[Arbeitswohnung, 8.10 Uhr
Uuno Klami, Seebilder (1928/30)]
Eine aufgeregte Woche ist das gewesen, bis gestern; wobei der Sonntag „eigentlich“ der erste Tag einer Woche ist, gemäß Gen. 1, 2-3. Tatsächlich war ich mit Béart XXIV bereits am Sonnabend fertig, las das Langgedicht (es ist tatsächlich länger geworden, als ich anfangs beabsichtigt hatte) gestern vom Ausdruck noch einmal laut und bin, wiewohl es Entwurf erst einmal b l e i b t, doch recht zufrieden. (Einen Text laut zu lesen, als läse ich ihn einem Auditorium vor, ist für mich wichtig, um physisch seine Klanglichkeit einzuschätzen; das gilt generell, also auch für Prosa – bei Gedichten aber besonders handelt es sich nicht nur um Sinngebilde, sondern in wenigstens selbem Maß um musikalische.)
Wiederum gestern schrieb ich in einem Zug das Nachwort zur Neuausgabe von Walter Serners „Die Tigerin“; ein Auftrag, den ich schon einige Zeit vor mir herschob. Wenn ich aber einmal den Ansatz haben, fast wie bei mathematischen Gleichungen, fließt alles andere, ohne daß ich noch besonders stocke, einfach aus mir heraus, zumal wenn ich mich auf Textbelege (Zitate) stützen kann. Versarbeit dagegen ist extrem langwierig. – Rund fünfzehn Buchseiten sind’s nun, die ich abends gleich an den Verlag schicken konnte. Freilich, es wird gewiß noch ein paar Modifikationen geben.
Was stockte in der Woche, war die dringende Fahnenarbeit an Band II der Septimeausgabe. Schließlich war ich so nervös, daß ich meiner Lektorin eine längere Email schrieb. Sie antwortete mittags. Gesundheitliche Gründe. Aber mit dem Verlag, von dem ich selbst wiederum kaum Nachrichten bekomme, sei sie im Gespräch, der Verleger mit dem Buch höchst zufrieden usw. Dennoch, es stockt da etwas in der Kommunikation zwischen ihm und mir – was mich sehr unruhig macht. – Jedenfalls, am Dienstagabend, spätstens Mittwoch früh bekäme ich die auch von ihr, Elvira, korrigierten Fahnen. Da ich am Donnerstag zu einer nächsten Hochzeit, für die ich zwischendurch auch noch die Rede des Bräutigams entwarf (als Grundlage aber nur für das, was er dann wirklich sagen wird), an die Ostsee reisen und erst am drauf folgenden Sonntagabend zurücksein und also für literarische Arbeiten komplett ausfallen werde, werde ich am Dienstag Nachtarbeit einlegen müssen und/oder den ganzen Mittwoch dafür nehmen. So haben wir es jetzt vereinbart. Die Buchproduktion drängt allein deshalb, weil wir die erste große Präsentation am 29. September haben werden, in Oldenburg; da müssen die Bücher einfach da sein.
Weiters sehr viel Korrespondenz, vor allem wegen weiterer Lesungen, bzw. Präsentationen. In Kiel werden wir nun im Januar 2020 auftreten, eventuell folgt oder geht direkt voran eine Präsentation in Hamburg. Besonders schön aber ist, daß mir für den 26. September ein Lyrikabend angeboten wurde, an einem wichtigen, weil traditionellen Berliner Ort, dem Buchhändlerkeller. Dort werde ich aus der Aeolia und dem Ungeheuer Muse lesen, aber auch eine, schon weil Elfenbein in Berlin sitzt, der Bamberger Elegien. Heute früh wird sich herausstellen, ob auch hier Elvira M. Gross dabei sein wird. Wenn sie nicht zusagen kann, wird … nein, Freundin, es soll noch Überraschung bleiben, wer mir zugesagt hat, die „Moderation“ zu übernehmen, die dann freilich mehr ein öffentliches Gespräch sein würde, über Poetik, unter Dichtern. – Ich bin auf diese Zusage wirklich stolz; kann sein, daß sie für einigen Wirbel sorgt. Die Béart allerdings werde ich da nicht zur Sprache bringen, sondern möchte mich auf die bereits erschienenen Bücher konzentrieren. (Meine Güte, seit zehn Jahren schon bin ich mit diesem Zyklus beschäftigt! Ich hätte ihn wirklich gerne im nächsten Herbst als Buch. Aber es fehlen noch neun Stücke: dreiunddreißig sollen es insgesamt sein. Also, wenn ich fortan jeden Monat eines zuwege bringe, wäre ich im kommenden Mai fertig, was r e i c h e n würde, um mit dem Band 2020 herauszukommen.
Sehr schön ist, Freundin, übrigens n o c h etwas: Elvira M. Gross und ich stellen die Erzählbände ja am 1. 10. in Braunschweig, dem Ort meiner mittleren Kindheit und Jugend, im Raabehaus vor; jetzt kam noch eine weitere Lesung, die eher Performance sein wird, hinzu: Wir werden am 2. 10. ab 22.30 Uhr im dortigen Lissabon die gesamte Aeolia rezitieren, zweistimmig, mit, quasi, verteilten Rollen. Dafür sagte Elvira gestern auf jeden Fall zu. Woraufhin ich sogleich mit Arco telefonierte: Ich wolle den Abend mitschneiden, das Tonfile dann auf perfekte Durchhörbarkeit bearbeiten; so hätten wir die Grundlage für eine Hörbuch-CD. – Der Verleger war entzückt; der Veranstalter, Hans Gerd Hahns Galerie auf Zeit, wird es ebenfalls sein und ganz gewiß auch der Inhaber des Lissabons. Denn Ort und Veranstaltungsrahmen werden auf jeden Fall aufs CD-Cover kommen. Wobei ich wieder merke, wie sehr mir die nun schon furchtbar lange weggebrochene Hörstückarbeit für den Rundfunk fehlt. Es wird tatsächlich Zeit, mir dafür einen „Ersatz“ zu schaffen. Aber sehr wahrscheinlich reise ich zu Anfang September sowieso nochmal nach Wien, um mit Ramirer die Derelvelieder einzuspielen – als Improvisation aus Musik und Sprache.
Was mich ansonsten beschäftigt? Ich muß heute endlich mit der Steuererklärung für 2018 beginnen, bin häßlich in Verzug. Es wird klug sein, meinen Sachbearbeiter beim Finanzamt anzurufen, um mitzuteilen, daß ich dran bin – bevor hier eine kostenbewehrte Mahnung eingeht. Dann wird die Autobiographie der alten Dame fortgesetzt werden, am Sonnabend in zwei Wochen; freitag davor hat mich die Contessa für eine Gala um meine Begleitung gebeten: ein hübscher Anlaß, zum zweiten Mal in diesem Jahr den weißen Smoking zu tragen. Völlig andere Welt. Was ich ja durchaus genieße, dieses Surfen zwischen den, ja, das s i n d es, Welten. Für einen Schriftsteller ist so etwas ideal. (Was mich allerdings abermals mahnt, die Grundlagen meines alten bronzenen Tanzabzeichens endlich aufzufrischen).
Viel weniger schön, freilich, höchst unschön sogar, daß das Wetter so gestürzt ist. In Wien begehen die Menschen nach wie vor den prächtigsten Sommer, hier aber riecht es schon nach Herbst. (Ich muß unbedingt daran denken, Kohlen zu bestellen). Ich bin nur froh, jetzt so in der Arbeit drin zu sein; es schützt mich davor, meinerseits abzustürzen. Ja, ich fürchte mich vor dem November, also als Wetter. Zumal ohne reale Frau, die ihn mir aufwärmen würde. Constantine sehe ich ja nur von hier mal etwas, dort mal etwas Zeit, dazwischen lange Pausen. Es geht mir dieses Asketsein schon s e h r auf den Nerv. Nicht einmal Sie, meine Freundin, können mir da helfen, und die ferne Geliebte, sie mag nicht. Eine Steuererklärung ist da ein eher schlechtes Surrogat. Es gibt für Körper auch keines.
ANH
[Schnittke, Zweite Sinfonie (1980)]
*
[11.59 Uhr
Schnittke, Dritte Sinfonie (1981)]