang hin. Doch mit dem Sport auszusetzen, was würde es mir stinken!
In einer Art paradoxer Intervention bereite ich mir Pasta mit frischen Pfifferlingen in Sahnesoße, sozusagen als Belohnung. — Schmeckt ausgezeichnet. Gleich noch was Süßes hinterher, hab doch Stracciatella-Eis im Kühlschrank. Alles, was ich mir sonst in Trainingszeiten verbiete. Bin sogar noch mal los, um Wein zu kaufen, mach eine ganze Flasche leer. Ohne Sport sind Diäten nur dämlich.
Nach ein Uhr nachts zu Bett, auch das eine Übertretung meiner Struktur. Der Knöchel pulst und pocht und pulst. Nach morgens halb sechs ist an Schlaf nicht mal mehr zu denken.
Verdammt, was i s t das?
Jetzt ist der Knöchel auch geschwollen, nicht sehr, aber sichtbar. Auftreten? – Ui, ich brauche einen Stock! Nein, muß ohne ihn gehen.
Prellung fällt mir auf Anhieb ein. Meine Ärztin hat Wochenende, und in die Charité will ich nicht. Nachher behalten die mich dort. Was wäre dann mit meinem Flug? Ich will schwimmen auf Mallorca, täglich mindestens eine Stunde am Stück, besser anderthalb. Da kann ich eine Ruhigstellung nicht gebrauchen. Und danach dann noch gleich Wien!
Verflucht, verflucht, verflucht
Im Internet nachgeguckt. Prellung, so, jaja, soso. – Kommt alles blöde hin. Eis drauf, lese ich, ich habe noch Kühlpads im Gefrierfach. Mir fiel gestern schon auf, daß die Kompressionsstrümpfe deutlich helfen. Also das Pad unter einen von ihnen über den Knöchel geschoben. Is‘ ’n bisserl eng, aber geht.
Sie werden’s nicht glauben, oder wahrscheinlich doch: Es hilft fast sofort. Dazu ein 400er Ibu eingeworfen. Jetzt, um die drei Stunden später, ist der Schmerz deutlich zurückgegangen, und ich kann sogar wieder auftreten. Zu joggen sollte ich aber besser sein lassen, nach wie vor. Jedenfalls heute. Auch kein Beintraining, das eigentlich anstünde, in der Muckibude machen. Oberkörpertraining wird aber drin sein. Die Masse der Frustrationskalorien von gestern abend und nacht muß abgebaut werden. Mal sehn, ob Fahrrad zu fahren klappt. Ich werde es gegen Mittag probieren.
*
Für die Arbeit aber war’s ganz gut. Ich bin mit der Auflistung der Ersterscheinungsdaten nahezu fertig; nur für zwei Geschichten fehlen sie noch. Für diese habe ich Emails geschrieben.
Jedenfalls kam mir bei der Suche >>>> das da unter die Finger, und ich war so erstaunt darüber, daß der Eintrag nach über fünfzehn Jahren immer noch Gültigkeit hat, daß ich ihn gleich aus dem Altblog in Die neue Dschungel herüberkopierte — und als P.S. einen Kommentar schrieb, der mir neben dem Friedrich nun auch das fast vergessene Romanprojekt „Die Liebe in den Zeiten des Internets“ (in Der Dschungel DLZI) wieder als eines ins Blickfeld gerückt hat, das ich wohl auch noch und doch noch neu aufnehmen und abschließen sollte, egal, ob man mich dann | erst recht skandalisiert. Ich saug mir ja nix aus den Fingern, sondern erzähle von etwas, das ist. Der höchst zeitgenössische Stoff ist zudem fulminant, wenn auch aus andrem Holz als des Friedrichs. Überdies erinnere ich mich allzu gut, wie damals Shasharad, als ich ihr das Typoskript zu lesen gab – lange, übrigens, vor dem unsäglichen (das ich deshalb nicht verlinke) Fifty Shades of Grey –, es durchaus frustriert zur Seite legte, nach zweihundert, zweihundertfünfzig Seiten Lektüre, nicht, weil sie den Roman schlecht fand, sondern nahezu aus dem gegenteiligen Grund: weil sie ein erotisches Begehren, das sie für ihres fast e x k l u s i v hielt, offenbar t e i l t e. Eben deshalb schrieb ich’s doch auf, weil ganz offenbar unsere Anthropologie eine andere als die kulturell zugestandene ist, deren Mainstreamspitze wir uns haben Correctness angewöhnen, bzw. aufzwingen lassen.
In Zusammenhang mit DLZI – wie mit Melusine Walser – steht auch die harte Abwehr, die seinerseits Barbara Bongartz‘ und meine „Die Entstehung der Welt“, also Norbert Wehrs Jubiläums-Schreibheft, die Nr. 58, hervorgerufen hat; sogar namhafte Kollegen entblödeten sich nicht, bei Wehr gegen meine und Bongartz‘ „Unmoral“ in privaten Briefen zu protestieren – was in einem Fall sogar bis zur Üblen Nachrede ging. Schon auf das Sonderheft der „horen“ zu meinem Werk hatte es solche Proteste gegeben. Dem Unhold darf kein Forum sein, schon gar nicht ein solch hervorgehobenes.
*
Ich gehe auf und ab im Arbeitsraum. Ja, der Fuß macht wieder mit, zwar nicht, ohne den Knöchel noch merken zu lassen, aber doch kaum mehr mit merklichen Schmerzen. — Nein, dennoch kein Joggen. Herbst, bleib klug! Vielleicht morgen wieder. Indessen Oberkörpertraining, das kann nicht schaden.
Und abends >>>> in den Espace Diaphanes, wo ich sicherlich den Verleger treffen und ein bißchen mit ihm nebenbei über die Béartgedichte sprechen werde. 20 Uhr paßt mir ausgezeichnet. Vielleicht läßt sich dort auch Schnee, Béarts Übersetzer, sehen.
Genießen Sie, Freundin, den Tag, endlich kommt die Sonne durch!
Ihr ANH
Naja, bzgl. des Knöchels: falls was angerissen oder angebrochen ist, ist ignorieren natürlich die falsche Behandlung ! , denn sie führt letztendlich zur Verschlechterung. Aber: Ruhigstellung mit Kompression = sehr gut! Ach ne, ich bin keine Ärztin aber eine diesbezüglich Leiderfahrene, bin einmal mit dem linken Fuß über eine Stufe gekippt _- Dehnung (kein Riss), Schwellung für ca. fünf Wochen. Und wenn ich heute nach zehn Jahren den Fuß überanstrenge, meldet er gern sein Bedürfnis nach Schonung an. Dann lege ich das Bein hoch und Quark auf den Fuß …
Gute Besserung ! Erholsamen Aufenthalt auf Mallorca !
@Ute Stefanie Strasser:
Na jà, der Aufenthalt ist vor allem „beruflich“. Ich werde dort meine nächste Hochzeitsrede halten und diesmal auch wieder das Paar zeremoniell trauen. Worauf ich mich sehr freue. An das Fest und die inklusive Abbau viertägige Arbeit mit dem >>>>FWP-Team hänge ich dann noch vier Tage an, auch für den obligatorischen Besuch an meines Vaters Stätte seiner letzten Jahre. Er lebte quasi als Eremit in Cas Concos bei Felanitx, bevor er umkippte und zum Sterben zurück nach Deutschland gebracht wurde – ein schweres Sterben damals, voll seiner inneren Bitterkeit.
(Der Knöchel hat sich fast schon wieder beruhigt, ich hinke nicht mehr, und weh tut die Gegend nur noch dann, wenn ich draufdrücke. Entwarnung also, offenbar. Dennoch danke.)